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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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lang fort. Die Wunder werden einen beim Lesen etwas ganz Gewöhnliches,
jedenfalls mehr Regel als Ausnahme. Es geht damit wie beim Brezelbacken,
und keine Seite des Lebens ist, auf der sie nicht vorkämen. Hier sofortige
oder allmählige Heilung dieser und jener Gebreßten auf miraculose Weise,
daneben plötzliche Besserung von erschrecklichen Sündern, weiterhin Wiederer¬
wachen Gestorbener zu dem Zwecke des Empfangs der letzten Oelung oder
Verzögerung des Todes, damit jemand den Sterbenden noch zu sehen bekommt. --
Alles das durch Gebetskraft besorgt. Auch für allerlei Geschäftchen. zum
Theil verdächtiger Art, ist dieses Arcanum probat. So meldet ein Bieder¬
mann , wie durch die magische Gewalt einer Novene, ein junger Mensch um
die Ableistung seiner Militärpflicht herumkam. Ein Andrer hat auf ähn¬
lichem Wege einen Prozeß gewonnen. Ein Dritter bewirkte, daß dem Gegner
der Eid nicht abgenommen wurde. Jemand verliert seine Reisetasche mit
vielem Gelde, und ein inniges Gebet oder ein paar zum heiligen Herzen ver¬
schafft sie ihm wieder. Die Polizei kommt einem Missethäter aus die Fährte,
eine Hausfrau bekommt getreue Mägde, ein fauler Dienstbote kriegt Lust
zur Arbeit, ein Studentlein in Examennöthen rettet sich vor dem Durchfällen,
eine Scheidung wird verhütet, die schwere Gefahr, daß Protestanten in einem
stockkatholischen Orte eine Fabrik errichten, wird abgewendet (Deeemberheft
des "Sendboten" Seite 207), das Wetter wird in erbeteter Art anders, der
Grund, wodurch ein Deficit in die Casse gekommen, wird entdeckt, eine gemischte
Ehe wird hintertrieben (S. 243) u. s. w. Das Mittel, diese Segnungen
zu erwerben, ist in den meisten Fällen eine Novene zum heiligen Herzen
Jesu oder auch blos das Gelübde einer solchen, zu dem jedoch fast immer
das fernere Gelübde hinzukommt, die Gewährung der Bitte im "Sendboten"
bekannt zu machen.

Aber das Gebet ist es nicht allein, sondern auch andere Dinge helfen zum
Ziele, besonders Auflegung von Reliquien, Amuletten und dergleichen
Sachen. Vorzüglich kräftig ist, wie es scheint, der Se. Josephsgürtel, aber
auch Muttergottes-Bildchen, Herz-Jesu-Bildchen, Bruderschafts-Medaillen, Por¬
traits des seligen Johannes Berchmanns sind nicht gering zu achten. Seite
336 wird uns mitgetheilt, daß eine todtkranke Frau, die den Josephgürtel
umband, noch am selbigen Tage ihr Bett verließ, und an einer andern Stelle
erfahren wir, daß ein Kind, welches das Laufen nicht lernen wollte, im selben
Augenblick, wo ihm der Gürtel angelegt wurde, das Geschick dazu gewann. Nur
ein einziges Mal wird es dem Pater Malfatti zu arg. Zu der Erzählung eines
Jnnsbruckers. der ein Muttergottes-Bildchen als Arznei verschluckt hat, be¬
merkt er, (vermuthlich nur, weil er sich den weitern Weg, den das Bildchen
zu nehmen hatte, vergegenwärtigt) daß er "weit entfernt sei, dieß Verfahren
zur Nachahmung zu empfehlen."


lang fort. Die Wunder werden einen beim Lesen etwas ganz Gewöhnliches,
jedenfalls mehr Regel als Ausnahme. Es geht damit wie beim Brezelbacken,
und keine Seite des Lebens ist, auf der sie nicht vorkämen. Hier sofortige
oder allmählige Heilung dieser und jener Gebreßten auf miraculose Weise,
daneben plötzliche Besserung von erschrecklichen Sündern, weiterhin Wiederer¬
wachen Gestorbener zu dem Zwecke des Empfangs der letzten Oelung oder
Verzögerung des Todes, damit jemand den Sterbenden noch zu sehen bekommt. —
Alles das durch Gebetskraft besorgt. Auch für allerlei Geschäftchen. zum
Theil verdächtiger Art, ist dieses Arcanum probat. So meldet ein Bieder¬
mann , wie durch die magische Gewalt einer Novene, ein junger Mensch um
die Ableistung seiner Militärpflicht herumkam. Ein Andrer hat auf ähn¬
lichem Wege einen Prozeß gewonnen. Ein Dritter bewirkte, daß dem Gegner
der Eid nicht abgenommen wurde. Jemand verliert seine Reisetasche mit
vielem Gelde, und ein inniges Gebet oder ein paar zum heiligen Herzen ver¬
schafft sie ihm wieder. Die Polizei kommt einem Missethäter aus die Fährte,
eine Hausfrau bekommt getreue Mägde, ein fauler Dienstbote kriegt Lust
zur Arbeit, ein Studentlein in Examennöthen rettet sich vor dem Durchfällen,
eine Scheidung wird verhütet, die schwere Gefahr, daß Protestanten in einem
stockkatholischen Orte eine Fabrik errichten, wird abgewendet (Deeemberheft
des „Sendboten" Seite 207), das Wetter wird in erbeteter Art anders, der
Grund, wodurch ein Deficit in die Casse gekommen, wird entdeckt, eine gemischte
Ehe wird hintertrieben (S. 243) u. s. w. Das Mittel, diese Segnungen
zu erwerben, ist in den meisten Fällen eine Novene zum heiligen Herzen
Jesu oder auch blos das Gelübde einer solchen, zu dem jedoch fast immer
das fernere Gelübde hinzukommt, die Gewährung der Bitte im „Sendboten"
bekannt zu machen.

Aber das Gebet ist es nicht allein, sondern auch andere Dinge helfen zum
Ziele, besonders Auflegung von Reliquien, Amuletten und dergleichen
Sachen. Vorzüglich kräftig ist, wie es scheint, der Se. Josephsgürtel, aber
auch Muttergottes-Bildchen, Herz-Jesu-Bildchen, Bruderschafts-Medaillen, Por¬
traits des seligen Johannes Berchmanns sind nicht gering zu achten. Seite
336 wird uns mitgetheilt, daß eine todtkranke Frau, die den Josephgürtel
umband, noch am selbigen Tage ihr Bett verließ, und an einer andern Stelle
erfahren wir, daß ein Kind, welches das Laufen nicht lernen wollte, im selben
Augenblick, wo ihm der Gürtel angelegt wurde, das Geschick dazu gewann. Nur
ein einziges Mal wird es dem Pater Malfatti zu arg. Zu der Erzählung eines
Jnnsbruckers. der ein Muttergottes-Bildchen als Arznei verschluckt hat, be¬
merkt er, (vermuthlich nur, weil er sich den weitern Weg, den das Bildchen
zu nehmen hatte, vergegenwärtigt) daß er „weit entfernt sei, dieß Verfahren
zur Nachahmung zu empfehlen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/180>, abgerufen am 22.12.2024.