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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Wir würden die Geduld der Leser auf eine zu harte Probe stellen, wenn
wir diese mit allen Schauern des modernen Sensationsromans getränkten
Schilderungen dem Verfasser nacherzählen wollten. Kurz, Fidelis ist unter
Blut und Flammen mit der Commune tragisch untergegangen, und Hermann,
wie aus einem wüsten Traum erwachend, besinnt sich endlich wieder auf
seine Dorothea, die mittlerweile sich in stiller Resignation der Pflege der
Verwundeten gewidmet hat, und macht in einem letzten Brief seinen Frieden
mit ihr.

"Ich werde bald nach Deutschland zurückkehren", schreibt er; "unser
Abmarsch steht nahe bevor ... Ich werde ohne Gewissensbisse scheiden von
diesem Paris, wo ich nur Ruinen zurücklasse, von dieser Heimat der Lüste, wo
mein Herz sich rein und ohne Flecken zu erhalten gewußt hat. Ich werde
zum häuslichen Heerde zurückkehren mit erhobenem Haupt, als ein braver und
ehrlicher Deutscher, ohne Furcht und ohne Tadel. Ich werde als Dein
Getreuer zurückkommen, getreu unserer keuschen Liebe, unseren bescheidenen
Plänen für die Zukunft. Ich habe große Gefahren bestanden, deren Erzählung
Euch allen, die Ihr mich liebt, Schauder erregen wird. Ich habe mich in
Paris während der letzten Zuckungen der Commune befunden, ich habe dem
entsetzlichen Kampfe, der sechs Tage gedauert hat, beigewohnt und gewisser¬
maßen Theil daran genommen, und ich habe keine Wunde davon getragen.
Gott sei Lob und Dank dafür!

Jedoch ganz ohne Verlust bin ich nicht aus der Schlacht gekommen; ich
habe in derselben einen empfindlichen Verlust erlitten in dem Carneolherz,
das Du mir als Pfand unseres unauflöslichen Bundes geschickt hattest.
Dieser kostbare Talisman ist mir entwendet worden, desgleichen alle meine
Ersparnisse, die ich so mühsam während des Krieges zusammengebracht hatte.
Es betrübt mich zu Euch zurückzukehren ebenso arm als beim Ausmarsch;
aber ich kenne Deine Anspruchslosigkeit; ich werde mich in Deinen Armen
trösten über die Mißgunst eines ungerechten Geschickes. Auf baldiges Wieder¬
sehen, theure Seele!, Ich schüttle den Staub Niniveh von meinen Füßen,
und mit Freudenthränen in den Augen strecke ich die Arme nach Dir aus,
o großes Deutschland, o Heimat des Ideals, o Vaterland!

Mit diesem herrlichen Ausruf schließt die Novelle, die natürlich jeder
Franzose mit Entzücken lesen wird, da in derselben der deutsche Charakter so
recht in seinem wahren Lichte dargestellt ist. Diese Mischung von räuberischen
Landsknecht, von treulosen Bräutigam und von sentimentalen Heuchler --
das ist also das Bild, das man dem französischen Publicum von einem
deutschen Professor entwirft; diese Erzählungen von fortgeschleppten Pianos,
von heimwärts gehenden großen Kisten voll ganzer Ausstattungen, von ent¬
wendeten zahllosen Schmucksachen, diese Enthüllungen über die verräterischen


Wir würden die Geduld der Leser auf eine zu harte Probe stellen, wenn
wir diese mit allen Schauern des modernen Sensationsromans getränkten
Schilderungen dem Verfasser nacherzählen wollten. Kurz, Fidelis ist unter
Blut und Flammen mit der Commune tragisch untergegangen, und Hermann,
wie aus einem wüsten Traum erwachend, besinnt sich endlich wieder auf
seine Dorothea, die mittlerweile sich in stiller Resignation der Pflege der
Verwundeten gewidmet hat, und macht in einem letzten Brief seinen Frieden
mit ihr.

„Ich werde bald nach Deutschland zurückkehren", schreibt er; „unser
Abmarsch steht nahe bevor ... Ich werde ohne Gewissensbisse scheiden von
diesem Paris, wo ich nur Ruinen zurücklasse, von dieser Heimat der Lüste, wo
mein Herz sich rein und ohne Flecken zu erhalten gewußt hat. Ich werde
zum häuslichen Heerde zurückkehren mit erhobenem Haupt, als ein braver und
ehrlicher Deutscher, ohne Furcht und ohne Tadel. Ich werde als Dein
Getreuer zurückkommen, getreu unserer keuschen Liebe, unseren bescheidenen
Plänen für die Zukunft. Ich habe große Gefahren bestanden, deren Erzählung
Euch allen, die Ihr mich liebt, Schauder erregen wird. Ich habe mich in
Paris während der letzten Zuckungen der Commune befunden, ich habe dem
entsetzlichen Kampfe, der sechs Tage gedauert hat, beigewohnt und gewisser¬
maßen Theil daran genommen, und ich habe keine Wunde davon getragen.
Gott sei Lob und Dank dafür!

Jedoch ganz ohne Verlust bin ich nicht aus der Schlacht gekommen; ich
habe in derselben einen empfindlichen Verlust erlitten in dem Carneolherz,
das Du mir als Pfand unseres unauflöslichen Bundes geschickt hattest.
Dieser kostbare Talisman ist mir entwendet worden, desgleichen alle meine
Ersparnisse, die ich so mühsam während des Krieges zusammengebracht hatte.
Es betrübt mich zu Euch zurückzukehren ebenso arm als beim Ausmarsch;
aber ich kenne Deine Anspruchslosigkeit; ich werde mich in Deinen Armen
trösten über die Mißgunst eines ungerechten Geschickes. Auf baldiges Wieder¬
sehen, theure Seele!, Ich schüttle den Staub Niniveh von meinen Füßen,
und mit Freudenthränen in den Augen strecke ich die Arme nach Dir aus,
o großes Deutschland, o Heimat des Ideals, o Vaterland!

Mit diesem herrlichen Ausruf schließt die Novelle, die natürlich jeder
Franzose mit Entzücken lesen wird, da in derselben der deutsche Charakter so
recht in seinem wahren Lichte dargestellt ist. Diese Mischung von räuberischen
Landsknecht, von treulosen Bräutigam und von sentimentalen Heuchler —
das ist also das Bild, das man dem französischen Publicum von einem
deutschen Professor entwirft; diese Erzählungen von fortgeschleppten Pianos,
von heimwärts gehenden großen Kisten voll ganzer Ausstattungen, von ent¬
wendeten zahllosen Schmucksachen, diese Enthüllungen über die verräterischen


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[0467] Wir würden die Geduld der Leser auf eine zu harte Probe stellen, wenn wir diese mit allen Schauern des modernen Sensationsromans getränkten Schilderungen dem Verfasser nacherzählen wollten. Kurz, Fidelis ist unter Blut und Flammen mit der Commune tragisch untergegangen, und Hermann, wie aus einem wüsten Traum erwachend, besinnt sich endlich wieder auf seine Dorothea, die mittlerweile sich in stiller Resignation der Pflege der Verwundeten gewidmet hat, und macht in einem letzten Brief seinen Frieden mit ihr. „Ich werde bald nach Deutschland zurückkehren", schreibt er; „unser Abmarsch steht nahe bevor ... Ich werde ohne Gewissensbisse scheiden von diesem Paris, wo ich nur Ruinen zurücklasse, von dieser Heimat der Lüste, wo mein Herz sich rein und ohne Flecken zu erhalten gewußt hat. Ich werde zum häuslichen Heerde zurückkehren mit erhobenem Haupt, als ein braver und ehrlicher Deutscher, ohne Furcht und ohne Tadel. Ich werde als Dein Getreuer zurückkommen, getreu unserer keuschen Liebe, unseren bescheidenen Plänen für die Zukunft. Ich habe große Gefahren bestanden, deren Erzählung Euch allen, die Ihr mich liebt, Schauder erregen wird. Ich habe mich in Paris während der letzten Zuckungen der Commune befunden, ich habe dem entsetzlichen Kampfe, der sechs Tage gedauert hat, beigewohnt und gewisser¬ maßen Theil daran genommen, und ich habe keine Wunde davon getragen. Gott sei Lob und Dank dafür! Jedoch ganz ohne Verlust bin ich nicht aus der Schlacht gekommen; ich habe in derselben einen empfindlichen Verlust erlitten in dem Carneolherz, das Du mir als Pfand unseres unauflöslichen Bundes geschickt hattest. Dieser kostbare Talisman ist mir entwendet worden, desgleichen alle meine Ersparnisse, die ich so mühsam während des Krieges zusammengebracht hatte. Es betrübt mich zu Euch zurückzukehren ebenso arm als beim Ausmarsch; aber ich kenne Deine Anspruchslosigkeit; ich werde mich in Deinen Armen trösten über die Mißgunst eines ungerechten Geschickes. Auf baldiges Wieder¬ sehen, theure Seele!, Ich schüttle den Staub Niniveh von meinen Füßen, und mit Freudenthränen in den Augen strecke ich die Arme nach Dir aus, o großes Deutschland, o Heimat des Ideals, o Vaterland! Mit diesem herrlichen Ausruf schließt die Novelle, die natürlich jeder Franzose mit Entzücken lesen wird, da in derselben der deutsche Charakter so recht in seinem wahren Lichte dargestellt ist. Diese Mischung von räuberischen Landsknecht, von treulosen Bräutigam und von sentimentalen Heuchler — das ist also das Bild, das man dem französischen Publicum von einem deutschen Professor entwirft; diese Erzählungen von fortgeschleppten Pianos, von heimwärts gehenden großen Kisten voll ganzer Ausstattungen, von ent¬ wendeten zahllosen Schmucksachen, diese Enthüllungen über die verräterischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/467>, abgerufen am 03.07.2024.