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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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und sofort wieder angestellt worden seien, und ohne Zweifel ist es richtig,
daß, wenn diese Officiere gefangen oder getödtet worden wären, es Napoleon
ganz unmöglich gewesen wäre, überhaupt ein kriegsfähiges'1Heer>ufzustellen.
Aber selbst jene, so groß scheinende Zahl, war für die Neubildungen durch¬
aus unzureichend. Hunderte von Schülern von Se. Cyr, Hunderte von Cor-
poralen wurden als Unterlieutenants in die Cohorten oder die Marinetruppen
vertheilt; das Avancement überschritt jede Gränze. Doch alles das reichte
noch nicht aus; denn die Aufgebote des Kaisers folgten sich nun in den ver¬
schiedensten Formen Schlag auf Schlag, und immer größer wurde die Masse
von Menschen, welche zu organisiren zu discipliniren und einzuüben war.

An demselben 11. Januar, welcher die Kohorten in die Armee einfügte,
erging, unter dem Eindruck der Botschaft von Uork's Capitulation, ein Senat-
Consult von noch höherer Wichtigkeit: der Befehl einer Aushebung
von 250000 Mann. Dieselbe bestand erstens in einem wiederholten Rap¬
pel! der Classen von 1809--1812 (Isvvs nich yuatrs elassvs), welcher 100000
Mann im Alter von 20 bis 24 Jahren forderte, und zweitens in einem vor¬
ausgreifenden und die gewöhnliche Contingentziffer weit übersteigenden
Appell von 150000 Mann der Classe von 1814. Die 1co6ö des yuatre
classes geschah sofort und mit großer Strenge, die der Classe 1814, junge
Leute von 18 bis 19 Jahren, wurde um vier Wochen hinausgeschoben, weil
der Kaiser sich scheute, bei der herrschenden Unzufriedenheit so vielen Menschen
auf einmal die Waffen in die Hand zu geben.*)

War doch die Unzufriedenheit über die nicht enden wollenden Aushebungen
in beständigem Wachsen begriffen; nahm doch, zumal im Westen, die Agitation
so bedenkliche Formen an, daß sich die entflohenen Heerespflichtigen in großen
Schaaren zusammenrotteten und den gegen sie abgesandten Detachements
blutige Gefechte lieferten, bei denen freilich wenig herauskam, da man die
Polizeidetachements selbst aus ganz ungeübten Rekruten zusammensetzen mußte.**)

Von jeder Hülfsquelle, sie mochte so klein sein, wie sie wollte, machte
der Kaiser Gebrauch. Die Munizipalgarde von Paris wurde nach
Erfurt dirigirt. um hier ein Linien-Regiment (das 134.) zu bilden, und aus
Detachements von 116 Reserve-Compagnien, welche in den kleineren
Städten des Reichs gleichen Dienst wie die Pariser Munizipalgarde thaten,
wurde ein Regiment leichter Infanterie (das 37.) errichtet. Die 5000 Mann,
welche aus diese Weise wieder in die Armee eingereiht wurden, waren kriegs¬
geübt; aber sie hatten keineswegs erwartet, noch jemals ins Feld rücken zu
müssen und waren durchaus nicht erbaut davon.




') Der Kaiser an den General Clarke, vorrvsponaono" romo XXIV.
") ^renivvs alö I-t vnorrk. C, Roussel a. ni. O.
Grenzboten III. 1872.42

und sofort wieder angestellt worden seien, und ohne Zweifel ist es richtig,
daß, wenn diese Officiere gefangen oder getödtet worden wären, es Napoleon
ganz unmöglich gewesen wäre, überhaupt ein kriegsfähiges'1Heer>ufzustellen.
Aber selbst jene, so groß scheinende Zahl, war für die Neubildungen durch¬
aus unzureichend. Hunderte von Schülern von Se. Cyr, Hunderte von Cor-
poralen wurden als Unterlieutenants in die Cohorten oder die Marinetruppen
vertheilt; das Avancement überschritt jede Gränze. Doch alles das reichte
noch nicht aus; denn die Aufgebote des Kaisers folgten sich nun in den ver¬
schiedensten Formen Schlag auf Schlag, und immer größer wurde die Masse
von Menschen, welche zu organisiren zu discipliniren und einzuüben war.

An demselben 11. Januar, welcher die Kohorten in die Armee einfügte,
erging, unter dem Eindruck der Botschaft von Uork's Capitulation, ein Senat-
Consult von noch höherer Wichtigkeit: der Befehl einer Aushebung
von 250000 Mann. Dieselbe bestand erstens in einem wiederholten Rap¬
pel! der Classen von 1809—1812 (Isvvs nich yuatrs elassvs), welcher 100000
Mann im Alter von 20 bis 24 Jahren forderte, und zweitens in einem vor¬
ausgreifenden und die gewöhnliche Contingentziffer weit übersteigenden
Appell von 150000 Mann der Classe von 1814. Die 1co6ö des yuatre
classes geschah sofort und mit großer Strenge, die der Classe 1814, junge
Leute von 18 bis 19 Jahren, wurde um vier Wochen hinausgeschoben, weil
der Kaiser sich scheute, bei der herrschenden Unzufriedenheit so vielen Menschen
auf einmal die Waffen in die Hand zu geben.*)

War doch die Unzufriedenheit über die nicht enden wollenden Aushebungen
in beständigem Wachsen begriffen; nahm doch, zumal im Westen, die Agitation
so bedenkliche Formen an, daß sich die entflohenen Heerespflichtigen in großen
Schaaren zusammenrotteten und den gegen sie abgesandten Detachements
blutige Gefechte lieferten, bei denen freilich wenig herauskam, da man die
Polizeidetachements selbst aus ganz ungeübten Rekruten zusammensetzen mußte.**)

Von jeder Hülfsquelle, sie mochte so klein sein, wie sie wollte, machte
der Kaiser Gebrauch. Die Munizipalgarde von Paris wurde nach
Erfurt dirigirt. um hier ein Linien-Regiment (das 134.) zu bilden, und aus
Detachements von 116 Reserve-Compagnien, welche in den kleineren
Städten des Reichs gleichen Dienst wie die Pariser Munizipalgarde thaten,
wurde ein Regiment leichter Infanterie (das 37.) errichtet. Die 5000 Mann,
welche aus diese Weise wieder in die Armee eingereiht wurden, waren kriegs¬
geübt; aber sie hatten keineswegs erwartet, noch jemals ins Feld rücken zu
müssen und waren durchaus nicht erbaut davon.




') Der Kaiser an den General Clarke, vorrvsponaono« romo XXIV.
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[0329] und sofort wieder angestellt worden seien, und ohne Zweifel ist es richtig, daß, wenn diese Officiere gefangen oder getödtet worden wären, es Napoleon ganz unmöglich gewesen wäre, überhaupt ein kriegsfähiges'1Heer>ufzustellen. Aber selbst jene, so groß scheinende Zahl, war für die Neubildungen durch¬ aus unzureichend. Hunderte von Schülern von Se. Cyr, Hunderte von Cor- poralen wurden als Unterlieutenants in die Cohorten oder die Marinetruppen vertheilt; das Avancement überschritt jede Gränze. Doch alles das reichte noch nicht aus; denn die Aufgebote des Kaisers folgten sich nun in den ver¬ schiedensten Formen Schlag auf Schlag, und immer größer wurde die Masse von Menschen, welche zu organisiren zu discipliniren und einzuüben war. An demselben 11. Januar, welcher die Kohorten in die Armee einfügte, erging, unter dem Eindruck der Botschaft von Uork's Capitulation, ein Senat- Consult von noch höherer Wichtigkeit: der Befehl einer Aushebung von 250000 Mann. Dieselbe bestand erstens in einem wiederholten Rap¬ pel! der Classen von 1809—1812 (Isvvs nich yuatrs elassvs), welcher 100000 Mann im Alter von 20 bis 24 Jahren forderte, und zweitens in einem vor¬ ausgreifenden und die gewöhnliche Contingentziffer weit übersteigenden Appell von 150000 Mann der Classe von 1814. Die 1co6ö des yuatre classes geschah sofort und mit großer Strenge, die der Classe 1814, junge Leute von 18 bis 19 Jahren, wurde um vier Wochen hinausgeschoben, weil der Kaiser sich scheute, bei der herrschenden Unzufriedenheit so vielen Menschen auf einmal die Waffen in die Hand zu geben.*) War doch die Unzufriedenheit über die nicht enden wollenden Aushebungen in beständigem Wachsen begriffen; nahm doch, zumal im Westen, die Agitation so bedenkliche Formen an, daß sich die entflohenen Heerespflichtigen in großen Schaaren zusammenrotteten und den gegen sie abgesandten Detachements blutige Gefechte lieferten, bei denen freilich wenig herauskam, da man die Polizeidetachements selbst aus ganz ungeübten Rekruten zusammensetzen mußte.**) Von jeder Hülfsquelle, sie mochte so klein sein, wie sie wollte, machte der Kaiser Gebrauch. Die Munizipalgarde von Paris wurde nach Erfurt dirigirt. um hier ein Linien-Regiment (das 134.) zu bilden, und aus Detachements von 116 Reserve-Compagnien, welche in den kleineren Städten des Reichs gleichen Dienst wie die Pariser Munizipalgarde thaten, wurde ein Regiment leichter Infanterie (das 37.) errichtet. Die 5000 Mann, welche aus diese Weise wieder in die Armee eingereiht wurden, waren kriegs¬ geübt; aber sie hatten keineswegs erwartet, noch jemals ins Feld rücken zu müssen und waren durchaus nicht erbaut davon. ') Der Kaiser an den General Clarke, vorrvsponaono« romo XXIV. ") ^renivvs alö I-t vnorrk. C, Roussel a. ni. O. Grenzboten III. 1872.42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/329>, abgerufen am 22.07.2024.