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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Faden der Erzählung, welcher durch den Briefwechsel fortläuft, zu verfolgen.
Ist doch dieser äußere Rahmen offenbar Nebensache und kommt es dem Ver¬
fasser, einem gewissen Herrn P. Albane, vor Allem auf das Bild an, das er
mit vollstem Behagen von dem "deutschen Charakter" hier entworfen hat.

In diesem Bilde nun sind die charakteristischen Züge, welche uns die
Franzosen neuerdings mit Vorliebe andichten, in besonders kräftigen Strichen
aufgetragen. In erster Linie steht natürlich die deutsche Raub sucht, die
sich bei verschiedenen Gelegenheiten in ihrer ganzen Schamlosigkeit offen¬
baren muß.

So schreibt Hermann bereits in seinem zweiten, von Meudon den 18. Sep¬
tember datirten Brief an Dorothea:

"Ich schicke Dir eine schöne Ausgabe des Jocelyn von Lamartine; ich
habe sie für Dich in der Bibliothek eines Schlosses ausgesucht, in welchem
wir die letzte Nacht zubrachten, ehe wir hier eintrafen. Ich habe mehrere
Stellen angestrichen, bei deren Lesung Du daran denken wirst, daß Dein
Freund sie mit seinen Thränen benetzt hat. Der Einband des Buches ist
prächtig; diese Franzosen entwickeln in allen Dingen einen unsinnigen Luxus,
der beweist, bis zu welchem Grade die moralische Idee bei ihnen abge¬
schwächt ist."

Wie glücklich ist die Wendung des Verfassers, daß er den deutschen Pro¬
fessor seine Räubereien nicht mit der üblichen Pendule, sondern mit einem
Buch beginnen läßt, und wie geistreich weiß er in den wenigen Zeilen die
begangene Dieberei mit der für einen Deutschen nach französischen Begriffen
unentbehrlichen Dosis von Sentimentalität und Tugenddünkel zu versetzen!

Dorothea jedoch scheint den Idealismus des Herrn Professors nicht zu
theilen. Was hilft ihr der Jocelyn von Lamartine? Sie erwartet reellere
Gaben. In ihrer Antwort heißt es: "Lieber Hermann! Das kleine Lieschen
(wahrscheinlich ihre Schwester) möchte gern ein Andenken aus Frankreich haben;
bitte, vergiß es nicht. Ich verlange nichts für mich; Deine Liebe genügt mir.
Freilich alle meine Freundinnen werden von ihren Gatten oder Verlobten
mit Geschenken überhäuft . . . Die Tochter des Professors Sabrina hat von
ihrem Bruder Rudolf eine vollständige Ausstattung, und Kleider, die einer
Fürstin würdig wären, erhalten; allerdings ist alles ein wenig eng für ihre
sehr breite Taille, aber sie brüstet sich darum nicht weniger damit. Jedes
Mitglied dieser glücklichen Familie hat schon seinen gehörigen Antheil an der
Beute: der Professor Sabrina ein Clavier, (!!) die Mutter Bettzeug, die
jüngste Tochter Schmucksachen. In der That, Rudolf Sabrina ist ein Bursch
voll Geist und Herz; er weiß, was für jeden paßt, und vergißt niemand.
Jedermann würde stolz sein, einen solchen Sohn zu haben. Lisbeth Turner,


Faden der Erzählung, welcher durch den Briefwechsel fortläuft, zu verfolgen.
Ist doch dieser äußere Rahmen offenbar Nebensache und kommt es dem Ver¬
fasser, einem gewissen Herrn P. Albane, vor Allem auf das Bild an, das er
mit vollstem Behagen von dem „deutschen Charakter" hier entworfen hat.

In diesem Bilde nun sind die charakteristischen Züge, welche uns die
Franzosen neuerdings mit Vorliebe andichten, in besonders kräftigen Strichen
aufgetragen. In erster Linie steht natürlich die deutsche Raub sucht, die
sich bei verschiedenen Gelegenheiten in ihrer ganzen Schamlosigkeit offen¬
baren muß.

So schreibt Hermann bereits in seinem zweiten, von Meudon den 18. Sep¬
tember datirten Brief an Dorothea:

„Ich schicke Dir eine schöne Ausgabe des Jocelyn von Lamartine; ich
habe sie für Dich in der Bibliothek eines Schlosses ausgesucht, in welchem
wir die letzte Nacht zubrachten, ehe wir hier eintrafen. Ich habe mehrere
Stellen angestrichen, bei deren Lesung Du daran denken wirst, daß Dein
Freund sie mit seinen Thränen benetzt hat. Der Einband des Buches ist
prächtig; diese Franzosen entwickeln in allen Dingen einen unsinnigen Luxus,
der beweist, bis zu welchem Grade die moralische Idee bei ihnen abge¬
schwächt ist."

Wie glücklich ist die Wendung des Verfassers, daß er den deutschen Pro¬
fessor seine Räubereien nicht mit der üblichen Pendule, sondern mit einem
Buch beginnen läßt, und wie geistreich weiß er in den wenigen Zeilen die
begangene Dieberei mit der für einen Deutschen nach französischen Begriffen
unentbehrlichen Dosis von Sentimentalität und Tugenddünkel zu versetzen!

Dorothea jedoch scheint den Idealismus des Herrn Professors nicht zu
theilen. Was hilft ihr der Jocelyn von Lamartine? Sie erwartet reellere
Gaben. In ihrer Antwort heißt es: „Lieber Hermann! Das kleine Lieschen
(wahrscheinlich ihre Schwester) möchte gern ein Andenken aus Frankreich haben;
bitte, vergiß es nicht. Ich verlange nichts für mich; Deine Liebe genügt mir.
Freilich alle meine Freundinnen werden von ihren Gatten oder Verlobten
mit Geschenken überhäuft . . . Die Tochter des Professors Sabrina hat von
ihrem Bruder Rudolf eine vollständige Ausstattung, und Kleider, die einer
Fürstin würdig wären, erhalten; allerdings ist alles ein wenig eng für ihre
sehr breite Taille, aber sie brüstet sich darum nicht weniger damit. Jedes
Mitglied dieser glücklichen Familie hat schon seinen gehörigen Antheil an der
Beute: der Professor Sabrina ein Clavier, (!!) die Mutter Bettzeug, die
jüngste Tochter Schmucksachen. In der That, Rudolf Sabrina ist ein Bursch
voll Geist und Herz; er weiß, was für jeden paßt, und vergißt niemand.
Jedermann würde stolz sein, einen solchen Sohn zu haben. Lisbeth Turner,


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[0462] Faden der Erzählung, welcher durch den Briefwechsel fortläuft, zu verfolgen. Ist doch dieser äußere Rahmen offenbar Nebensache und kommt es dem Ver¬ fasser, einem gewissen Herrn P. Albane, vor Allem auf das Bild an, das er mit vollstem Behagen von dem „deutschen Charakter" hier entworfen hat. In diesem Bilde nun sind die charakteristischen Züge, welche uns die Franzosen neuerdings mit Vorliebe andichten, in besonders kräftigen Strichen aufgetragen. In erster Linie steht natürlich die deutsche Raub sucht, die sich bei verschiedenen Gelegenheiten in ihrer ganzen Schamlosigkeit offen¬ baren muß. So schreibt Hermann bereits in seinem zweiten, von Meudon den 18. Sep¬ tember datirten Brief an Dorothea: „Ich schicke Dir eine schöne Ausgabe des Jocelyn von Lamartine; ich habe sie für Dich in der Bibliothek eines Schlosses ausgesucht, in welchem wir die letzte Nacht zubrachten, ehe wir hier eintrafen. Ich habe mehrere Stellen angestrichen, bei deren Lesung Du daran denken wirst, daß Dein Freund sie mit seinen Thränen benetzt hat. Der Einband des Buches ist prächtig; diese Franzosen entwickeln in allen Dingen einen unsinnigen Luxus, der beweist, bis zu welchem Grade die moralische Idee bei ihnen abge¬ schwächt ist." Wie glücklich ist die Wendung des Verfassers, daß er den deutschen Pro¬ fessor seine Räubereien nicht mit der üblichen Pendule, sondern mit einem Buch beginnen läßt, und wie geistreich weiß er in den wenigen Zeilen die begangene Dieberei mit der für einen Deutschen nach französischen Begriffen unentbehrlichen Dosis von Sentimentalität und Tugenddünkel zu versetzen! Dorothea jedoch scheint den Idealismus des Herrn Professors nicht zu theilen. Was hilft ihr der Jocelyn von Lamartine? Sie erwartet reellere Gaben. In ihrer Antwort heißt es: „Lieber Hermann! Das kleine Lieschen (wahrscheinlich ihre Schwester) möchte gern ein Andenken aus Frankreich haben; bitte, vergiß es nicht. Ich verlange nichts für mich; Deine Liebe genügt mir. Freilich alle meine Freundinnen werden von ihren Gatten oder Verlobten mit Geschenken überhäuft . . . Die Tochter des Professors Sabrina hat von ihrem Bruder Rudolf eine vollständige Ausstattung, und Kleider, die einer Fürstin würdig wären, erhalten; allerdings ist alles ein wenig eng für ihre sehr breite Taille, aber sie brüstet sich darum nicht weniger damit. Jedes Mitglied dieser glücklichen Familie hat schon seinen gehörigen Antheil an der Beute: der Professor Sabrina ein Clavier, (!!) die Mutter Bettzeug, die jüngste Tochter Schmucksachen. In der That, Rudolf Sabrina ist ein Bursch voll Geist und Herz; er weiß, was für jeden paßt, und vergißt niemand. Jedermann würde stolz sein, einen solchen Sohn zu haben. Lisbeth Turner,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/462>, abgerufen am 02.10.2024.