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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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soll durch Uebertragung des durchschnittlichen Pachtsatzes der verpachteten
gefunden werden. Nur zur Ermittlung des Reinertrages der Waldflächen
würde ein anderes Verfahren nöthig sein und derselbe auf Grund der control-
lirten Angaben der Waldbesitzer bestimmt werden. Zur Ertragsermittlung
des Hofeslandes ist dessen Vermessung nöthig; deren Kosten soll der Besitzer
tragen; die Katastrirung, welche in drei Jahren durchzuführen wäre, dagegen
das Land.

Die Einkommensteuer, deren Einführung die andere Partei fordert, soll
nach finnländischen Muster erhoben werden. Danach sollen ihr diejenigen
unterworfen sein, welche ein Reineinkommen von 100 Rubeln haben. Der
Steuersatz ist von 100 bis 1280 Rubel Vs Prozent, von da bis 2300 Rubel
1 Prozent, von einem höheren Einkommen 1^ Prozent. Das Einkommen
soll durch Abschätzungscommissionen festgestellt werden, welche mit gleichem
Stimmrecht von allen Steuerpflichtigen ohne Unterschied des Standes zu wählen
sind. Sonach würden die Gutsherrn sich einer Abschätzung unterwerfen müssen,
welche voraussichtlich nicht vorwiegend von ihren Standesgenossen ausginge,
was wirthschaftlich erhebliche Bedenken hätte, wenn auch eine Berufung an
eine "Controll-Commission" freistehen würde, dagegen in politischer Beziehung
bedeutenden Nutzen stiften könnte, indem sich dadurch die sonst privilegirten
Herren nur als Gleiche neben die Bauern und kleinen Pächter stellten. Be¬
deutend vergrößert wird der politische Nutzen dieses Steuer-Reformplanes da¬
durch, daß mit ihm auch der Antrag verbunden ist, der Ritterschaft das aus¬
schließliche "Bewilligungsrecht," d. h. das Recht über die Verwendung der
eingehenden Steuern, zu entziehen, indem man Vertreter der Landgemeinden,
in welchen auch besitzlose Arbeiter und Knechte stimmberechtigt sind, zum Land¬
tage zuzieht, und an dessen Rechten theilnehmen läßt. Dadurch würde eine
neue außerordentlich wichtige und werthvolle Brücke zwischen dem estnisch-
lettischen und dem deutschen Element geschlagen. Weit überholt würde
der peeuniäre Nachtheil, der für das erstere in dem Punkte des Planes liegt,
daß die Hakensteuer zwischen dem Hofes- und dem Gehorchslande gar nicht
ausgeglichen, sondern ausschließlich auf dem letzteren als Reallast firirt werden
soll. Der Nachtheil ist von den bäuerlichen Miethern um so leichter zu ertragen,
als dadurch in dem bisherigen Verhältnisse nichts geändert wird und als sie
sowohl als Pächter wie als Eigenthümer sehr günstig gestellt sind, so daß
der National-Oekonom Professor von der Goltz in Königsberg erklärt, die
landwirtschaftlichen Verhältnisse Livlands und der anderen Ostseeprovinzen
befänden sich "in einer sehr gesunden Entwicklung und gingen voraussichtlich
einer glücklichen Zukunft entgegen."

Im übrigen haben, wie es mit allen Steuerprojecten der Fall ist, beide
Pläne ihre guten und ihre schlimmen Seiten. Die Grundsteuer zieht die in


Grenzboten III. 1872. 5

soll durch Uebertragung des durchschnittlichen Pachtsatzes der verpachteten
gefunden werden. Nur zur Ermittlung des Reinertrages der Waldflächen
würde ein anderes Verfahren nöthig sein und derselbe auf Grund der control-
lirten Angaben der Waldbesitzer bestimmt werden. Zur Ertragsermittlung
des Hofeslandes ist dessen Vermessung nöthig; deren Kosten soll der Besitzer
tragen; die Katastrirung, welche in drei Jahren durchzuführen wäre, dagegen
das Land.

Die Einkommensteuer, deren Einführung die andere Partei fordert, soll
nach finnländischen Muster erhoben werden. Danach sollen ihr diejenigen
unterworfen sein, welche ein Reineinkommen von 100 Rubeln haben. Der
Steuersatz ist von 100 bis 1280 Rubel Vs Prozent, von da bis 2300 Rubel
1 Prozent, von einem höheren Einkommen 1^ Prozent. Das Einkommen
soll durch Abschätzungscommissionen festgestellt werden, welche mit gleichem
Stimmrecht von allen Steuerpflichtigen ohne Unterschied des Standes zu wählen
sind. Sonach würden die Gutsherrn sich einer Abschätzung unterwerfen müssen,
welche voraussichtlich nicht vorwiegend von ihren Standesgenossen ausginge,
was wirthschaftlich erhebliche Bedenken hätte, wenn auch eine Berufung an
eine „Controll-Commission" freistehen würde, dagegen in politischer Beziehung
bedeutenden Nutzen stiften könnte, indem sich dadurch die sonst privilegirten
Herren nur als Gleiche neben die Bauern und kleinen Pächter stellten. Be¬
deutend vergrößert wird der politische Nutzen dieses Steuer-Reformplanes da¬
durch, daß mit ihm auch der Antrag verbunden ist, der Ritterschaft das aus¬
schließliche „Bewilligungsrecht," d. h. das Recht über die Verwendung der
eingehenden Steuern, zu entziehen, indem man Vertreter der Landgemeinden,
in welchen auch besitzlose Arbeiter und Knechte stimmberechtigt sind, zum Land¬
tage zuzieht, und an dessen Rechten theilnehmen läßt. Dadurch würde eine
neue außerordentlich wichtige und werthvolle Brücke zwischen dem estnisch-
lettischen und dem deutschen Element geschlagen. Weit überholt würde
der peeuniäre Nachtheil, der für das erstere in dem Punkte des Planes liegt,
daß die Hakensteuer zwischen dem Hofes- und dem Gehorchslande gar nicht
ausgeglichen, sondern ausschließlich auf dem letzteren als Reallast firirt werden
soll. Der Nachtheil ist von den bäuerlichen Miethern um so leichter zu ertragen,
als dadurch in dem bisherigen Verhältnisse nichts geändert wird und als sie
sowohl als Pächter wie als Eigenthümer sehr günstig gestellt sind, so daß
der National-Oekonom Professor von der Goltz in Königsberg erklärt, die
landwirtschaftlichen Verhältnisse Livlands und der anderen Ostseeprovinzen
befänden sich „in einer sehr gesunden Entwicklung und gingen voraussichtlich
einer glücklichen Zukunft entgegen."

Im übrigen haben, wie es mit allen Steuerprojecten der Fall ist, beide
Pläne ihre guten und ihre schlimmen Seiten. Die Grundsteuer zieht die in


Grenzboten III. 1872. 5
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/41>, abgerufen am 22.07.2024.