Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

namentlich der dritte Act eine ganze Anzahl von Umarbeitungen erfahren
hatte und Weber in der Composition der beiden ersten Acte schon ziemlich
weit vorgeschritten war. Nicht daß der dichterische Ausdruck Weber im Allge¬
meinen nicht zugesagt hätte; er enthielt ja viel Schönes, Musikalisches, ihn
grade besonders Anmuthendes; nein, die Fabel selbst barg in ihrem Angel¬
punkte einer dramatischen Verwendung so wesentlich Zuwiderlaufendes, die
Versuche, dies zu verbessern, brachten so große Schwierigkeiten, ja erwiesen
sich von so unüberwindlicher Natur -- daß die Gestalt der Dichtung schließlich
der Art festgehalten werden mußte, wie sie jetzt mit der Composition vor¬
liegt und wie sie dem Gesammteindruck der Oper unleugbar schadet. -- Was
Weber an das Sujet fesselte waren gewichtige Gründe: Die Handlung bewegte
sich auf dem ihm heimischen Boden des Romantischen, Ritterlichen; vier, scharf
von einander geschiedenen Charaktere waren ein günstiger Vorwurf für seine
im Individualisiren besonders mächtige Fähigkeit; und dann -- war Euryanthe
eine große Oper. Seine Gegner, wenn deren Zahl jetzt auch eine kleinere
war, hatten doch den Freischütz für kaum etwas mehr als ein "Singspiel"
erklärt; in Rücksicht darauf wollte Weber es außer Zweifel setzen, daß seine
Kraft auch einer großen Oper gewachsen sei. -- Alles dies hatte ihn für
Euryanthe eingenommen und ihn allzusehr hoffen lassen, daß die Dichterin
bei ihrer Begeisterung für die Sache und ihrer Geschicklichkeit die bedenklichen,
Punkte ihrer Aufgabe, welche dem scharfblickender Weber sicherlich nicht ent¬
gangen waren, endlich überwinden werde. Doch er hatte sich Hieria getäuscht,
und als er das erkannte, war die Composition schon zu weit vorgeschritten,
um einen anderen Stoff zu ergreifen; wenn nun Euryanthe, das Großartigste,
was Weber geschaffen, in der großen Welt nicht den allgemein siegenden
Erfolg hatte, wie der Freischütz, so lag das hauptsächlich in den Mängeln des
Gedichts. -- Um so bewunderungswürdiger ist die Leistung des musikalischen
Künstlers. Denn bei einer ganz neuen Welt der Jnstrumentation hat er
in ihr das Großartigste, Erschütterndsts niedergelegt, was die neuere Kunst
aufzuweisen hat, hat er ein Werk geschaffen, das namentlich für die Neuent¬
wicklung der Opercomposition die eigentlichen Grundvesten bildet. Auf
Euryanthe gestützt und in ihrem Geiste weitergehend, haben die neuesten
epochemachenden musikalischen Bühnenwerke Gestalt und Lebensfähigkeit ge¬
wonnen; vom lebenden Hauche der Euryanthe durchdrungen üben diese mo¬
dernen Musikdramen einen eigenthümlichen Zauber aus, der die Jetztwelt im
Allgemeinen leicht die Quelle übersehen läßt, aus welcher er ursprünglich fließt.
Wie der Freischütz sich wendete an die Innigkeit, Reinheit und Frische des
deutschen Volkes, an seine Liebe zum Wunderbaren und Dämonischen, und
wie er eben deshalb in seiner Allgemeinverständlichkeit vom ganzen Volke
mit Begeisterung ergriffen wurde, so traf nun Euryanthe die Welt der


namentlich der dritte Act eine ganze Anzahl von Umarbeitungen erfahren
hatte und Weber in der Composition der beiden ersten Acte schon ziemlich
weit vorgeschritten war. Nicht daß der dichterische Ausdruck Weber im Allge¬
meinen nicht zugesagt hätte; er enthielt ja viel Schönes, Musikalisches, ihn
grade besonders Anmuthendes; nein, die Fabel selbst barg in ihrem Angel¬
punkte einer dramatischen Verwendung so wesentlich Zuwiderlaufendes, die
Versuche, dies zu verbessern, brachten so große Schwierigkeiten, ja erwiesen
sich von so unüberwindlicher Natur — daß die Gestalt der Dichtung schließlich
der Art festgehalten werden mußte, wie sie jetzt mit der Composition vor¬
liegt und wie sie dem Gesammteindruck der Oper unleugbar schadet. — Was
Weber an das Sujet fesselte waren gewichtige Gründe: Die Handlung bewegte
sich auf dem ihm heimischen Boden des Romantischen, Ritterlichen; vier, scharf
von einander geschiedenen Charaktere waren ein günstiger Vorwurf für seine
im Individualisiren besonders mächtige Fähigkeit; und dann — war Euryanthe
eine große Oper. Seine Gegner, wenn deren Zahl jetzt auch eine kleinere
war, hatten doch den Freischütz für kaum etwas mehr als ein „Singspiel"
erklärt; in Rücksicht darauf wollte Weber es außer Zweifel setzen, daß seine
Kraft auch einer großen Oper gewachsen sei. — Alles dies hatte ihn für
Euryanthe eingenommen und ihn allzusehr hoffen lassen, daß die Dichterin
bei ihrer Begeisterung für die Sache und ihrer Geschicklichkeit die bedenklichen,
Punkte ihrer Aufgabe, welche dem scharfblickender Weber sicherlich nicht ent¬
gangen waren, endlich überwinden werde. Doch er hatte sich Hieria getäuscht,
und als er das erkannte, war die Composition schon zu weit vorgeschritten,
um einen anderen Stoff zu ergreifen; wenn nun Euryanthe, das Großartigste,
was Weber geschaffen, in der großen Welt nicht den allgemein siegenden
Erfolg hatte, wie der Freischütz, so lag das hauptsächlich in den Mängeln des
Gedichts. — Um so bewunderungswürdiger ist die Leistung des musikalischen
Künstlers. Denn bei einer ganz neuen Welt der Jnstrumentation hat er
in ihr das Großartigste, Erschütterndsts niedergelegt, was die neuere Kunst
aufzuweisen hat, hat er ein Werk geschaffen, das namentlich für die Neuent¬
wicklung der Opercomposition die eigentlichen Grundvesten bildet. Auf
Euryanthe gestützt und in ihrem Geiste weitergehend, haben die neuesten
epochemachenden musikalischen Bühnenwerke Gestalt und Lebensfähigkeit ge¬
wonnen; vom lebenden Hauche der Euryanthe durchdrungen üben diese mo¬
dernen Musikdramen einen eigenthümlichen Zauber aus, der die Jetztwelt im
Allgemeinen leicht die Quelle übersehen läßt, aus welcher er ursprünglich fließt.
Wie der Freischütz sich wendete an die Innigkeit, Reinheit und Frische des
deutschen Volkes, an seine Liebe zum Wunderbaren und Dämonischen, und
wie er eben deshalb in seiner Allgemeinverständlichkeit vom ganzen Volke
mit Begeisterung ergriffen wurde, so traf nun Euryanthe die Welt der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127887"/>
          <p xml:id="ID_1548" prev="#ID_1547" next="#ID_1549"> namentlich der dritte Act eine ganze Anzahl von Umarbeitungen erfahren<lb/>
hatte und Weber in der Composition der beiden ersten Acte schon ziemlich<lb/>
weit vorgeschritten war. Nicht daß der dichterische Ausdruck Weber im Allge¬<lb/>
meinen nicht zugesagt hätte; er enthielt ja viel Schönes, Musikalisches, ihn<lb/>
grade besonders Anmuthendes; nein, die Fabel selbst barg in ihrem Angel¬<lb/>
punkte einer dramatischen Verwendung so wesentlich Zuwiderlaufendes, die<lb/>
Versuche, dies zu verbessern, brachten so große Schwierigkeiten, ja erwiesen<lb/>
sich von so unüberwindlicher Natur &#x2014; daß die Gestalt der Dichtung schließlich<lb/>
der Art festgehalten werden mußte, wie sie jetzt mit der Composition vor¬<lb/>
liegt und wie sie dem Gesammteindruck der Oper unleugbar schadet. &#x2014; Was<lb/>
Weber an das Sujet fesselte waren gewichtige Gründe: Die Handlung bewegte<lb/>
sich auf dem ihm heimischen Boden des Romantischen, Ritterlichen; vier, scharf<lb/>
von einander geschiedenen Charaktere waren ein günstiger Vorwurf für seine<lb/>
im Individualisiren besonders mächtige Fähigkeit; und dann &#x2014; war Euryanthe<lb/>
eine große Oper. Seine Gegner, wenn deren Zahl jetzt auch eine kleinere<lb/>
war, hatten doch den Freischütz für kaum etwas mehr als ein &#x201E;Singspiel"<lb/>
erklärt; in Rücksicht darauf wollte Weber es außer Zweifel setzen, daß seine<lb/>
Kraft auch einer großen Oper gewachsen sei. &#x2014; Alles dies hatte ihn für<lb/>
Euryanthe eingenommen und ihn allzusehr hoffen lassen, daß die Dichterin<lb/>
bei ihrer Begeisterung für die Sache und ihrer Geschicklichkeit die bedenklichen,<lb/>
Punkte ihrer Aufgabe, welche dem scharfblickender Weber sicherlich nicht ent¬<lb/>
gangen waren, endlich überwinden werde. Doch er hatte sich Hieria getäuscht,<lb/>
und als er das erkannte, war die Composition schon zu weit vorgeschritten,<lb/>
um einen anderen Stoff zu ergreifen; wenn nun Euryanthe, das Großartigste,<lb/>
was Weber geschaffen, in der großen Welt nicht den allgemein siegenden<lb/>
Erfolg hatte, wie der Freischütz, so lag das hauptsächlich in den Mängeln des<lb/>
Gedichts. &#x2014; Um so bewunderungswürdiger ist die Leistung des musikalischen<lb/>
Künstlers. Denn bei einer ganz neuen Welt der Jnstrumentation hat er<lb/>
in ihr das Großartigste, Erschütterndsts niedergelegt, was die neuere Kunst<lb/>
aufzuweisen hat, hat er ein Werk geschaffen, das namentlich für die Neuent¬<lb/>
wicklung der Opercomposition die eigentlichen Grundvesten bildet. Auf<lb/>
Euryanthe gestützt und in ihrem Geiste weitergehend, haben die neuesten<lb/>
epochemachenden musikalischen Bühnenwerke Gestalt und Lebensfähigkeit ge¬<lb/>
wonnen; vom lebenden Hauche der Euryanthe durchdrungen üben diese mo¬<lb/>
dernen Musikdramen einen eigenthümlichen Zauber aus, der die Jetztwelt im<lb/>
Allgemeinen leicht die Quelle übersehen läßt, aus welcher er ursprünglich fließt.<lb/>
Wie der Freischütz sich wendete an die Innigkeit, Reinheit und Frische des<lb/>
deutschen Volkes, an seine Liebe zum Wunderbaren und Dämonischen, und<lb/>
wie er eben deshalb in seiner Allgemeinverständlichkeit vom ganzen Volke<lb/>
mit Begeisterung ergriffen wurde, so traf nun Euryanthe die Welt der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0479] namentlich der dritte Act eine ganze Anzahl von Umarbeitungen erfahren hatte und Weber in der Composition der beiden ersten Acte schon ziemlich weit vorgeschritten war. Nicht daß der dichterische Ausdruck Weber im Allge¬ meinen nicht zugesagt hätte; er enthielt ja viel Schönes, Musikalisches, ihn grade besonders Anmuthendes; nein, die Fabel selbst barg in ihrem Angel¬ punkte einer dramatischen Verwendung so wesentlich Zuwiderlaufendes, die Versuche, dies zu verbessern, brachten so große Schwierigkeiten, ja erwiesen sich von so unüberwindlicher Natur — daß die Gestalt der Dichtung schließlich der Art festgehalten werden mußte, wie sie jetzt mit der Composition vor¬ liegt und wie sie dem Gesammteindruck der Oper unleugbar schadet. — Was Weber an das Sujet fesselte waren gewichtige Gründe: Die Handlung bewegte sich auf dem ihm heimischen Boden des Romantischen, Ritterlichen; vier, scharf von einander geschiedenen Charaktere waren ein günstiger Vorwurf für seine im Individualisiren besonders mächtige Fähigkeit; und dann — war Euryanthe eine große Oper. Seine Gegner, wenn deren Zahl jetzt auch eine kleinere war, hatten doch den Freischütz für kaum etwas mehr als ein „Singspiel" erklärt; in Rücksicht darauf wollte Weber es außer Zweifel setzen, daß seine Kraft auch einer großen Oper gewachsen sei. — Alles dies hatte ihn für Euryanthe eingenommen und ihn allzusehr hoffen lassen, daß die Dichterin bei ihrer Begeisterung für die Sache und ihrer Geschicklichkeit die bedenklichen, Punkte ihrer Aufgabe, welche dem scharfblickender Weber sicherlich nicht ent¬ gangen waren, endlich überwinden werde. Doch er hatte sich Hieria getäuscht, und als er das erkannte, war die Composition schon zu weit vorgeschritten, um einen anderen Stoff zu ergreifen; wenn nun Euryanthe, das Großartigste, was Weber geschaffen, in der großen Welt nicht den allgemein siegenden Erfolg hatte, wie der Freischütz, so lag das hauptsächlich in den Mängeln des Gedichts. — Um so bewunderungswürdiger ist die Leistung des musikalischen Künstlers. Denn bei einer ganz neuen Welt der Jnstrumentation hat er in ihr das Großartigste, Erschütterndsts niedergelegt, was die neuere Kunst aufzuweisen hat, hat er ein Werk geschaffen, das namentlich für die Neuent¬ wicklung der Opercomposition die eigentlichen Grundvesten bildet. Auf Euryanthe gestützt und in ihrem Geiste weitergehend, haben die neuesten epochemachenden musikalischen Bühnenwerke Gestalt und Lebensfähigkeit ge¬ wonnen; vom lebenden Hauche der Euryanthe durchdrungen üben diese mo¬ dernen Musikdramen einen eigenthümlichen Zauber aus, der die Jetztwelt im Allgemeinen leicht die Quelle übersehen läßt, aus welcher er ursprünglich fließt. Wie der Freischütz sich wendete an die Innigkeit, Reinheit und Frische des deutschen Volkes, an seine Liebe zum Wunderbaren und Dämonischen, und wie er eben deshalb in seiner Allgemeinverständlichkeit vom ganzen Volke mit Begeisterung ergriffen wurde, so traf nun Euryanthe die Welt der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/479
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/479>, abgerufen am 22.07.2024.