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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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über den ganzen Erdball und schauen Sie die feinen Pünktchen näher an,
so finden sie dieselben überall da auf Inseln oder Landspitzen, wo eine wichtige
commerzielle oder strategische Position zu besetzen ist. Dieses England, das
mit seinen Polhpenarmen den Erdball umspannt, hat sich allen anderen Völkern
gleichsam aus die Nase gesetzt und überwacht deren Niesen. Von Helgoland
aus dominirt es die deutschen Weser-und Elbmündungen; in Gibraltar ärgert
es durch seine Anwesenheit die Spanier und sperrt den Zugang zum Mittel¬
meer, im letzteren selbst herrscht es durch den uneinnehmbaren Felsen Malta.
Das Rothe Meer und damit die Handelsstraße nach Indien sind durch Perim
und Aden geschlossen, Singapore überwacht die ostasiatische Inselwelt, Hong¬
kong, die chinesischen Küsten und so fort durch alle Meere und Kontinente. In
der San-Juan-Frage nun handelt es sich darum, ob die Engländer auch einen
der wichtigsten Häfen der amerikanischen Union, einen der Ausgangspunkte
des nordamerikanischen Eisenbahnsystems und einen neu aufblühenden Welt¬
handelsplatz durch ihre Kanonen beherrschen und beliebig absperren können.
Es ist das ein alter Streit, den jetzt der deutsche Kaiser entscheiden soll, und
bereits im Jahrgang 1859 veröffentlichten die "Geographischen Mittheilungen"
von Petermann eine Karte, auf welcher das streitige Object, der Haro oder
San-Juan-Archipel, in ziemlich großem Maßstabe dargestellt ist. Es sind also
dreizehn Jahre seitdem vergangen.

Ehe wir in^die Streitfrage selbst eingehen, mögen hier noch einige Worte
über das streitige Object stehen. Unter 123" westliche Länge von Grenwich
und 48° 30 nördliche Breite liegen an der Nordwestküste Amerikas, zwischen
dem Festlande der Vereinigten Staaten und der großen britischen Insel
Vancouver eine Anzahl kleiner Eilande, die zusammen der San-Juan- oder
Haro-Archipel genannt werden. Die Hauptinsel San-Juan ist 14 englische
Meilen lang und etwa 4^ breit; ihre Oberfläche umfaßt 54 englische Quadrat¬
meilen. Die übrigen Inseln des Archipels: Oreas, Lopez, Blakely, Stuart,
Waldron, Palos, Decatur u. s. w. sind kleiner. Im Osten sind die Inseln
vom amerikanischen Festlande (Territorium Washington) durch die Rosario-
Straße, im Westen von der englischen Vancouver Insel durch die Haro-Straße
getrennt. Die Briten nun beanspruchen die Rosario-, die Amerikaner die
Harostraße als Grenze. Schuld an dieser verschiedenen Auffassung und den
daraus erwachsenen Streitigkeiten ist eine ungenaue Bestimmung in dem
britisch-amerikanischen Grenzvertrage vom 15. Juni 1846. Hier heißt es:
etat tre line ok dounclai^ betveen elf on'tea states ana elf dritislr posses-
sions sdoulä rum nestnarcl alovA tke 49 du parallel ok nortli latituäe to
tre miääls ok tre marmel, vlrielr separates tke Lovtinent trou Vaneouvers
Islanä ana tkenee soutdeil^ tnrougli elle miääle ot elle sala enaimel ana
ok ?uoa Ltraits to ins kaeitie Ocean. Also: daß die Grenzlinie zwischen den


über den ganzen Erdball und schauen Sie die feinen Pünktchen näher an,
so finden sie dieselben überall da auf Inseln oder Landspitzen, wo eine wichtige
commerzielle oder strategische Position zu besetzen ist. Dieses England, das
mit seinen Polhpenarmen den Erdball umspannt, hat sich allen anderen Völkern
gleichsam aus die Nase gesetzt und überwacht deren Niesen. Von Helgoland
aus dominirt es die deutschen Weser-und Elbmündungen; in Gibraltar ärgert
es durch seine Anwesenheit die Spanier und sperrt den Zugang zum Mittel¬
meer, im letzteren selbst herrscht es durch den uneinnehmbaren Felsen Malta.
Das Rothe Meer und damit die Handelsstraße nach Indien sind durch Perim
und Aden geschlossen, Singapore überwacht die ostasiatische Inselwelt, Hong¬
kong, die chinesischen Küsten und so fort durch alle Meere und Kontinente. In
der San-Juan-Frage nun handelt es sich darum, ob die Engländer auch einen
der wichtigsten Häfen der amerikanischen Union, einen der Ausgangspunkte
des nordamerikanischen Eisenbahnsystems und einen neu aufblühenden Welt¬
handelsplatz durch ihre Kanonen beherrschen und beliebig absperren können.
Es ist das ein alter Streit, den jetzt der deutsche Kaiser entscheiden soll, und
bereits im Jahrgang 1859 veröffentlichten die „Geographischen Mittheilungen"
von Petermann eine Karte, auf welcher das streitige Object, der Haro oder
San-Juan-Archipel, in ziemlich großem Maßstabe dargestellt ist. Es sind also
dreizehn Jahre seitdem vergangen.

Ehe wir in^die Streitfrage selbst eingehen, mögen hier noch einige Worte
über das streitige Object stehen. Unter 123" westliche Länge von Grenwich
und 48° 30 nördliche Breite liegen an der Nordwestküste Amerikas, zwischen
dem Festlande der Vereinigten Staaten und der großen britischen Insel
Vancouver eine Anzahl kleiner Eilande, die zusammen der San-Juan- oder
Haro-Archipel genannt werden. Die Hauptinsel San-Juan ist 14 englische
Meilen lang und etwa 4^ breit; ihre Oberfläche umfaßt 54 englische Quadrat¬
meilen. Die übrigen Inseln des Archipels: Oreas, Lopez, Blakely, Stuart,
Waldron, Palos, Decatur u. s. w. sind kleiner. Im Osten sind die Inseln
vom amerikanischen Festlande (Territorium Washington) durch die Rosario-
Straße, im Westen von der englischen Vancouver Insel durch die Haro-Straße
getrennt. Die Briten nun beanspruchen die Rosario-, die Amerikaner die
Harostraße als Grenze. Schuld an dieser verschiedenen Auffassung und den
daraus erwachsenen Streitigkeiten ist eine ungenaue Bestimmung in dem
britisch-amerikanischen Grenzvertrage vom 15. Juni 1846. Hier heißt es:
etat tre line ok dounclai^ betveen elf on'tea states ana elf dritislr posses-
sions sdoulä rum nestnarcl alovA tke 49 du parallel ok nortli latituäe to
tre miääls ok tre marmel, vlrielr separates tke Lovtinent trou Vaneouvers
Islanä ana tkenee soutdeil^ tnrougli elle miääle ot elle sala enaimel ana
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[0236] über den ganzen Erdball und schauen Sie die feinen Pünktchen näher an, so finden sie dieselben überall da auf Inseln oder Landspitzen, wo eine wichtige commerzielle oder strategische Position zu besetzen ist. Dieses England, das mit seinen Polhpenarmen den Erdball umspannt, hat sich allen anderen Völkern gleichsam aus die Nase gesetzt und überwacht deren Niesen. Von Helgoland aus dominirt es die deutschen Weser-und Elbmündungen; in Gibraltar ärgert es durch seine Anwesenheit die Spanier und sperrt den Zugang zum Mittel¬ meer, im letzteren selbst herrscht es durch den uneinnehmbaren Felsen Malta. Das Rothe Meer und damit die Handelsstraße nach Indien sind durch Perim und Aden geschlossen, Singapore überwacht die ostasiatische Inselwelt, Hong¬ kong, die chinesischen Küsten und so fort durch alle Meere und Kontinente. In der San-Juan-Frage nun handelt es sich darum, ob die Engländer auch einen der wichtigsten Häfen der amerikanischen Union, einen der Ausgangspunkte des nordamerikanischen Eisenbahnsystems und einen neu aufblühenden Welt¬ handelsplatz durch ihre Kanonen beherrschen und beliebig absperren können. Es ist das ein alter Streit, den jetzt der deutsche Kaiser entscheiden soll, und bereits im Jahrgang 1859 veröffentlichten die „Geographischen Mittheilungen" von Petermann eine Karte, auf welcher das streitige Object, der Haro oder San-Juan-Archipel, in ziemlich großem Maßstabe dargestellt ist. Es sind also dreizehn Jahre seitdem vergangen. Ehe wir in^die Streitfrage selbst eingehen, mögen hier noch einige Worte über das streitige Object stehen. Unter 123" westliche Länge von Grenwich und 48° 30 nördliche Breite liegen an der Nordwestküste Amerikas, zwischen dem Festlande der Vereinigten Staaten und der großen britischen Insel Vancouver eine Anzahl kleiner Eilande, die zusammen der San-Juan- oder Haro-Archipel genannt werden. Die Hauptinsel San-Juan ist 14 englische Meilen lang und etwa 4^ breit; ihre Oberfläche umfaßt 54 englische Quadrat¬ meilen. Die übrigen Inseln des Archipels: Oreas, Lopez, Blakely, Stuart, Waldron, Palos, Decatur u. s. w. sind kleiner. Im Osten sind die Inseln vom amerikanischen Festlande (Territorium Washington) durch die Rosario- Straße, im Westen von der englischen Vancouver Insel durch die Haro-Straße getrennt. Die Briten nun beanspruchen die Rosario-, die Amerikaner die Harostraße als Grenze. Schuld an dieser verschiedenen Auffassung und den daraus erwachsenen Streitigkeiten ist eine ungenaue Bestimmung in dem britisch-amerikanischen Grenzvertrage vom 15. Juni 1846. Hier heißt es: etat tre line ok dounclai^ betveen elf on'tea states ana elf dritislr posses- sions sdoulä rum nestnarcl alovA tke 49 du parallel ok nortli latituäe to tre miääls ok tre marmel, vlrielr separates tke Lovtinent trou Vaneouvers Islanä ana tkenee soutdeil^ tnrougli elle miääle ot elle sala enaimel ana ok ?uoa Ltraits to ins kaeitie Ocean. Also: daß die Grenzlinie zwischen den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/236>, abgerufen am 22.07.2024.