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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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die Mängel nicht trotzdem fort? Das bayerische Heer stehe jetzt noch unter den¬
selben Einflüssen, lebe gleichsam unter denselben Normen wie vor dem Kriege.
Daß inzwischen ein deutsches Reich und ein deutsches Reichsheer eingeführt
ist, mache sich in Bayern kaum fühlbar. Das entspreche den Wünschen des
Herrn Kriegsministers von Pranckh, welcher sowohl der eigentlichste Träger
des bayerischen Separatismus sei, als der Urheber jener exempten Stellung,
die sich Bayern in Versailles für sein Heer zu bewahren wußte. Demgemäß
seien gerade die Paragraphen 61--68 der Reichsverfassung, in denen die Ein¬
heitlichkeit des Reichsheeres ihren Ausdruck findet, für Bayern außer Kraft
gesetzt und nicht einmal eine gemeinsame Kriegskasse (§ 62) mit dem Reiche
in Bayern für wünschenswert!) erachtet. Die Militärhoheit des Reiches, d. h.
des Bundesfeldherrn auch über Bayern, beschränke sich darauf, daß der König
von Bayern dem deutschen Kaiser das Recht zugesteht, die bayerische Armee
zu inspiciren. und der deutsche Kaiser dem König von Bayern während oder
nach einer solchen Inspicirung seine Wünsche und Beschwerden in Betreff des
bayerischen Contingents vortragen darf. Ob der König von Bayern diesem
Vortrage Folge geben will oder nicht, davon stehe nichts geschrieben; der baye¬
rische Soldat dürfe sich sagen, daß der deutsche Kaiser für den Frieden keiner¬
lei Autorität über ihn hat, während er sich im Kriege mit für diese, ihm
gleichsam fremde Persönlichkeit schlagen soll. Der bayerische Soldat sei dem¬
nach in seiner Passivität bayerisch, in seiner Activität deutsch, nur die eine
tröstliche Verpflichtung habe Bayern in den Versailler Verträgen übernommen,
sich der preußisch-deutschen Wehrverfassung in Bezug auf Organisation, For¬
mation und Gebühren seiner Truppen anzuschließen.

So eingehend, wie wir kurz, hatte der Verfasser in diesem Sinne den
Separatismus im bayerischen Heerwesen kritisirt, als durch die "Neuformation"
der bayerischen Armee Bayern sich anschickte, seinen im Versailler Vertrag
übernommenen Verpflichtungen zu genügen.

Bayern erließ bei dieser Gelegenheit so massenhafte Verordnungen, daß
selbst so große und besonnene Blätter wie die Kölnische Zeitung sich vollstän¬
dig täuschen ließen und vergnügt ausriefen, daß die volle Einheit des kaiser¬
lichen Heeres nun hergestellt sei. Diesen Sanguinikern gegenüber zählt unsre
Schrift nun zunächst in größter Unparteilichkeit und Uebersichtlichkeit auf,
was eigentlich durch die "Neuformation" in Bayern neu und anders ge¬
worden sei. und prüft hierauf diese Reformen nach der Richtung der Einheit¬
lichkeit des deutschen Heerwesens. Durch die Versailler Vereinbarungen seien
die Militairbudgets Deutschlands und Bayerns insofern gleichmäßige gewor¬
den, als auch Bayern sich verpflichtet habe, 22S Thaler drei Jahre lang pro
Kopf der präsenten Mannschaft (g. der Bevölkerung) jährlich zu verwenden.
Die speciellen Etats habe man Bayern überlassen. Nun seien durch die "Neu-


Grenzboten III. 1872. 30

die Mängel nicht trotzdem fort? Das bayerische Heer stehe jetzt noch unter den¬
selben Einflüssen, lebe gleichsam unter denselben Normen wie vor dem Kriege.
Daß inzwischen ein deutsches Reich und ein deutsches Reichsheer eingeführt
ist, mache sich in Bayern kaum fühlbar. Das entspreche den Wünschen des
Herrn Kriegsministers von Pranckh, welcher sowohl der eigentlichste Träger
des bayerischen Separatismus sei, als der Urheber jener exempten Stellung,
die sich Bayern in Versailles für sein Heer zu bewahren wußte. Demgemäß
seien gerade die Paragraphen 61—68 der Reichsverfassung, in denen die Ein¬
heitlichkeit des Reichsheeres ihren Ausdruck findet, für Bayern außer Kraft
gesetzt und nicht einmal eine gemeinsame Kriegskasse (§ 62) mit dem Reiche
in Bayern für wünschenswert!) erachtet. Die Militärhoheit des Reiches, d. h.
des Bundesfeldherrn auch über Bayern, beschränke sich darauf, daß der König
von Bayern dem deutschen Kaiser das Recht zugesteht, die bayerische Armee
zu inspiciren. und der deutsche Kaiser dem König von Bayern während oder
nach einer solchen Inspicirung seine Wünsche und Beschwerden in Betreff des
bayerischen Contingents vortragen darf. Ob der König von Bayern diesem
Vortrage Folge geben will oder nicht, davon stehe nichts geschrieben; der baye¬
rische Soldat dürfe sich sagen, daß der deutsche Kaiser für den Frieden keiner¬
lei Autorität über ihn hat, während er sich im Kriege mit für diese, ihm
gleichsam fremde Persönlichkeit schlagen soll. Der bayerische Soldat sei dem¬
nach in seiner Passivität bayerisch, in seiner Activität deutsch, nur die eine
tröstliche Verpflichtung habe Bayern in den Versailler Verträgen übernommen,
sich der preußisch-deutschen Wehrverfassung in Bezug auf Organisation, For¬
mation und Gebühren seiner Truppen anzuschließen.

So eingehend, wie wir kurz, hatte der Verfasser in diesem Sinne den
Separatismus im bayerischen Heerwesen kritisirt, als durch die „Neuformation"
der bayerischen Armee Bayern sich anschickte, seinen im Versailler Vertrag
übernommenen Verpflichtungen zu genügen.

Bayern erließ bei dieser Gelegenheit so massenhafte Verordnungen, daß
selbst so große und besonnene Blätter wie die Kölnische Zeitung sich vollstän¬
dig täuschen ließen und vergnügt ausriefen, daß die volle Einheit des kaiser¬
lichen Heeres nun hergestellt sei. Diesen Sanguinikern gegenüber zählt unsre
Schrift nun zunächst in größter Unparteilichkeit und Uebersichtlichkeit auf,
was eigentlich durch die „Neuformation" in Bayern neu und anders ge¬
worden sei. und prüft hierauf diese Reformen nach der Richtung der Einheit¬
lichkeit des deutschen Heerwesens. Durch die Versailler Vereinbarungen seien
die Militairbudgets Deutschlands und Bayerns insofern gleichmäßige gewor¬
den, als auch Bayern sich verpflichtet habe, 22S Thaler drei Jahre lang pro
Kopf der präsenten Mannschaft (g. der Bevölkerung) jährlich zu verwenden.
Die speciellen Etats habe man Bayern überlassen. Nun seien durch die „Neu-


Grenzboten III. 1872. 30
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[0241] die Mängel nicht trotzdem fort? Das bayerische Heer stehe jetzt noch unter den¬ selben Einflüssen, lebe gleichsam unter denselben Normen wie vor dem Kriege. Daß inzwischen ein deutsches Reich und ein deutsches Reichsheer eingeführt ist, mache sich in Bayern kaum fühlbar. Das entspreche den Wünschen des Herrn Kriegsministers von Pranckh, welcher sowohl der eigentlichste Träger des bayerischen Separatismus sei, als der Urheber jener exempten Stellung, die sich Bayern in Versailles für sein Heer zu bewahren wußte. Demgemäß seien gerade die Paragraphen 61—68 der Reichsverfassung, in denen die Ein¬ heitlichkeit des Reichsheeres ihren Ausdruck findet, für Bayern außer Kraft gesetzt und nicht einmal eine gemeinsame Kriegskasse (§ 62) mit dem Reiche in Bayern für wünschenswert!) erachtet. Die Militärhoheit des Reiches, d. h. des Bundesfeldherrn auch über Bayern, beschränke sich darauf, daß der König von Bayern dem deutschen Kaiser das Recht zugesteht, die bayerische Armee zu inspiciren. und der deutsche Kaiser dem König von Bayern während oder nach einer solchen Inspicirung seine Wünsche und Beschwerden in Betreff des bayerischen Contingents vortragen darf. Ob der König von Bayern diesem Vortrage Folge geben will oder nicht, davon stehe nichts geschrieben; der baye¬ rische Soldat dürfe sich sagen, daß der deutsche Kaiser für den Frieden keiner¬ lei Autorität über ihn hat, während er sich im Kriege mit für diese, ihm gleichsam fremde Persönlichkeit schlagen soll. Der bayerische Soldat sei dem¬ nach in seiner Passivität bayerisch, in seiner Activität deutsch, nur die eine tröstliche Verpflichtung habe Bayern in den Versailler Verträgen übernommen, sich der preußisch-deutschen Wehrverfassung in Bezug auf Organisation, For¬ mation und Gebühren seiner Truppen anzuschließen. So eingehend, wie wir kurz, hatte der Verfasser in diesem Sinne den Separatismus im bayerischen Heerwesen kritisirt, als durch die „Neuformation" der bayerischen Armee Bayern sich anschickte, seinen im Versailler Vertrag übernommenen Verpflichtungen zu genügen. Bayern erließ bei dieser Gelegenheit so massenhafte Verordnungen, daß selbst so große und besonnene Blätter wie die Kölnische Zeitung sich vollstän¬ dig täuschen ließen und vergnügt ausriefen, daß die volle Einheit des kaiser¬ lichen Heeres nun hergestellt sei. Diesen Sanguinikern gegenüber zählt unsre Schrift nun zunächst in größter Unparteilichkeit und Uebersichtlichkeit auf, was eigentlich durch die „Neuformation" in Bayern neu und anders ge¬ worden sei. und prüft hierauf diese Reformen nach der Richtung der Einheit¬ lichkeit des deutschen Heerwesens. Durch die Versailler Vereinbarungen seien die Militairbudgets Deutschlands und Bayerns insofern gleichmäßige gewor¬ den, als auch Bayern sich verpflichtet habe, 22S Thaler drei Jahre lang pro Kopf der präsenten Mannschaft (g. der Bevölkerung) jährlich zu verwenden. Die speciellen Etats habe man Bayern überlassen. Nun seien durch die „Neu- Grenzboten III. 1872. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/241>, abgerufen am 22.07.2024.