Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.Verbitterung gelassen, als in Deutschland höhere "Lorbeern" wuchsen und Ueber seinem Grabe hab die "reine Demokratie" natürlich das herkömm¬ Verbitterung gelassen, als in Deutschland höhere „Lorbeern" wuchsen und Ueber seinem Grabe hab die „reine Demokratie" natürlich das herkömm¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127487"/> <p xml:id="ID_300" prev="#ID_299"> Verbitterung gelassen, als in Deutschland höhere „Lorbeern" wuchsen und<lb/> gepflückt wurden, als je zuvor in Frankreich und Italien, als die ganze Fäul-<lb/> niß und Hohlheit des von Simon gefeierten französischen Staates sich enthüllte,<lb/> und die reine Größe des Deutschen Reichs sich erhob. Er hat noch erlebt<lb/> die größten Tage, die seinem Volke, so lang es besteht, beschieden waren, und<lb/> er hielt sie für Tage größter Unfreiheit und Entwürdigung. Mit dieser An¬<lb/> schauung deutscher Verhältnisse ist er vor wenig Monaten zu Montreux verschieden.</p><lb/> <p xml:id="ID_301" next="#ID_302"> Ueber seinem Grabe hab die „reine Demokratie" natürlich das herkömm¬<lb/> liche Mausoleum für die eigene überlebende republikanische Mannestugend er¬<lb/> richtet, in Reden und Zeitungsartikeln und sonstigen frommen Werken. Zur<lb/> größeren Ehre des Todten sind auch ihm die üblichen „Apostaten" über dem<lb/> Grabhügel rhetorisch geopfert worden, die Namen jener schlechten Demokraten,<lb/> welche das Jahr 1866 und den Fürsten Bismarck, den Krieg gegen die arme<lb/> französische Republik und die Annexion von Elsaß-Lothringen, das deutsche<lb/> Kaiserthum und die deutsche Reichsverfassung von 1871 anerkannt haben,<lb/> obschon auch sie dereinst das harte Brod der Verbannung aßen. Und dieß-<lb/> mal brauchte der Witz dieser Grabredner und Leidartikelschreiber nicht lange<lb/> zu suchen, um das abschreckende Gegenbild des Todten von Montreux zu<lb/> finden in — Ludwig Bamberger. Beide hatten an den vorwiegend fran¬<lb/> zösischen Sympathien und Traditionen des Rheinlandes in den ersten Jahr¬<lb/> zehnten des Jahrhunderts die Ideale ihrer Jugend gewonnen. Beide waren<lb/> zur juristischen Carriere herangebildet und in diese eingetreten, als die Be¬<lb/> wegung des Jahres 1848 sie ergriff. Beide wurden durch ihre Betheiligung<lb/> an der Revolution aus der Heimath entwurzelt, in die Verbannung geschleu¬<lb/> dert, und nach mannigfachen abenteuerlichen Plänen, aus der vorgezeichneten<lb/> Laufbahn in die ihrem Jugendleben völlig fremde Welt des Kaufmanns, der<lb/> Börse und Banken hineingetrieben. Beide errangen sich in Paris eine her¬<lb/> vorragende Stellung an der Spitze deutscher Bankfirmen; beide zusammen<lb/> waren Jahre hindurch den besten Bestrebungen der Deutschen in Paris ein<lb/> geistiges Ferment. Aber seit dem Jahre 1866 scheiden sich von Grund aus<lb/> ihre Wege. Ludwig Simon's Anschauungen sind wir oben in Kürze<lb/> gefolgt. Ludwig Bamberger trat noch von Paris aus ' ein in den Wahl¬<lb/> kampf , der Norddeutschland in den Vorlagen des constituirenden Reichstags<lb/> bewegte. „Eine Stimme aus der Fremde", lautete die Ueberschrift des Mahn¬<lb/> wortes, das er, gewissermaßen im Namen der wiederversöhnten Mehrheit der<lb/> deutschen Emigration, in den häuslichen Streit der Parteien hineinrief. Es<lb/> war fürs Erste ein treffliches Zeugniß für die politische Reise und Klarheit<lb/> des Mannes, und hat sicherlich Viele, die unter dem widerstreitenden Eindruck<lb/> der blutigen Wirren des Vorjahres noch betäubt und rathlos hin- und her¬<lb/> schwankten, in das nationale Lager geführt, Dann aber hat Ludwig Bau-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
Verbitterung gelassen, als in Deutschland höhere „Lorbeern" wuchsen und
gepflückt wurden, als je zuvor in Frankreich und Italien, als die ganze Fäul-
niß und Hohlheit des von Simon gefeierten französischen Staates sich enthüllte,
und die reine Größe des Deutschen Reichs sich erhob. Er hat noch erlebt
die größten Tage, die seinem Volke, so lang es besteht, beschieden waren, und
er hielt sie für Tage größter Unfreiheit und Entwürdigung. Mit dieser An¬
schauung deutscher Verhältnisse ist er vor wenig Monaten zu Montreux verschieden.
Ueber seinem Grabe hab die „reine Demokratie" natürlich das herkömm¬
liche Mausoleum für die eigene überlebende republikanische Mannestugend er¬
richtet, in Reden und Zeitungsartikeln und sonstigen frommen Werken. Zur
größeren Ehre des Todten sind auch ihm die üblichen „Apostaten" über dem
Grabhügel rhetorisch geopfert worden, die Namen jener schlechten Demokraten,
welche das Jahr 1866 und den Fürsten Bismarck, den Krieg gegen die arme
französische Republik und die Annexion von Elsaß-Lothringen, das deutsche
Kaiserthum und die deutsche Reichsverfassung von 1871 anerkannt haben,
obschon auch sie dereinst das harte Brod der Verbannung aßen. Und dieß-
mal brauchte der Witz dieser Grabredner und Leidartikelschreiber nicht lange
zu suchen, um das abschreckende Gegenbild des Todten von Montreux zu
finden in — Ludwig Bamberger. Beide hatten an den vorwiegend fran¬
zösischen Sympathien und Traditionen des Rheinlandes in den ersten Jahr¬
zehnten des Jahrhunderts die Ideale ihrer Jugend gewonnen. Beide waren
zur juristischen Carriere herangebildet und in diese eingetreten, als die Be¬
wegung des Jahres 1848 sie ergriff. Beide wurden durch ihre Betheiligung
an der Revolution aus der Heimath entwurzelt, in die Verbannung geschleu¬
dert, und nach mannigfachen abenteuerlichen Plänen, aus der vorgezeichneten
Laufbahn in die ihrem Jugendleben völlig fremde Welt des Kaufmanns, der
Börse und Banken hineingetrieben. Beide errangen sich in Paris eine her¬
vorragende Stellung an der Spitze deutscher Bankfirmen; beide zusammen
waren Jahre hindurch den besten Bestrebungen der Deutschen in Paris ein
geistiges Ferment. Aber seit dem Jahre 1866 scheiden sich von Grund aus
ihre Wege. Ludwig Simon's Anschauungen sind wir oben in Kürze
gefolgt. Ludwig Bamberger trat noch von Paris aus ' ein in den Wahl¬
kampf , der Norddeutschland in den Vorlagen des constituirenden Reichstags
bewegte. „Eine Stimme aus der Fremde", lautete die Ueberschrift des Mahn¬
wortes, das er, gewissermaßen im Namen der wiederversöhnten Mehrheit der
deutschen Emigration, in den häuslichen Streit der Parteien hineinrief. Es
war fürs Erste ein treffliches Zeugniß für die politische Reise und Klarheit
des Mannes, und hat sicherlich Viele, die unter dem widerstreitenden Eindruck
der blutigen Wirren des Vorjahres noch betäubt und rathlos hin- und her¬
schwankten, in das nationale Lager geführt, Dann aber hat Ludwig Bau-
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