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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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sammelt, was auf die Gewerbthätigkeit des weiten Zarenreiches Bezug hat.
Zum ersten Male erhalten wir in deutscher Sprache eine auf authentische An¬
gaben gegründete Darstellung der Industrie Rußlands sowie ihrer geschicht¬
lichen Entwicklung. Der Handel, der in so enger Beziehung zu den Gewerben
steht, wird überall berücksichtigt und da überall genau die Firmen angeführt
sind, so wird das Werk, wie der Titel auch sagt, "ein industrielles Hand¬
buch für das Gesammtgebiet des russischen Reiches." Erfreulich für uns Deutsche
ist, daß wir auf jeder Seite, in jeder Branche eine große Anzahl deutscher
Firmen finden und daß sie zu den ersten ihrer Art gehören, in manchen Ge¬
schäftszweigen völlig vorherrschen, zeigt die fette Schrift an, mit der sie gedruckt
sind. Gern hätten wir gesehen, daß der Verfasser speciell auf dieses deutsche
Element in der russischen Industrie mehr Nachdruck gelegt hätte, als geschehen
ist, ein Thema, welches er übrigens in seinen "deutschen Ansiedlungen in Nußland"
bereits ausführlich behandelt hat.

Durchblättern wir das Buch, das zum ernsten Studium hiermit empfohlen
wird, so können wir den Eindruck nicht verwischen, daß ein junger Niese seine
Arme zu strecken beginnt und daß hier Anfänge vorhanden, die entschieden
eine gewaltige Entwicklung versprechen, zunächst freilich nur für den inländi¬
schen Verbrauch, dem überhaupt die russische Industrie dienstbar ist. Bis sie,
einige Specialitäten abgerechnet, auch auf dem auswärtigen Markte, mit deutschen,
englischen oder französischen Waaren im Wettbewerb auftreten wird, bis dahin
ist noch ein weiter Weg, der übrigens den Russen auch nicht als Ideal vor¬
schwebt; bisher wenigstens nicht.

Während nun Westeuropa in außerordentlich beschränktem Maße russische
Gewerbserzeugnisse erhält, erobern sich diese mehr und mehr den Markt Jnner-
asiens, wo im Centrum jenes weiten Erdtheils die russischen und englischen
Waaren, und damit, auch die politischen Interessen aufeinanderplatzen. Jedes
im Lauf der Jahre neu eroberte Gebiet in Innerasien wird auch zum Absatz¬
gebiet der russischen Industrie. Daß Nußland vermöge seiner geographischen
Lage darauf angewiesen ist. dort eine Culturmission zu erfüllen, läßt sich gar
nicht bestreiten und es erfüllt dieselbe auch. Seine Erzeugnisse entsprechen
außerdem dem Bedürfnisse oder Geschmack der innerasiatischen Völker und falls
sie nicht entsprechen, werden sie dem Geschmacke angepaßt. Diese Anpassung,
diese zwingende Nothwendigkeit ist überhaupt ein Gesetz für die Industrie vor¬
geschrittener Länder, das diesen von den rohen oder halbbarbarischen Consu-
menten auferlegt wird. Wehe der Messerklinge in Jnnerafrika, welche nicht
die beiden Solinger Zwillinge trägt, wehe der Nürnberger Glasperle am
obern weißen Nil, die nicht eine ganz bestimmte Form oder Farbe hat, wie
ein Schilluk- oder Barinegerfräulein sie der Mode nach verlangt. Kein euro¬
päischer Zuckerfabrikant wird nach Persien einen Hut Zucker absetzen, wenn


Alt'njboten III. 1872. 3

sammelt, was auf die Gewerbthätigkeit des weiten Zarenreiches Bezug hat.
Zum ersten Male erhalten wir in deutscher Sprache eine auf authentische An¬
gaben gegründete Darstellung der Industrie Rußlands sowie ihrer geschicht¬
lichen Entwicklung. Der Handel, der in so enger Beziehung zu den Gewerben
steht, wird überall berücksichtigt und da überall genau die Firmen angeführt
sind, so wird das Werk, wie der Titel auch sagt, „ein industrielles Hand¬
buch für das Gesammtgebiet des russischen Reiches." Erfreulich für uns Deutsche
ist, daß wir auf jeder Seite, in jeder Branche eine große Anzahl deutscher
Firmen finden und daß sie zu den ersten ihrer Art gehören, in manchen Ge¬
schäftszweigen völlig vorherrschen, zeigt die fette Schrift an, mit der sie gedruckt
sind. Gern hätten wir gesehen, daß der Verfasser speciell auf dieses deutsche
Element in der russischen Industrie mehr Nachdruck gelegt hätte, als geschehen
ist, ein Thema, welches er übrigens in seinen „deutschen Ansiedlungen in Nußland"
bereits ausführlich behandelt hat.

Durchblättern wir das Buch, das zum ernsten Studium hiermit empfohlen
wird, so können wir den Eindruck nicht verwischen, daß ein junger Niese seine
Arme zu strecken beginnt und daß hier Anfänge vorhanden, die entschieden
eine gewaltige Entwicklung versprechen, zunächst freilich nur für den inländi¬
schen Verbrauch, dem überhaupt die russische Industrie dienstbar ist. Bis sie,
einige Specialitäten abgerechnet, auch auf dem auswärtigen Markte, mit deutschen,
englischen oder französischen Waaren im Wettbewerb auftreten wird, bis dahin
ist noch ein weiter Weg, der übrigens den Russen auch nicht als Ideal vor¬
schwebt; bisher wenigstens nicht.

Während nun Westeuropa in außerordentlich beschränktem Maße russische
Gewerbserzeugnisse erhält, erobern sich diese mehr und mehr den Markt Jnner-
asiens, wo im Centrum jenes weiten Erdtheils die russischen und englischen
Waaren, und damit, auch die politischen Interessen aufeinanderplatzen. Jedes
im Lauf der Jahre neu eroberte Gebiet in Innerasien wird auch zum Absatz¬
gebiet der russischen Industrie. Daß Nußland vermöge seiner geographischen
Lage darauf angewiesen ist. dort eine Culturmission zu erfüllen, läßt sich gar
nicht bestreiten und es erfüllt dieselbe auch. Seine Erzeugnisse entsprechen
außerdem dem Bedürfnisse oder Geschmack der innerasiatischen Völker und falls
sie nicht entsprechen, werden sie dem Geschmacke angepaßt. Diese Anpassung,
diese zwingende Nothwendigkeit ist überhaupt ein Gesetz für die Industrie vor¬
geschrittener Länder, das diesen von den rohen oder halbbarbarischen Consu-
menten auferlegt wird. Wehe der Messerklinge in Jnnerafrika, welche nicht
die beiden Solinger Zwillinge trägt, wehe der Nürnberger Glasperle am
obern weißen Nil, die nicht eine ganz bestimmte Form oder Farbe hat, wie
ein Schilluk- oder Barinegerfräulein sie der Mode nach verlangt. Kein euro¬
päischer Zuckerfabrikant wird nach Persien einen Hut Zucker absetzen, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/25>, abgerufen am 22.07.2024.