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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Berliner, die rauflustigen Bayern -- das sind Alles Schablonenfiguren, die
einem ganz unverbürgten Gerücht zufolge in den Zeiten Meidingers schon
als überwundene Standpunkte verrufen waren.

Witzlos sind ferner die Situationen, da sie in ermüdender Breite ver¬
sanden. Eine eigenthümliche Naivität zeigt Hamerling besonders in der Wahl
der komischen Effecte. Wenn z> B. (S. 2.) Teut mit Grashalmen an der
Nase gekitzelt und ihm dann als Weckungsmittel ein Zaunpfahl wie ein
Hebebaum untergeschoben wird, den er mit den Worten begrüßt: "O wie so
sanft, Goldwolke, wiegst Du mich" -- wenn (S> 22) Bachert "von ängst¬
licher Verlegenheit befallen, hustet, trinkt, sich überschluckt und in einen end¬
losen Hustenkrampf verfällt", so sind das Effecte, die wohl nur auf ein ganz
kindliches und unverdorbenes Gemüth erheiternd wirken können. Ein erträg¬
lich humoristischer Gedanke liegt der Hauptsituation des zweiten Actes zu
Grunde: Eine Versammlung, die sich so lange im Streit um ein Nichts in
Parteien zerspaltet, bis nur noch zwei Personen und endlich nur noch eine
übrig bleibt, die zu guterletzt in Conflict mit sich selbst geräth und sich in
innerem Zwiespalt am nächsten Baum aufhängt. Allein durch unleidliche
Breite und Langathmigkeit in der Schilderung dieser Versammlung hat Hamer¬
ling sich um jede komische Wirkung gebracht, und überdies ist es doch sicherlich
eine carricaturenhafte Verzerrung, die nur verstimmend, aber nicht belustigend
wirken kann, wenn der von der Versammlung gefeierte Teut herausgeworfen
wird, weil die Feier nur dem Todten galt und dem Lebenden in Folge dessen
zugerufen wird:


[Beginn Spaltensatz]
Höre, Du Tropf,
Du bist nicht gescheut.
Der Teut ist todt,
' Todt ist der Teut,
[Spaltenumbruch]
Und wär' er nicht todt
Und lebt' er noch heut',
So gäben wir ja
Keinen Deut für den Teut!
[Ende Spaltensatz]

Am Traurigsten sieht es mit dem Dialog aus: Nirgends ein leidlicher
Scherz, nirgends eine schlagkräftige satirische Pointe! Hamerling hat sich ehr¬
furchtslos an Witzen vergriffen, die bereits lange in Ehren ergraut sind, und
seine eigenen Witze sind von der Art, daß man sie ohne gelinde Beklemmung
nicht genießen kann, es sind Schaale Silbenwitze, "erkünstelte Wortspiele.
Die Marter, diese Witze unfreiwillig mitnehmen zu müssen, ist eine so bedeu¬
tende, daß wir Herrn Hamerling wirklich ernstlich empfehlen möchten, seine
Witze mit auf die kürzlich in Berlin gezeigte Ausstellung von Folterinstrumenten
zu senden.

Eine Hauptwirkung versprach sich der Dichter von der Anwendung deut¬
scher Volksdialekte. Doch ist ihm wohl nur die Copie der süddeutschen halb¬
wegs geglückt; den Berlinischen wenigstens ahmt er äußerst dilettantisch und
ungeschickt nach.*) Ebenso war es verfehlt, die römischen Soldaten am An¬
fang deutsch-lateinisch radebrechen zu lassen. Das führt zu Witzen, welche
Jedem, der sie liest, einen unterdrückten Angstschrei abnöthigen. Diese Scherze
könnten höchstens in einem lateinischen Vokabularium für,die untern Gym¬
nasialklassen nützlich wirken. -- Doch, gerechtigkeitshalber erwähnen wir zum
Schluß einen wirklich sehr gelungenen Scherz Hamerlings. In einer An¬
merkung (S. 121) spricht er nämlich von etwaigen Bühnenaufführungen seines
Stücks, und giebt genaue Vorschriften über eine samische Einzelheit. Wir ge-



') Verstümmelungen, wie "Jemsenjirger" (statt "Gemsenjeejer") "dat" (statt "der" oder
"des") "einen Oojendlick" (statt "eenen Oogenblick"), "Proloje", "Dalljekt" und viele andere
sind durchaus unberlrnisch.

Berliner, die rauflustigen Bayern — das sind Alles Schablonenfiguren, die
einem ganz unverbürgten Gerücht zufolge in den Zeiten Meidingers schon
als überwundene Standpunkte verrufen waren.

Witzlos sind ferner die Situationen, da sie in ermüdender Breite ver¬
sanden. Eine eigenthümliche Naivität zeigt Hamerling besonders in der Wahl
der komischen Effecte. Wenn z> B. (S. 2.) Teut mit Grashalmen an der
Nase gekitzelt und ihm dann als Weckungsmittel ein Zaunpfahl wie ein
Hebebaum untergeschoben wird, den er mit den Worten begrüßt: „O wie so
sanft, Goldwolke, wiegst Du mich" — wenn (S> 22) Bachert „von ängst¬
licher Verlegenheit befallen, hustet, trinkt, sich überschluckt und in einen end¬
losen Hustenkrampf verfällt", so sind das Effecte, die wohl nur auf ein ganz
kindliches und unverdorbenes Gemüth erheiternd wirken können. Ein erträg¬
lich humoristischer Gedanke liegt der Hauptsituation des zweiten Actes zu
Grunde: Eine Versammlung, die sich so lange im Streit um ein Nichts in
Parteien zerspaltet, bis nur noch zwei Personen und endlich nur noch eine
übrig bleibt, die zu guterletzt in Conflict mit sich selbst geräth und sich in
innerem Zwiespalt am nächsten Baum aufhängt. Allein durch unleidliche
Breite und Langathmigkeit in der Schilderung dieser Versammlung hat Hamer¬
ling sich um jede komische Wirkung gebracht, und überdies ist es doch sicherlich
eine carricaturenhafte Verzerrung, die nur verstimmend, aber nicht belustigend
wirken kann, wenn der von der Versammlung gefeierte Teut herausgeworfen
wird, weil die Feier nur dem Todten galt und dem Lebenden in Folge dessen
zugerufen wird:


[Beginn Spaltensatz]
Höre, Du Tropf,
Du bist nicht gescheut.
Der Teut ist todt,
' Todt ist der Teut,
[Spaltenumbruch]
Und wär' er nicht todt
Und lebt' er noch heut',
So gäben wir ja
Keinen Deut für den Teut!
[Ende Spaltensatz]

Am Traurigsten sieht es mit dem Dialog aus: Nirgends ein leidlicher
Scherz, nirgends eine schlagkräftige satirische Pointe! Hamerling hat sich ehr¬
furchtslos an Witzen vergriffen, die bereits lange in Ehren ergraut sind, und
seine eigenen Witze sind von der Art, daß man sie ohne gelinde Beklemmung
nicht genießen kann, es sind Schaale Silbenwitze, »erkünstelte Wortspiele.
Die Marter, diese Witze unfreiwillig mitnehmen zu müssen, ist eine so bedeu¬
tende, daß wir Herrn Hamerling wirklich ernstlich empfehlen möchten, seine
Witze mit auf die kürzlich in Berlin gezeigte Ausstellung von Folterinstrumenten
zu senden.

Eine Hauptwirkung versprach sich der Dichter von der Anwendung deut¬
scher Volksdialekte. Doch ist ihm wohl nur die Copie der süddeutschen halb¬
wegs geglückt; den Berlinischen wenigstens ahmt er äußerst dilettantisch und
ungeschickt nach.*) Ebenso war es verfehlt, die römischen Soldaten am An¬
fang deutsch-lateinisch radebrechen zu lassen. Das führt zu Witzen, welche
Jedem, der sie liest, einen unterdrückten Angstschrei abnöthigen. Diese Scherze
könnten höchstens in einem lateinischen Vokabularium für,die untern Gym¬
nasialklassen nützlich wirken. — Doch, gerechtigkeitshalber erwähnen wir zum
Schluß einen wirklich sehr gelungenen Scherz Hamerlings. In einer An¬
merkung (S. 121) spricht er nämlich von etwaigen Bühnenaufführungen seines
Stücks, und giebt genaue Vorschriften über eine samische Einzelheit. Wir ge-



') Verstümmelungen, wie „Jemsenjirger" (statt „Gemsenjeejer") „dat" (statt „der" oder
„des") „einen Oojendlick" (statt „eenen Oogenblick"), „Proloje", „Dalljekt" und viele andere
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/122>, abgerufen am 22.12.2024.