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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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diger in seiner harmlosen Weise warnt. -- Nach der Freiheit im Sinne des
Radikalismus appellirte Herr Gerstner an die Furcht. Das Gesetz werde
sämmtliche Katholiken zu Ultramontanen machen, die es noch nicht sind. Ver¬
nünftige Leute erwarten grade, daß die nicht ultramontän denkenden Katho¬
liken Muth gegenüber der klerikalen Tyrannei fassen werden, wenn sie sehen,
daß letztere nicht von den Regierungen gestützt wird. Dabei erklärte sich Herr
Gerstner durchaus für keinen Freund der Jesuiten. Er wollte sie nur mit
weniger zweischneidigen und doch zugleich schärferen Waffen bekämpfen. Als
solche bezeichnete er zuerst das Strafgesetz. Ueber den Gebrauch dieser Waffe
sprach am Schluß der Verhandlung der Abgeordnete Gneist in gewohnter, den
Kern erfassender und erschöpfender Weise. Die andere Waffe, die Herr Gerst¬
ner angewendet wissen wollte, war der Volksunterricht. Soll der Staat aber
diesen Unterricht nicht blos auf der elementaren Stufe, fondern durch alle
Stufen der Bildung hindurch nach der von ihm vorgeschriebenen Tendenz ge¬
stalten, bezw. alle seine Bürger zu demjenigen Grad der Aufklärung
zwingen, welche den auf Phantasie und Gemüth gerichteten Einwirkungen der
Jesuiten unzugänglich bleibt, so wäre dies eine andere Art von geistlichem
Despotismus. Als bloßer Concurrent aber ist der Staatsunterricht des Sieges
über den Jesuitenunterricht nicht sicher, sowie überhaupt das Gute ohne den
Gebrauch der Macht, deren Organisation nur ihm gelingt, nicht im Stande
wäre, das Schlechte zu besiegen. So bot die Rede des Herrn Gerstner ein
Muster der Dialektik des Radicalismus. Erst die Freiheit ohne Sinn und
Unterschied, und dann den Despotismus ohne Maß.

Der bayerische Abgeordnete Hörmann bemühte sich, Herrn Gerstner nach¬
zuweisen, daß Katholicismus und Jesuitismus nicht zusammen zu fallen brauchen,
so wenig wie der Katholicismus von Hause aus Jesuitismus gewesen ist.

Man konnte gespannt sein, wie die Polen, die in den ultramontanen
Fragen bisher mit dem Centrum gestimmt haben, dies Verhalten begründen
würden. Herr von Niegolewski, eins der größten Talente in der polnischen
Fraction. ergriff diesmal das Wort. Er erklärte die katholische Religion für
die nationale Religion Polens. Damit stimmt indeß weder die Geschichte,
noch der Satz mit welchem der Redner schloß. Die Geschichte lehrt, daß es
in Polen Dissidenten gab, deren unvorsichtige und ungerechte Behandlung
nicht wenig zum Verfall des polnischen Staates beigetragen. Es war eine
höchst befremdende Aeußerung, die Herr von Niegolewski that, daß nicht die
Jesuiten Polen getheilt. Sie haben die Theilung nicht vollzogen, aber Nie¬
mand mehr als sie hat Polen in den Zustand versetzt, der zur Theilung
führte. Wenn Redner am Schluß versicherte, daß die Polen ihre Zukunft auf
Licht und Gerechtigkeit bauen wollten, so stimmt damit nicht die Jdentificirung


diger in seiner harmlosen Weise warnt. — Nach der Freiheit im Sinne des
Radikalismus appellirte Herr Gerstner an die Furcht. Das Gesetz werde
sämmtliche Katholiken zu Ultramontanen machen, die es noch nicht sind. Ver¬
nünftige Leute erwarten grade, daß die nicht ultramontän denkenden Katho¬
liken Muth gegenüber der klerikalen Tyrannei fassen werden, wenn sie sehen,
daß letztere nicht von den Regierungen gestützt wird. Dabei erklärte sich Herr
Gerstner durchaus für keinen Freund der Jesuiten. Er wollte sie nur mit
weniger zweischneidigen und doch zugleich schärferen Waffen bekämpfen. Als
solche bezeichnete er zuerst das Strafgesetz. Ueber den Gebrauch dieser Waffe
sprach am Schluß der Verhandlung der Abgeordnete Gneist in gewohnter, den
Kern erfassender und erschöpfender Weise. Die andere Waffe, die Herr Gerst¬
ner angewendet wissen wollte, war der Volksunterricht. Soll der Staat aber
diesen Unterricht nicht blos auf der elementaren Stufe, fondern durch alle
Stufen der Bildung hindurch nach der von ihm vorgeschriebenen Tendenz ge¬
stalten, bezw. alle seine Bürger zu demjenigen Grad der Aufklärung
zwingen, welche den auf Phantasie und Gemüth gerichteten Einwirkungen der
Jesuiten unzugänglich bleibt, so wäre dies eine andere Art von geistlichem
Despotismus. Als bloßer Concurrent aber ist der Staatsunterricht des Sieges
über den Jesuitenunterricht nicht sicher, sowie überhaupt das Gute ohne den
Gebrauch der Macht, deren Organisation nur ihm gelingt, nicht im Stande
wäre, das Schlechte zu besiegen. So bot die Rede des Herrn Gerstner ein
Muster der Dialektik des Radicalismus. Erst die Freiheit ohne Sinn und
Unterschied, und dann den Despotismus ohne Maß.

Der bayerische Abgeordnete Hörmann bemühte sich, Herrn Gerstner nach¬
zuweisen, daß Katholicismus und Jesuitismus nicht zusammen zu fallen brauchen,
so wenig wie der Katholicismus von Hause aus Jesuitismus gewesen ist.

Man konnte gespannt sein, wie die Polen, die in den ultramontanen
Fragen bisher mit dem Centrum gestimmt haben, dies Verhalten begründen
würden. Herr von Niegolewski, eins der größten Talente in der polnischen
Fraction. ergriff diesmal das Wort. Er erklärte die katholische Religion für
die nationale Religion Polens. Damit stimmt indeß weder die Geschichte,
noch der Satz mit welchem der Redner schloß. Die Geschichte lehrt, daß es
in Polen Dissidenten gab, deren unvorsichtige und ungerechte Behandlung
nicht wenig zum Verfall des polnischen Staates beigetragen. Es war eine
höchst befremdende Aeußerung, die Herr von Niegolewski that, daß nicht die
Jesuiten Polen getheilt. Sie haben die Theilung nicht vollzogen, aber Nie¬
mand mehr als sie hat Polen in den Zustand versetzt, der zur Theilung
führte. Wenn Redner am Schluß versicherte, daß die Polen ihre Zukunft auf
Licht und Gerechtigkeit bauen wollten, so stimmt damit nicht die Jdentificirung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/45>, abgerufen am 22.07.2024.