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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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kaum Nutzen daraus zu ziehen vermag. Das Problem der Nilquellen soll
zum so und so vielsten Male gelöst sein und es ist heute noch nicht gelöst.
Selbst der Fachmann weis sich schwer durch dieses Labyrinth von Wider¬
sprüchen hindurchzuwinden und da wird es denn gut sein dem Publicum
einige Aufklärungen zu geben, einmal innerafrikanische Räthsel und nord¬
amerikanische Berichterstattung vor seinen Augen aufzurollen.

David Livingstone, der nun seit 32 Jahren sein Forschungswerk in
Jnnerafrika betreibt, der gegen das anderen Weißen tödtliche Klima gefeit
scheint, der auch nicht, wie viele seiner Collegen, von den Schwarzen ermordet
wird, sondern wirklich ungestraft unter Palmen wandelt, ist nun seit 1866
zur dritten Forschungsreise aufgebrochen. In den sechs Jahren, die er fort
ist, hat er aber nur außerordentlich wenig von sich hören lassen und hatte
er auch Gelegenheit Briefe zu schreiben, so nützte er sie doch nicht aus: kurze
verworrene Berichte, die nur unsichere Anhaltepunkte boten, trafen ein, so
trocken und langweilig geschrieben, daß man sie mißmuthig bei Seite warf.
Der Doctor, wie Livingstone allgemein genannt wird, ist überhaupt kein
Schriftsteller; er gehört nicht zu jener guten Schule von englischen Reisenden,
die wie Wallace, Baker, Burton, Bates u. s. w, das Erlebte vortrefflich
darzustellen wissen; im Gegentheil, in der Vorrede zu seinem zweiten Reise¬
werke "Der Zambesi und seine Zuflüsse" bekennt er ganz offen, er verstände
nicht mit der Feder umzugehen und sei, durch seinen langen Aufenthalt unter
den Schwarzen, einigermaßen der englischen Sprache entwöhnt worden. Und
jetzt erscheint plötzlich ein im prächtigsten Feuilletonstyl geschriebener Artikel
im New-Uork-Herald. Doch wir kommen darauf zurück.

Der schweigsame Doctor, an dem nicht nur sein Vaterland, sondern das
ganze civilisirte Europa Interesse nimmt, ist auf seiner letzten Reise wieder¬
holt verschollen gewesen und nicht weniger als drei Erpeditionen, die zusam¬
men etwa 20,000 Pfund Sterling kosteten, sind ihm nachgesandt worden, um
über sein Leben oder seinen Tod Auskunft zu bringen. Es ist eine Schraube
ohne Ende und sehen wir ab von den arktischen Expeditionen, die zur Auf¬
suchung Sir John Franklins in das Jnselgewirr im Norden Amerikas abge-
sandt wurden, so kennen wir keinen Reisenden -- vielleicht Eduard Vogel noch
ausgenommen -- hinter dem eine solche Suchjagd angestellt wurde. Als es
1868 hieß: Livingstone ist von den Mahlen ermordet, wurde ihm.Uoung bis
zum Niassa-See nachgeschickt und er kam mit der Nachricht zurück, Livingstone
sei verjüngt und wohlbehalten nach Westen aufgebrochen; im verflossenen Jahr
sammelte man abermals 6000 Pfund Sterling in England und schickte den
Dampfer "Abydos" mit den Lieutenants Dawson und Herr an Bord nach
Zanzibar um hinter dem wiederum verschollenen herzureisen und ihn todt
oder lebendig heimzubringen als sie aber an der afrikanischen Küste an-


Grenzbotw III. 1872. Zg

kaum Nutzen daraus zu ziehen vermag. Das Problem der Nilquellen soll
zum so und so vielsten Male gelöst sein und es ist heute noch nicht gelöst.
Selbst der Fachmann weis sich schwer durch dieses Labyrinth von Wider¬
sprüchen hindurchzuwinden und da wird es denn gut sein dem Publicum
einige Aufklärungen zu geben, einmal innerafrikanische Räthsel und nord¬
amerikanische Berichterstattung vor seinen Augen aufzurollen.

David Livingstone, der nun seit 32 Jahren sein Forschungswerk in
Jnnerafrika betreibt, der gegen das anderen Weißen tödtliche Klima gefeit
scheint, der auch nicht, wie viele seiner Collegen, von den Schwarzen ermordet
wird, sondern wirklich ungestraft unter Palmen wandelt, ist nun seit 1866
zur dritten Forschungsreise aufgebrochen. In den sechs Jahren, die er fort
ist, hat er aber nur außerordentlich wenig von sich hören lassen und hatte
er auch Gelegenheit Briefe zu schreiben, so nützte er sie doch nicht aus: kurze
verworrene Berichte, die nur unsichere Anhaltepunkte boten, trafen ein, so
trocken und langweilig geschrieben, daß man sie mißmuthig bei Seite warf.
Der Doctor, wie Livingstone allgemein genannt wird, ist überhaupt kein
Schriftsteller; er gehört nicht zu jener guten Schule von englischen Reisenden,
die wie Wallace, Baker, Burton, Bates u. s. w, das Erlebte vortrefflich
darzustellen wissen; im Gegentheil, in der Vorrede zu seinem zweiten Reise¬
werke „Der Zambesi und seine Zuflüsse" bekennt er ganz offen, er verstände
nicht mit der Feder umzugehen und sei, durch seinen langen Aufenthalt unter
den Schwarzen, einigermaßen der englischen Sprache entwöhnt worden. Und
jetzt erscheint plötzlich ein im prächtigsten Feuilletonstyl geschriebener Artikel
im New-Uork-Herald. Doch wir kommen darauf zurück.

Der schweigsame Doctor, an dem nicht nur sein Vaterland, sondern das
ganze civilisirte Europa Interesse nimmt, ist auf seiner letzten Reise wieder¬
holt verschollen gewesen und nicht weniger als drei Erpeditionen, die zusam¬
men etwa 20,000 Pfund Sterling kosteten, sind ihm nachgesandt worden, um
über sein Leben oder seinen Tod Auskunft zu bringen. Es ist eine Schraube
ohne Ende und sehen wir ab von den arktischen Expeditionen, die zur Auf¬
suchung Sir John Franklins in das Jnselgewirr im Norden Amerikas abge-
sandt wurden, so kennen wir keinen Reisenden — vielleicht Eduard Vogel noch
ausgenommen — hinter dem eine solche Suchjagd angestellt wurde. Als es
1868 hieß: Livingstone ist von den Mahlen ermordet, wurde ihm.Uoung bis
zum Niassa-See nachgeschickt und er kam mit der Nachricht zurück, Livingstone
sei verjüngt und wohlbehalten nach Westen aufgebrochen; im verflossenen Jahr
sammelte man abermals 6000 Pfund Sterling in England und schickte den
Dampfer „Abydos" mit den Lieutenants Dawson und Herr an Bord nach
Zanzibar um hinter dem wiederum verschollenen herzureisen und ihn todt
oder lebendig heimzubringen als sie aber an der afrikanischen Küste an-


Grenzbotw III. 1872. Zg
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/305>, abgerufen am 22.12.2024.