Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band."Aus allem seht Ihr, daß wir wenig zu klagen hatten und weit größer So schildert der alte Küstenwächter die Blüthe Italiens vor zwanzig Da brach eines Tages Krieg mit Frankreich aus. Die Ursache war „Aus allem seht Ihr, daß wir wenig zu klagen hatten und weit größer So schildert der alte Küstenwächter die Blüthe Italiens vor zwanzig Da brach eines Tages Krieg mit Frankreich aus. Die Ursache war <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127958"/> <p xml:id="ID_63"> „Aus allem seht Ihr, daß wir wenig zu klagen hatten und weit größer<lb/> als heute dastanden. Die Eisenbahnen gingen von einem Ende der Halbinsel<lb/> zum andern und waren auch einige von ihnen in den Händen fremder Bankiers,<lb/> so liefen die Schienen doch nicht durch Provinzen unter fremder Herrschaft.<lb/> In unseren Häfen wurden große Verbesserungen gemacht. Ich kann erzählen,<lb/> daß damals Schiffe in den inneren Hafen von Brindisi einliefen, daß der<lb/> Hafen von Neapel nicht, wie heute, durch die Ruinen des Molo verstopft war<lb/> und daß in Genua auf der langen Reihe schöner Kais die Eisenbahn hinlief<lb/> um direct von den Schiffen die Güter aufzunehmen. Zu Venedig, zu Palermo<lb/> und Messina — überall wurde an den Häfen gebaut und zu Livorno hatten<lb/> sie durch ein Werk ersten Ranges einen Binnenhafen hergestellt. An der ligu-<lb/> rischen Küste, in Procida, Castellamare, in Riposto befanden sich herrliche Docks<lb/> und zu Sestri und Livorno waren Werfte, auf denen Panzerfahrzeuge gebaut<lb/> wurden. Unsere Seidenhändler dehnten damals ihre Forschungsreisen bis nach<lb/> Centralasien und Japan aus, um frische Graius zu holen, und fast all¬<lb/> wöchentlich lief aus unseren Häfen ein stattlicher Dampfer nach dem la Plata<lb/> aus. Unser Handel mit Indien begann sich mächtig zu heben und wir sandten<lb/> Dampfer unter unserer Flagge durch den Suezcanal nach Bombay und Cal-<lb/> cutta — zu geschweigen von unseren Segelfahrzeugen, die überall hingingen."</p><lb/> <p xml:id="ID_64"> So schildert der alte Küstenwächter die Blüthe Italiens vor zwanzig<lb/> Jahren — die Zeit, in welcher wir heute leben. Der Friede, der für lange<lb/> Jahre nun folgte, ward von den Italienern mit vollen Zügen genossen — zu<lb/> sehr genossen; sie gaben sich ihm ganz hin und vergaßen den alten Spruch,<lb/> daß im Frieden der Krieg bedacht werden solle. Die einzige Macht, welche<lb/> ihnen mißgünstig gesinnt war, war Frankreich, das die Occupation von Rom<lb/> nie und nimmermehr vergessen konnte, vor der Hand aber die eigenen Hände<lb/> zu voll hatte, um irgendwie zu interveniren. Die italienische Armee war in<lb/> gutem Stande, da sie nach dem deutsch-französischen Kriege reorganisirt worden<lb/> war, dagegen hatte man die Flotte vollständig vernachlässigt, weil sie 1870<lb/> keine Rolle gespielt hatte. So lange der Friede währte, ging die Sache nun<lb/> gut; die Schiffe, welche dienstuntauglich wurden, rangirte man einfach aus,<lb/> ohne daran zu denken, sie zu ersetzen ; die wohlhabenden Marineoffieiere, welche<lb/> sahen, daß in der Flotte kein rechter Zug mehr war, wurden Landratten und<lb/> lebten in Rom oder Neapel; die ärmeren, die auf ihre Gage angewiesen waren,<lb/> blieben freilich, wurden aber mehr und mehr indifferent und sorglos.</p><lb/> <p xml:id="ID_65" next="#ID_66"> Da brach eines Tages Krieg mit Frankreich aus. Die Ursache war<lb/> kleinlich und kaum zu greifen, aber der alte Küstenwächter meint, der tiefere<lb/> Grund sei in der Eitelkeit des Nachbars zu suchen gewesen, die vor langen<lb/> Jahren durch das emancipirte Italien verletzt, nun nach Revanche dürstete.<lb/> Als der Krieg erklärt wurde, bestand die italienische Armee aus 450,000</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
„Aus allem seht Ihr, daß wir wenig zu klagen hatten und weit größer
als heute dastanden. Die Eisenbahnen gingen von einem Ende der Halbinsel
zum andern und waren auch einige von ihnen in den Händen fremder Bankiers,
so liefen die Schienen doch nicht durch Provinzen unter fremder Herrschaft.
In unseren Häfen wurden große Verbesserungen gemacht. Ich kann erzählen,
daß damals Schiffe in den inneren Hafen von Brindisi einliefen, daß der
Hafen von Neapel nicht, wie heute, durch die Ruinen des Molo verstopft war
und daß in Genua auf der langen Reihe schöner Kais die Eisenbahn hinlief
um direct von den Schiffen die Güter aufzunehmen. Zu Venedig, zu Palermo
und Messina — überall wurde an den Häfen gebaut und zu Livorno hatten
sie durch ein Werk ersten Ranges einen Binnenhafen hergestellt. An der ligu-
rischen Küste, in Procida, Castellamare, in Riposto befanden sich herrliche Docks
und zu Sestri und Livorno waren Werfte, auf denen Panzerfahrzeuge gebaut
wurden. Unsere Seidenhändler dehnten damals ihre Forschungsreisen bis nach
Centralasien und Japan aus, um frische Graius zu holen, und fast all¬
wöchentlich lief aus unseren Häfen ein stattlicher Dampfer nach dem la Plata
aus. Unser Handel mit Indien begann sich mächtig zu heben und wir sandten
Dampfer unter unserer Flagge durch den Suezcanal nach Bombay und Cal-
cutta — zu geschweigen von unseren Segelfahrzeugen, die überall hingingen."
So schildert der alte Küstenwächter die Blüthe Italiens vor zwanzig
Jahren — die Zeit, in welcher wir heute leben. Der Friede, der für lange
Jahre nun folgte, ward von den Italienern mit vollen Zügen genossen — zu
sehr genossen; sie gaben sich ihm ganz hin und vergaßen den alten Spruch,
daß im Frieden der Krieg bedacht werden solle. Die einzige Macht, welche
ihnen mißgünstig gesinnt war, war Frankreich, das die Occupation von Rom
nie und nimmermehr vergessen konnte, vor der Hand aber die eigenen Hände
zu voll hatte, um irgendwie zu interveniren. Die italienische Armee war in
gutem Stande, da sie nach dem deutsch-französischen Kriege reorganisirt worden
war, dagegen hatte man die Flotte vollständig vernachlässigt, weil sie 1870
keine Rolle gespielt hatte. So lange der Friede währte, ging die Sache nun
gut; die Schiffe, welche dienstuntauglich wurden, rangirte man einfach aus,
ohne daran zu denken, sie zu ersetzen ; die wohlhabenden Marineoffieiere, welche
sahen, daß in der Flotte kein rechter Zug mehr war, wurden Landratten und
lebten in Rom oder Neapel; die ärmeren, die auf ihre Gage angewiesen waren,
blieben freilich, wurden aber mehr und mehr indifferent und sorglos.
Da brach eines Tages Krieg mit Frankreich aus. Die Ursache war
kleinlich und kaum zu greifen, aber der alte Küstenwächter meint, der tiefere
Grund sei in der Eitelkeit des Nachbars zu suchen gewesen, die vor langen
Jahren durch das emancipirte Italien verletzt, nun nach Revanche dürstete.
Als der Krieg erklärt wurde, bestand die italienische Armee aus 450,000
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