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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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der deutschen Reichsgesetzgebung -- hat die Abhaltung deutscher Schützenfeste
einen solchen Grad von politischer Lächerlichkeit erreicht, daß es höchste Zeit
für jeden ernsten deutschen Mann wird, sich von der widerlichen Kinderei
dieser Joppenreden fern zu halten. Wenn aber für irgend wen diese Pflicht
der Selbstachtung noch zweifelhaft sein könnte, so muß die Entstehungsge¬
schichte des Redeprogramms für unser hannöversches Schützenfest, welche schon
die Weser-Zeitung richtig wiedergegeben hat, auch die letzten Zweifel hinweg¬
räumen. Hier sollte ursprünglich das "deutsche Bundesschießen" nur ein
Fest von Welsen für Welsen werden. Und das wäre nach unsrer innigsten
Ueberzeugung am nützlichsten gewesen. Aber um des lieben Friedens willen
folgten leider die deutschgesinnten Schützenkreise der Stadt, der noch in elfter
Stunde an sie gerichteten Einladung zur Betheiligung. Und nun kam jenes
denkwürdige Compromiß in Betreff der Festreden zu Stande, wonach man
das Reden vorzugsweise den Fremden (!) überlassen, und wenn Hannoveraner
das Wort zu nehmen hätten, lediglich den nationalen Gedanken, die Zusam¬
mengehörigkeit aller deutschen Stämme betonen wollte. Klarer kann der
Unfug und Unsinn solcher Festreden wohl nicht ausgedrückt werden. An sich
reden nur Fremde, und wenn ausnahmsweise mal ein Einheimischer spricht,
so darf er sich bei Leibe nicht freuen über die politischen Fortschritte seit
1866, sondern er muß wieder auf den Vater Attinghausen zurückgreifen und
auf die Kraftworte der Rütliscene, denn Erinnerungen aus späteren Jahr¬
hunderten und namentlich aus dem letzten Lustrum würden den Verein "der
fröhlichen Wiederkehr" und andere Welfenklubbs verdrießen. Und so kam es
denn, daß der Gesinnungsgenosse unseres großen Ewald, der Advocat Fischer II.,
von "echt deutscher Gesinnung, deutschem Vaterland und deutschem Heimweh"
zu reden hatte, und daß Herr Kopp aus Wien es "geziemend" fand, "jenes
großen Mannes zu gedenken, der an der Spitze der neuesten Ereignisse stand",
und nun dem deutschen Kaiser ein Hoch brachte. In Ems scheint die Er¬
innerung an Zug aber doch länger vorgehalten zu haben, als in Wien und
Hannover. Wir haben von einer kaiserlichen Antwort nichts erfahren, ob¬
wohl bekanntlich unser Kaiser schon viel kleineren Versammlungen auf das
Freundlichste gedankt hat.

Und selbst der letzte Vorwand für die angeblich politische Bedeutung solcher
Schützenfeste und Schützenreden: daß sich die einzelnen deutschen Stämme kennen
lernen, und das Verhältniß zu den Brüdern Oesterreichs sich dort klare, ist
völlig unstichhaltig. Nirgends verwischt sich die Originalität des Stammes
mehr, als beim Wein im allgemeinen Festgetümmel. Und wer bürgt uns
überhaupt dafür, daß hier legitimirte Vertreter deutscher Stämme sitzen? Wo
ist hier Zeit und Stimmung, ruhig in die Eigenart dieser Stämme sich zu
vertiefen, und bei aller Verschiedenheit der Denkart und Bestrebungen doch


der deutschen Reichsgesetzgebung — hat die Abhaltung deutscher Schützenfeste
einen solchen Grad von politischer Lächerlichkeit erreicht, daß es höchste Zeit
für jeden ernsten deutschen Mann wird, sich von der widerlichen Kinderei
dieser Joppenreden fern zu halten. Wenn aber für irgend wen diese Pflicht
der Selbstachtung noch zweifelhaft sein könnte, so muß die Entstehungsge¬
schichte des Redeprogramms für unser hannöversches Schützenfest, welche schon
die Weser-Zeitung richtig wiedergegeben hat, auch die letzten Zweifel hinweg¬
räumen. Hier sollte ursprünglich das „deutsche Bundesschießen" nur ein
Fest von Welsen für Welsen werden. Und das wäre nach unsrer innigsten
Ueberzeugung am nützlichsten gewesen. Aber um des lieben Friedens willen
folgten leider die deutschgesinnten Schützenkreise der Stadt, der noch in elfter
Stunde an sie gerichteten Einladung zur Betheiligung. Und nun kam jenes
denkwürdige Compromiß in Betreff der Festreden zu Stande, wonach man
das Reden vorzugsweise den Fremden (!) überlassen, und wenn Hannoveraner
das Wort zu nehmen hätten, lediglich den nationalen Gedanken, die Zusam¬
mengehörigkeit aller deutschen Stämme betonen wollte. Klarer kann der
Unfug und Unsinn solcher Festreden wohl nicht ausgedrückt werden. An sich
reden nur Fremde, und wenn ausnahmsweise mal ein Einheimischer spricht,
so darf er sich bei Leibe nicht freuen über die politischen Fortschritte seit
1866, sondern er muß wieder auf den Vater Attinghausen zurückgreifen und
auf die Kraftworte der Rütliscene, denn Erinnerungen aus späteren Jahr¬
hunderten und namentlich aus dem letzten Lustrum würden den Verein „der
fröhlichen Wiederkehr" und andere Welfenklubbs verdrießen. Und so kam es
denn, daß der Gesinnungsgenosse unseres großen Ewald, der Advocat Fischer II.,
von „echt deutscher Gesinnung, deutschem Vaterland und deutschem Heimweh"
zu reden hatte, und daß Herr Kopp aus Wien es „geziemend" fand, „jenes
großen Mannes zu gedenken, der an der Spitze der neuesten Ereignisse stand",
und nun dem deutschen Kaiser ein Hoch brachte. In Ems scheint die Er¬
innerung an Zug aber doch länger vorgehalten zu haben, als in Wien und
Hannover. Wir haben von einer kaiserlichen Antwort nichts erfahren, ob¬
wohl bekanntlich unser Kaiser schon viel kleineren Versammlungen auf das
Freundlichste gedankt hat.

Und selbst der letzte Vorwand für die angeblich politische Bedeutung solcher
Schützenfeste und Schützenreden: daß sich die einzelnen deutschen Stämme kennen
lernen, und das Verhältniß zu den Brüdern Oesterreichs sich dort klare, ist
völlig unstichhaltig. Nirgends verwischt sich die Originalität des Stammes
mehr, als beim Wein im allgemeinen Festgetümmel. Und wer bürgt uns
überhaupt dafür, daß hier legitimirte Vertreter deutscher Stämme sitzen? Wo
ist hier Zeit und Stimmung, ruhig in die Eigenart dieser Stämme sich zu
vertiefen, und bei aller Verschiedenheit der Denkart und Bestrebungen doch


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[0203] der deutschen Reichsgesetzgebung — hat die Abhaltung deutscher Schützenfeste einen solchen Grad von politischer Lächerlichkeit erreicht, daß es höchste Zeit für jeden ernsten deutschen Mann wird, sich von der widerlichen Kinderei dieser Joppenreden fern zu halten. Wenn aber für irgend wen diese Pflicht der Selbstachtung noch zweifelhaft sein könnte, so muß die Entstehungsge¬ schichte des Redeprogramms für unser hannöversches Schützenfest, welche schon die Weser-Zeitung richtig wiedergegeben hat, auch die letzten Zweifel hinweg¬ räumen. Hier sollte ursprünglich das „deutsche Bundesschießen" nur ein Fest von Welsen für Welsen werden. Und das wäre nach unsrer innigsten Ueberzeugung am nützlichsten gewesen. Aber um des lieben Friedens willen folgten leider die deutschgesinnten Schützenkreise der Stadt, der noch in elfter Stunde an sie gerichteten Einladung zur Betheiligung. Und nun kam jenes denkwürdige Compromiß in Betreff der Festreden zu Stande, wonach man das Reden vorzugsweise den Fremden (!) überlassen, und wenn Hannoveraner das Wort zu nehmen hätten, lediglich den nationalen Gedanken, die Zusam¬ mengehörigkeit aller deutschen Stämme betonen wollte. Klarer kann der Unfug und Unsinn solcher Festreden wohl nicht ausgedrückt werden. An sich reden nur Fremde, und wenn ausnahmsweise mal ein Einheimischer spricht, so darf er sich bei Leibe nicht freuen über die politischen Fortschritte seit 1866, sondern er muß wieder auf den Vater Attinghausen zurückgreifen und auf die Kraftworte der Rütliscene, denn Erinnerungen aus späteren Jahr¬ hunderten und namentlich aus dem letzten Lustrum würden den Verein „der fröhlichen Wiederkehr" und andere Welfenklubbs verdrießen. Und so kam es denn, daß der Gesinnungsgenosse unseres großen Ewald, der Advocat Fischer II., von „echt deutscher Gesinnung, deutschem Vaterland und deutschem Heimweh" zu reden hatte, und daß Herr Kopp aus Wien es „geziemend" fand, „jenes großen Mannes zu gedenken, der an der Spitze der neuesten Ereignisse stand", und nun dem deutschen Kaiser ein Hoch brachte. In Ems scheint die Er¬ innerung an Zug aber doch länger vorgehalten zu haben, als in Wien und Hannover. Wir haben von einer kaiserlichen Antwort nichts erfahren, ob¬ wohl bekanntlich unser Kaiser schon viel kleineren Versammlungen auf das Freundlichste gedankt hat. Und selbst der letzte Vorwand für die angeblich politische Bedeutung solcher Schützenfeste und Schützenreden: daß sich die einzelnen deutschen Stämme kennen lernen, und das Verhältniß zu den Brüdern Oesterreichs sich dort klare, ist völlig unstichhaltig. Nirgends verwischt sich die Originalität des Stammes mehr, als beim Wein im allgemeinen Festgetümmel. Und wer bürgt uns überhaupt dafür, daß hier legitimirte Vertreter deutscher Stämme sitzen? Wo ist hier Zeit und Stimmung, ruhig in die Eigenart dieser Stämme sich zu vertiefen, und bei aller Verschiedenheit der Denkart und Bestrebungen doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/203>, abgerufen am 29.09.2024.