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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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nach einem völkerrechtlichen Grundsatze Inseln eher zum Festlande als zu einer
andern Insel und schließlich ist der San-Juan-Archipel für die Vereinigten
Staaten ungleich wichtiger als für England. Letzteres hat im Victoriahafen
der Vancouverinseln -- wenige Stunden nur von San-Juan entfernt -- Alles,
was es in diesen Regionen für Kriegs- und Handelszwecke nur wünschen kann,
während die Vereinigten Staaten den Archipel als militärische und Marine¬
station gebrauchen um den Puget Sund zu schützen. Und die Wichtigkeit des
letzteren nimmt von Jahr zu Jahr zu; er wird der große Concurrent San-
Franciscos; hier wird die nördliche Pacificbahn, an der stark gebaut wird,
enden, hier wird ein Hauptemporium des asiatisch-amerikanischen Handels ent¬
stehen und diesen Handel sollte der Amerikaner unter den Schlünden britischer
Kanonen betreiben? Man ist hier in derlei Dingen höchst empfindlich und
noch kürzlich citirte der Herald, um die englischen Prätensionen zu beweisen,
eine schon 1838 niedergeschriebene Stelle aus den "Household Worts" von
Charles Dickens: "Unsere britische Regierung muß aus einer dieser Inseln
ein zweites Kronstäbe machen und sich so, wie mit einem Vorlegeschloß, ihre
Besitzungen an der pacifischen Küste sichern." Aber das ist sicher: Vorlege¬
schlösser und seien es patentirte englische, verträgt der Amerikaner nicht mehr.

So lange die Inseln unbeachtet und einziges Eigenthum einiger nomadi-
sirenden Jndianerhorden vom Lummistamm blieben, ging alles gut. Als aber
in jene abgelegenen Gegenden allmählich weiße Ansiedler einrückten und zwar
sowohl von der amerikanischen wie britischen Seite, da tauchte die praktische
Frage auf: wem gehören jene Inseln? Im December 1833 landete die
Hudsonsbai-Compagnie auf San Juan etwa 1200 Schafe, die dort von den
saftigen Waiden sich nähren sollten. "Was", rief der amerikanische Zollinspee-
tor am Puget-Sunde, "englische Schafe auf amerikanischem Boden! Das geht
nicht." Er confiscirte die arglose Heerde, benachrichtigte davon den englischen
Gouverneur auf Vancouver-Jsland und setzte sogar amerikanische Beamte für
San Juan ein, als der Engländer protestirte.

Damit begann der Conflict. Hätten nun nicht die Indianer gleich in
jenem Jahre den amerikanischen Zollinsvector vertrieben, so würde damals
schon ein Zusammenstoß zu fürchten gewesen sein; aber mit den Indianern
rechnete man nicht diplomatisch. Die Diplomatie trat erst im folgenden Jahr
in Thätigkeit als die Legislatur des Territoriums Washington aus dem
Archipel eine eigene Grafschaft unter dem Namen Whateom-County bildete
und für diese die Steuern aufschrieb. Die Hudsonsbaileute verweigerten aber
jegliche Zahlung und nun pfändeten und verkauften die Amerikaner 30 Stück
Schafe, um die Steuern einzubringen, wofür die Hudsonsbai-Compagnie einen
Schadenanspruch von 2990 Pfund Sterling erhob. Jetzt begann der Schriften¬
wechsel, den wir mit seinem oben schon entwickelten pro und contra übergehen.


nach einem völkerrechtlichen Grundsatze Inseln eher zum Festlande als zu einer
andern Insel und schließlich ist der San-Juan-Archipel für die Vereinigten
Staaten ungleich wichtiger als für England. Letzteres hat im Victoriahafen
der Vancouverinseln — wenige Stunden nur von San-Juan entfernt — Alles,
was es in diesen Regionen für Kriegs- und Handelszwecke nur wünschen kann,
während die Vereinigten Staaten den Archipel als militärische und Marine¬
station gebrauchen um den Puget Sund zu schützen. Und die Wichtigkeit des
letzteren nimmt von Jahr zu Jahr zu; er wird der große Concurrent San-
Franciscos; hier wird die nördliche Pacificbahn, an der stark gebaut wird,
enden, hier wird ein Hauptemporium des asiatisch-amerikanischen Handels ent¬
stehen und diesen Handel sollte der Amerikaner unter den Schlünden britischer
Kanonen betreiben? Man ist hier in derlei Dingen höchst empfindlich und
noch kürzlich citirte der Herald, um die englischen Prätensionen zu beweisen,
eine schon 1838 niedergeschriebene Stelle aus den „Household Worts" von
Charles Dickens: „Unsere britische Regierung muß aus einer dieser Inseln
ein zweites Kronstäbe machen und sich so, wie mit einem Vorlegeschloß, ihre
Besitzungen an der pacifischen Küste sichern." Aber das ist sicher: Vorlege¬
schlösser und seien es patentirte englische, verträgt der Amerikaner nicht mehr.

So lange die Inseln unbeachtet und einziges Eigenthum einiger nomadi-
sirenden Jndianerhorden vom Lummistamm blieben, ging alles gut. Als aber
in jene abgelegenen Gegenden allmählich weiße Ansiedler einrückten und zwar
sowohl von der amerikanischen wie britischen Seite, da tauchte die praktische
Frage auf: wem gehören jene Inseln? Im December 1833 landete die
Hudsonsbai-Compagnie auf San Juan etwa 1200 Schafe, die dort von den
saftigen Waiden sich nähren sollten. „Was", rief der amerikanische Zollinspee-
tor am Puget-Sunde, „englische Schafe auf amerikanischem Boden! Das geht
nicht." Er confiscirte die arglose Heerde, benachrichtigte davon den englischen
Gouverneur auf Vancouver-Jsland und setzte sogar amerikanische Beamte für
San Juan ein, als der Engländer protestirte.

Damit begann der Conflict. Hätten nun nicht die Indianer gleich in
jenem Jahre den amerikanischen Zollinsvector vertrieben, so würde damals
schon ein Zusammenstoß zu fürchten gewesen sein; aber mit den Indianern
rechnete man nicht diplomatisch. Die Diplomatie trat erst im folgenden Jahr
in Thätigkeit als die Legislatur des Territoriums Washington aus dem
Archipel eine eigene Grafschaft unter dem Namen Whateom-County bildete
und für diese die Steuern aufschrieb. Die Hudsonsbaileute verweigerten aber
jegliche Zahlung und nun pfändeten und verkauften die Amerikaner 30 Stück
Schafe, um die Steuern einzubringen, wofür die Hudsonsbai-Compagnie einen
Schadenanspruch von 2990 Pfund Sterling erhob. Jetzt begann der Schriften¬
wechsel, den wir mit seinem oben schon entwickelten pro und contra übergehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/238>, abgerufen am 22.12.2024.