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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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lichst todt zu schweigen, eine Kunst, in der man es bekanntlich im jesuitischen
Lager zu der raffinirtesten Vollkommenheit gebracht hat. Trügen nicht alle
Zeichen, so ist diese Parole dort bereits ausgegeben; um so mehr ist es die
Pflicht jedes ehrlichen Mannes, seine Stimme für dieses Document zu erheben,
dem an innerer Merkwürdigkeit und psychologischer Ueberzeugungskraft nicht
viel zu vergleichen sind. Es soll nicht verwerthet werden, um daraus in der
alten zopfig philiströsen Weise der Aufklärungszeit die Vorzüge des Prote-
stantismus vor dem Katholicismus im Lichte der Vernunft darzuthun. Nichts
würde der Denkungsart des verstorbenen Bekenners serner liegen, der durchaus
innerhalb der supranaturalistischen Sphäre sein religiöses Bewußtsein fixirt
hatte und von allem Rationalismus oder modernem Kriticismus auch als Prote¬
stant ebenso frei blieb, wie er es als katholischer Priester gewesen war. Denn er
gehört ja nicht zu der Kategorie von Convertiten, die durch Zweifel der theo¬
retischen Vernunft oder des Verstandes aus der bisherigen Kirchengemeinschaft
getrieben und einer andern zugeführt wurden, worin sie eine Lösung oder
wenigstens eine Minderung derselben zu finden hofften. Er ist allein von Seite
der praktischen Vernunft, um mit Kant zu reden, des sittlichen Bewußtseins in
seiner religiösen Potenzirung in Conflict mit seiner Kirche gerathen: die Dogmen
sind für ihn, sieht man deutlich, nur insofern eine active Lebensfrage des
Geistes, als sie von diesem Moment erfüllt oder dazu bezogen sind. So hat
er beispielsweise an der in unsern Tagen erfolgten Verkündigung des Dogmas
der unbefleckten Empfängniß nicht etwa aus speculativen Gründen Anstoß
genommen, sondern weil ihm dadurch die Versöhnungslehre und die Bedeutung
des Opfertodes Christi verrückt schien, was dann wieder die Zertrümmerung
der Grundsäulen der Kirche als Heilsanstalt bedeutete.

Sedlnitzky hat noch die ersten Phasen des Altkatholicismus erlebt, denn
er ist erst am 25. März vorigen Jahres gestorben, aber selbst bei längerem
Leben würde er sich ihm nicht angeschlossen haben. Das Dogma von der
päpstlichen Unfehlbarkeit, worauf die Jesuiten, wie bekannt, schon seit ihrer
Gründung lossteuerten und wofür sie alle Hebel in Bewegung setzten, bis sie
durch eine Ueberrumpelung der Gegenpartei und durch eine Reihe der brutalsten
Gewaltacte gegen das Episcopat seine officielle Anerkennung von dem an
Verstände schwächsten aller Nachfolger des Apostels Petrus erzwangen, war
schon lange nicht mehr das einzige, was ihn von der katholischen Kirche der
Gegenwart trennte, wie ja eben an einem eclatanten Beispiele gezeigt wurde.
Denn eine ganze Reihe von Koryphäen der Altkatholiken hat die Verkündigung
der unbefleckten Empfängniß wenigstens stillschweigend hingenommen, freilich
nicht gebilligt, aber auch dieß, fo viel wir wissen, nicht aus den von Sedlnitzky
vorangestellten Motiven, sondern entweder vom Standpunkt der theologischen
Metaphysik, oder von dem ganz praktischen wegen der Bedenklichkeit der Dog-


lichst todt zu schweigen, eine Kunst, in der man es bekanntlich im jesuitischen
Lager zu der raffinirtesten Vollkommenheit gebracht hat. Trügen nicht alle
Zeichen, so ist diese Parole dort bereits ausgegeben; um so mehr ist es die
Pflicht jedes ehrlichen Mannes, seine Stimme für dieses Document zu erheben,
dem an innerer Merkwürdigkeit und psychologischer Ueberzeugungskraft nicht
viel zu vergleichen sind. Es soll nicht verwerthet werden, um daraus in der
alten zopfig philiströsen Weise der Aufklärungszeit die Vorzüge des Prote-
stantismus vor dem Katholicismus im Lichte der Vernunft darzuthun. Nichts
würde der Denkungsart des verstorbenen Bekenners serner liegen, der durchaus
innerhalb der supranaturalistischen Sphäre sein religiöses Bewußtsein fixirt
hatte und von allem Rationalismus oder modernem Kriticismus auch als Prote¬
stant ebenso frei blieb, wie er es als katholischer Priester gewesen war. Denn er
gehört ja nicht zu der Kategorie von Convertiten, die durch Zweifel der theo¬
retischen Vernunft oder des Verstandes aus der bisherigen Kirchengemeinschaft
getrieben und einer andern zugeführt wurden, worin sie eine Lösung oder
wenigstens eine Minderung derselben zu finden hofften. Er ist allein von Seite
der praktischen Vernunft, um mit Kant zu reden, des sittlichen Bewußtseins in
seiner religiösen Potenzirung in Conflict mit seiner Kirche gerathen: die Dogmen
sind für ihn, sieht man deutlich, nur insofern eine active Lebensfrage des
Geistes, als sie von diesem Moment erfüllt oder dazu bezogen sind. So hat
er beispielsweise an der in unsern Tagen erfolgten Verkündigung des Dogmas
der unbefleckten Empfängniß nicht etwa aus speculativen Gründen Anstoß
genommen, sondern weil ihm dadurch die Versöhnungslehre und die Bedeutung
des Opfertodes Christi verrückt schien, was dann wieder die Zertrümmerung
der Grundsäulen der Kirche als Heilsanstalt bedeutete.

Sedlnitzky hat noch die ersten Phasen des Altkatholicismus erlebt, denn
er ist erst am 25. März vorigen Jahres gestorben, aber selbst bei längerem
Leben würde er sich ihm nicht angeschlossen haben. Das Dogma von der
päpstlichen Unfehlbarkeit, worauf die Jesuiten, wie bekannt, schon seit ihrer
Gründung lossteuerten und wofür sie alle Hebel in Bewegung setzten, bis sie
durch eine Ueberrumpelung der Gegenpartei und durch eine Reihe der brutalsten
Gewaltacte gegen das Episcopat seine officielle Anerkennung von dem an
Verstände schwächsten aller Nachfolger des Apostels Petrus erzwangen, war
schon lange nicht mehr das einzige, was ihn von der katholischen Kirche der
Gegenwart trennte, wie ja eben an einem eclatanten Beispiele gezeigt wurde.
Denn eine ganze Reihe von Koryphäen der Altkatholiken hat die Verkündigung
der unbefleckten Empfängniß wenigstens stillschweigend hingenommen, freilich
nicht gebilligt, aber auch dieß, fo viel wir wissen, nicht aus den von Sedlnitzky
vorangestellten Motiven, sondern entweder vom Standpunkt der theologischen
Metaphysik, oder von dem ganz praktischen wegen der Bedenklichkeit der Dog-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/285>, abgerufen am 23.07.2024.