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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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sobald die tatarischen Oesbegen ihrer Suprematie entkleidet waren. "Immer,
schreibt ein russischer General, erscheinen Leute der uns befreundeten Rassen
an der Seite unserer Offiziere und halten öffentliche Anreden an das Volk;
während wir russische Kirchen bauen, machen sie der Menge weis: eine nächt¬
liche Erscheinung habe den Zar zum Islam bekehrt." Das Volk glaubt
dieses und die schlimmste Klippe zwischen beiden Theilen, die religiöse, wird
dadurch wenigstens gemildert.

Was dem Russen zu Gute kommt, ist seine innere Verwandtschaft
mit den centralasiatischen Völkern. Er ist ja nicht der reine Slave, er ist
zum guten Theile mit mongolischen Blute gekreuzt und daher das gegen¬
seitige Verständniß. Vambery, der Nager und Befehder Rußlands faßt das
sehr wenig galant in folgenden Worten zusammen: "Als halbe Barbaren
stehen die Russen ihren turkomanischen Nachbarn nie so schroff gegenüber,
wie die Engländer, deren höherem Kulturgrade ein solches Anschmiegen ein
unerträgliches Opfer wäre. Die englische Regierung hat es bis heute unter
ihrer Würde gehalten, direct mit dem Emir von Bochara zu verkehren; was
sie ihm zu sagen hat, gelangt durch den Gouverneur in Calcutta an seine
Adresse. In Rußland hat aber selbst der stolze Nikolaus, der Napoleon III.
nicht als seinen "Bruder" begrüßen wollte, den tatarischen Fürsten Mittel¬
asiens gegenüber sich nie als Selbstherrscher aller Reußen. sondern wie ein
Chan an der Newa benommen. Das Ergebniß ist, daß wir aus der ganzen
Grenzlinie in Asien Nomaden und Ansässige, buddhistische und mohamme¬
danische Völker auf einem solchen Fuße der Freundschaft und Vertraulichkeit
mit den Russen finden, wie sonst nirgends in den fremden Besitzungen einer
europäischen Macht."

Rußland baut Straßen, befördert den Karawanenhandel, errichtet Schulen
und Telegraphen und denkt an Eisenbahnen in Innerasien. Dampfer gehen
dort seit langem schon auf den Seen und Flüssen. Aus kleinen Kosakenposten
entstehen Handelsstädte und da statt wilder Raubzüge und Fehden Ruhe Und
Sicherheit innerhalb der russischen Grenzpfähle eingekehrt sind, so können in
den lange vernachlässigten Ländern Handel und Gewerbe wieder zur Blüthe
gelangen. Nun hört man freilich oft von öden Steppenlandschaften, wasser¬
losen Wüsten u. s. w. reden, die Rußland am Jaxartes erworben habe; wer
aber wissen will, welche Reichthümer dort vorhanden sind, dem empfehlen wir
das Kapitel "Ueber die Produktionsfähigkeit der drei turkestanischen Steppen¬
länder" in Vambery's "Skizzen aus Mittelasien" (Leipzig 1868. S. 181).
Es fehlte vor der russischen Zeit an der nöthigen Bewässerung, ohne die dort
kein Leben, keine Ernte ist, es fehlte an Sicherheit und Ruhe bei der Arbeit,
es fehlte endlich an Abzug für die erzeugten Producte. Das alles hat Ru߬
land geschaffen oder begonnen zu schaffen. Der Lohn ist nicht ausgeblieben


sobald die tatarischen Oesbegen ihrer Suprematie entkleidet waren. „Immer,
schreibt ein russischer General, erscheinen Leute der uns befreundeten Rassen
an der Seite unserer Offiziere und halten öffentliche Anreden an das Volk;
während wir russische Kirchen bauen, machen sie der Menge weis: eine nächt¬
liche Erscheinung habe den Zar zum Islam bekehrt." Das Volk glaubt
dieses und die schlimmste Klippe zwischen beiden Theilen, die religiöse, wird
dadurch wenigstens gemildert.

Was dem Russen zu Gute kommt, ist seine innere Verwandtschaft
mit den centralasiatischen Völkern. Er ist ja nicht der reine Slave, er ist
zum guten Theile mit mongolischen Blute gekreuzt und daher das gegen¬
seitige Verständniß. Vambery, der Nager und Befehder Rußlands faßt das
sehr wenig galant in folgenden Worten zusammen: „Als halbe Barbaren
stehen die Russen ihren turkomanischen Nachbarn nie so schroff gegenüber,
wie die Engländer, deren höherem Kulturgrade ein solches Anschmiegen ein
unerträgliches Opfer wäre. Die englische Regierung hat es bis heute unter
ihrer Würde gehalten, direct mit dem Emir von Bochara zu verkehren; was
sie ihm zu sagen hat, gelangt durch den Gouverneur in Calcutta an seine
Adresse. In Rußland hat aber selbst der stolze Nikolaus, der Napoleon III.
nicht als seinen „Bruder" begrüßen wollte, den tatarischen Fürsten Mittel¬
asiens gegenüber sich nie als Selbstherrscher aller Reußen. sondern wie ein
Chan an der Newa benommen. Das Ergebniß ist, daß wir aus der ganzen
Grenzlinie in Asien Nomaden und Ansässige, buddhistische und mohamme¬
danische Völker auf einem solchen Fuße der Freundschaft und Vertraulichkeit
mit den Russen finden, wie sonst nirgends in den fremden Besitzungen einer
europäischen Macht."

Rußland baut Straßen, befördert den Karawanenhandel, errichtet Schulen
und Telegraphen und denkt an Eisenbahnen in Innerasien. Dampfer gehen
dort seit langem schon auf den Seen und Flüssen. Aus kleinen Kosakenposten
entstehen Handelsstädte und da statt wilder Raubzüge und Fehden Ruhe Und
Sicherheit innerhalb der russischen Grenzpfähle eingekehrt sind, so können in
den lange vernachlässigten Ländern Handel und Gewerbe wieder zur Blüthe
gelangen. Nun hört man freilich oft von öden Steppenlandschaften, wasser¬
losen Wüsten u. s. w. reden, die Rußland am Jaxartes erworben habe; wer
aber wissen will, welche Reichthümer dort vorhanden sind, dem empfehlen wir
das Kapitel „Ueber die Produktionsfähigkeit der drei turkestanischen Steppen¬
länder" in Vambery's „Skizzen aus Mittelasien" (Leipzig 1868. S. 181).
Es fehlte vor der russischen Zeit an der nöthigen Bewässerung, ohne die dort
kein Leben, keine Ernte ist, es fehlte an Sicherheit und Ruhe bei der Arbeit,
es fehlte endlich an Abzug für die erzeugten Producte. Das alles hat Ru߬
land geschaffen oder begonnen zu schaffen. Der Lohn ist nicht ausgeblieben


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[0310] sobald die tatarischen Oesbegen ihrer Suprematie entkleidet waren. „Immer, schreibt ein russischer General, erscheinen Leute der uns befreundeten Rassen an der Seite unserer Offiziere und halten öffentliche Anreden an das Volk; während wir russische Kirchen bauen, machen sie der Menge weis: eine nächt¬ liche Erscheinung habe den Zar zum Islam bekehrt." Das Volk glaubt dieses und die schlimmste Klippe zwischen beiden Theilen, die religiöse, wird dadurch wenigstens gemildert. Was dem Russen zu Gute kommt, ist seine innere Verwandtschaft mit den centralasiatischen Völkern. Er ist ja nicht der reine Slave, er ist zum guten Theile mit mongolischen Blute gekreuzt und daher das gegen¬ seitige Verständniß. Vambery, der Nager und Befehder Rußlands faßt das sehr wenig galant in folgenden Worten zusammen: „Als halbe Barbaren stehen die Russen ihren turkomanischen Nachbarn nie so schroff gegenüber, wie die Engländer, deren höherem Kulturgrade ein solches Anschmiegen ein unerträgliches Opfer wäre. Die englische Regierung hat es bis heute unter ihrer Würde gehalten, direct mit dem Emir von Bochara zu verkehren; was sie ihm zu sagen hat, gelangt durch den Gouverneur in Calcutta an seine Adresse. In Rußland hat aber selbst der stolze Nikolaus, der Napoleon III. nicht als seinen „Bruder" begrüßen wollte, den tatarischen Fürsten Mittel¬ asiens gegenüber sich nie als Selbstherrscher aller Reußen. sondern wie ein Chan an der Newa benommen. Das Ergebniß ist, daß wir aus der ganzen Grenzlinie in Asien Nomaden und Ansässige, buddhistische und mohamme¬ danische Völker auf einem solchen Fuße der Freundschaft und Vertraulichkeit mit den Russen finden, wie sonst nirgends in den fremden Besitzungen einer europäischen Macht." Rußland baut Straßen, befördert den Karawanenhandel, errichtet Schulen und Telegraphen und denkt an Eisenbahnen in Innerasien. Dampfer gehen dort seit langem schon auf den Seen und Flüssen. Aus kleinen Kosakenposten entstehen Handelsstädte und da statt wilder Raubzüge und Fehden Ruhe Und Sicherheit innerhalb der russischen Grenzpfähle eingekehrt sind, so können in den lange vernachlässigten Ländern Handel und Gewerbe wieder zur Blüthe gelangen. Nun hört man freilich oft von öden Steppenlandschaften, wasser¬ losen Wüsten u. s. w. reden, die Rußland am Jaxartes erworben habe; wer aber wissen will, welche Reichthümer dort vorhanden sind, dem empfehlen wir das Kapitel „Ueber die Produktionsfähigkeit der drei turkestanischen Steppen¬ länder" in Vambery's „Skizzen aus Mittelasien" (Leipzig 1868. S. 181). Es fehlte vor der russischen Zeit an der nöthigen Bewässerung, ohne die dort kein Leben, keine Ernte ist, es fehlte an Sicherheit und Ruhe bei der Arbeit, es fehlte endlich an Abzug für die erzeugten Producte. Das alles hat Ru߬ land geschaffen oder begonnen zu schaffen. Der Lohn ist nicht ausgeblieben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/310>, abgerufen am 22.07.2024.