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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Anerkennung und Aufmerksamkeit fehlen. Selbst der kleine Perregaur wurde
mit einem niedlichen schönen Pferde beschenkt, wie es des Gesandten eigner
Sohn besaß.

Ihr Stern stieg wieder. Ehe sie von Baden verreiste, ließ sie der Ge¬
sandte durch seine zwei Secretäre einladen, ihre Wohnung in Bern zu nehmen,
um den Geschäften näher zu sein. Nun begann von Bern aus jener geheime
Verkehr mit dem französischen Gesandten, der mehrere Monate dauerte, und
für Frankreich jedenfalls von Werth war. Durch Freunde und Verwandte
von den Vorgängen und Beschlüssen der Regierung in Kenntniß gesetzt, theilte
sie dieselben dem Gesandten mit. Auch mit den gegen Frankreich verbündeten
Mächten steht sie in Verbindung: mit Brandenburg, den Generalstaaten,
und zwar durch Verwandte, die im Dienste der Regierungen dieser Länder
standen. Sie macht die Mittheilung, daß die Alliirten vor Mitte Juni 1689
nichts unternehmen werden. Sie warnt Ameive, daß die Feinde Frankreichs
sich alle Mühe geben, Savoyen abtrünnig zu machen. Durch sie wird ihm
die Mittheilung, daß sich ein Abgeordneter Oraniens und des Kaisers in Bern
befinden mit heimlichen Aufträgen. Beide verheißen ihrer Herren Mitwirkung
um die Freigrafschaft Burgund als Kanton zur Schweiz zu schlagen. Alle
diese Mittheilungen behauptete Madame Perregaux aus dem Munde des
Schultheißen von Erlach empfangen zu haben.

Aber ihre geheime Rolle sollte bald ausgespielt sein. -- An der Spitze der
antifranzösischen Partei in Bern stand ein Mann von eisernem Charakter, der
Verner Dachselhofer. Schon 1672 und 1687 hatte er Frankreich gegenüber
seine Selbständigkeit gewahrt. Als 1672 bei der Eröffnung des Feldzuges
gegen die Generalstaaten die Franzosen unter Türenne, Vauban und Conde
an den Rhein gerückt waren, um von da ins Herz Hollands einzudringen,
erwachte im Bernerregiment von Erlach die Erinnerung an die Glaubcnsver-
wandtschast Beruf und Hollands. Die Berner riefen die Capitulations-Ver-
träge an, welche sie zu keinem Angriff auf ein glaubensverwandtes Volk ver¬
pflichteten. Conde ließ Artillerie aufführen und die Schwadronen heranrücken,
um so die widerspenstigen Berner über den Fluß zu treiben. Nicht alle
beugten sich. Dachselhofer brach seine Pike entzwei und schlug mit seinen vier
Söhnen und einer Anzahl Soldaten den Rückweg nach den Alpen ein. Ebenso
stellte er 1687 dem König selbst gegenüber seinen Mann. Er und der Bür¬
germeister Escher von Zürich unterhandelten in Paris wegen der Aufhebung
des auf die Zehntgefälle im Lande Ger gelegten Sequesters zu Gunsten Genfs.
Als sie merkten, daß man nur mit ihnen spiele, verlangten sie ihre Pässe.
Der König überreichte ihnen zum Abschied werthvolle goldene Ketten und
bedeutende Geldsummen. Aber in edlem Stolz wiesen sie beides zurück, "weil
der ihnen zu Theil gewordene Empfang schlecht passe zu so reichen Geschenken."


Anerkennung und Aufmerksamkeit fehlen. Selbst der kleine Perregaur wurde
mit einem niedlichen schönen Pferde beschenkt, wie es des Gesandten eigner
Sohn besaß.

Ihr Stern stieg wieder. Ehe sie von Baden verreiste, ließ sie der Ge¬
sandte durch seine zwei Secretäre einladen, ihre Wohnung in Bern zu nehmen,
um den Geschäften näher zu sein. Nun begann von Bern aus jener geheime
Verkehr mit dem französischen Gesandten, der mehrere Monate dauerte, und
für Frankreich jedenfalls von Werth war. Durch Freunde und Verwandte
von den Vorgängen und Beschlüssen der Regierung in Kenntniß gesetzt, theilte
sie dieselben dem Gesandten mit. Auch mit den gegen Frankreich verbündeten
Mächten steht sie in Verbindung: mit Brandenburg, den Generalstaaten,
und zwar durch Verwandte, die im Dienste der Regierungen dieser Länder
standen. Sie macht die Mittheilung, daß die Alliirten vor Mitte Juni 1689
nichts unternehmen werden. Sie warnt Ameive, daß die Feinde Frankreichs
sich alle Mühe geben, Savoyen abtrünnig zu machen. Durch sie wird ihm
die Mittheilung, daß sich ein Abgeordneter Oraniens und des Kaisers in Bern
befinden mit heimlichen Aufträgen. Beide verheißen ihrer Herren Mitwirkung
um die Freigrafschaft Burgund als Kanton zur Schweiz zu schlagen. Alle
diese Mittheilungen behauptete Madame Perregaux aus dem Munde des
Schultheißen von Erlach empfangen zu haben.

Aber ihre geheime Rolle sollte bald ausgespielt sein. — An der Spitze der
antifranzösischen Partei in Bern stand ein Mann von eisernem Charakter, der
Verner Dachselhofer. Schon 1672 und 1687 hatte er Frankreich gegenüber
seine Selbständigkeit gewahrt. Als 1672 bei der Eröffnung des Feldzuges
gegen die Generalstaaten die Franzosen unter Türenne, Vauban und Conde
an den Rhein gerückt waren, um von da ins Herz Hollands einzudringen,
erwachte im Bernerregiment von Erlach die Erinnerung an die Glaubcnsver-
wandtschast Beruf und Hollands. Die Berner riefen die Capitulations-Ver-
träge an, welche sie zu keinem Angriff auf ein glaubensverwandtes Volk ver¬
pflichteten. Conde ließ Artillerie aufführen und die Schwadronen heranrücken,
um so die widerspenstigen Berner über den Fluß zu treiben. Nicht alle
beugten sich. Dachselhofer brach seine Pike entzwei und schlug mit seinen vier
Söhnen und einer Anzahl Soldaten den Rückweg nach den Alpen ein. Ebenso
stellte er 1687 dem König selbst gegenüber seinen Mann. Er und der Bür¬
germeister Escher von Zürich unterhandelten in Paris wegen der Aufhebung
des auf die Zehntgefälle im Lande Ger gelegten Sequesters zu Gunsten Genfs.
Als sie merkten, daß man nur mit ihnen spiele, verlangten sie ihre Pässe.
Der König überreichte ihnen zum Abschied werthvolle goldene Ketten und
bedeutende Geldsummen. Aber in edlem Stolz wiesen sie beides zurück, „weil
der ihnen zu Theil gewordene Empfang schlecht passe zu so reichen Geschenken."


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[0138] Anerkennung und Aufmerksamkeit fehlen. Selbst der kleine Perregaur wurde mit einem niedlichen schönen Pferde beschenkt, wie es des Gesandten eigner Sohn besaß. Ihr Stern stieg wieder. Ehe sie von Baden verreiste, ließ sie der Ge¬ sandte durch seine zwei Secretäre einladen, ihre Wohnung in Bern zu nehmen, um den Geschäften näher zu sein. Nun begann von Bern aus jener geheime Verkehr mit dem französischen Gesandten, der mehrere Monate dauerte, und für Frankreich jedenfalls von Werth war. Durch Freunde und Verwandte von den Vorgängen und Beschlüssen der Regierung in Kenntniß gesetzt, theilte sie dieselben dem Gesandten mit. Auch mit den gegen Frankreich verbündeten Mächten steht sie in Verbindung: mit Brandenburg, den Generalstaaten, und zwar durch Verwandte, die im Dienste der Regierungen dieser Länder standen. Sie macht die Mittheilung, daß die Alliirten vor Mitte Juni 1689 nichts unternehmen werden. Sie warnt Ameive, daß die Feinde Frankreichs sich alle Mühe geben, Savoyen abtrünnig zu machen. Durch sie wird ihm die Mittheilung, daß sich ein Abgeordneter Oraniens und des Kaisers in Bern befinden mit heimlichen Aufträgen. Beide verheißen ihrer Herren Mitwirkung um die Freigrafschaft Burgund als Kanton zur Schweiz zu schlagen. Alle diese Mittheilungen behauptete Madame Perregaux aus dem Munde des Schultheißen von Erlach empfangen zu haben. Aber ihre geheime Rolle sollte bald ausgespielt sein. — An der Spitze der antifranzösischen Partei in Bern stand ein Mann von eisernem Charakter, der Verner Dachselhofer. Schon 1672 und 1687 hatte er Frankreich gegenüber seine Selbständigkeit gewahrt. Als 1672 bei der Eröffnung des Feldzuges gegen die Generalstaaten die Franzosen unter Türenne, Vauban und Conde an den Rhein gerückt waren, um von da ins Herz Hollands einzudringen, erwachte im Bernerregiment von Erlach die Erinnerung an die Glaubcnsver- wandtschast Beruf und Hollands. Die Berner riefen die Capitulations-Ver- träge an, welche sie zu keinem Angriff auf ein glaubensverwandtes Volk ver¬ pflichteten. Conde ließ Artillerie aufführen und die Schwadronen heranrücken, um so die widerspenstigen Berner über den Fluß zu treiben. Nicht alle beugten sich. Dachselhofer brach seine Pike entzwei und schlug mit seinen vier Söhnen und einer Anzahl Soldaten den Rückweg nach den Alpen ein. Ebenso stellte er 1687 dem König selbst gegenüber seinen Mann. Er und der Bür¬ germeister Escher von Zürich unterhandelten in Paris wegen der Aufhebung des auf die Zehntgefälle im Lande Ger gelegten Sequesters zu Gunsten Genfs. Als sie merkten, daß man nur mit ihnen spiele, verlangten sie ihre Pässe. Der König überreichte ihnen zum Abschied werthvolle goldene Ketten und bedeutende Geldsummen. Aber in edlem Stolz wiesen sie beides zurück, „weil der ihnen zu Theil gewordene Empfang schlecht passe zu so reichen Geschenken."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/138>, abgerufen am 22.07.2024.