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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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war sie denn nicht verletzt, als der Betrieb in französischen Händen war, in
den Händen einer Nation, welche ihre Gelüste nach dem Besitz Luxemburgs
durch den Ankaufsversuch von 1867 vor aller Welt documentirt hatte?
Warum predigten damals nicht unsere Ultramontanen, was sie jetzt predigen,
daß unser Großherzogthum, es koste was es wolle, den Betrieb seiner Eisen¬
bahnen in eigene Hand nehmen müsse?

Am 6, Februar hielt der hochgeachtete Präsident unsrer Kammer, Baron
von saberse, eine Rede, worin er unwidersprechlich nachwies, daß das Begin¬
nen, unsere Eisenbahnen auf Landeskosten für die kurzen Strecken mit einem
ganz selbständigen Betrieb zu versehen, zum Bankerott führen müsse. Dafür
soll ihn der Prinz-Statthalter bei einem Mittagsmahl mit dem Namen "Ver¬
räther" titulirt haben. Dieser Prinz sieht in dem deutschen Eisenbahnbetrieb
die Annexion trotz europäischer Garantie. In dem französischen Betrieb sah
er sie nicht, auch als noch keine europäische Spceialbürgschaft unsrer Unab¬
hängigkeit gegeben war. Es wird der Mühe lohnen, den etwas kurzen Hori¬
zont des Prinz-Statthalters zu erweitern, wenn das möglich ist. obwohl dieser
Horizont hier zu Lande von Wenigen getheilt wird. Wer hier vorgibt, den
deutschen Eisenbahnbetrieb zu fürchten, will in der Regel nicht die Selbstän¬
digkeit unsres Landes, sondern die französische Herrschaft.

Am 28. Februar interpellirte Baron Blochausen die Negierung, was sie
zu thun gedenke, um den deutschen Eisenbahnbetrieb abzuwenden. Dabei
citirte er sehr gelehrt allerlei deutsche Compendien des Völkerrechts, um zu
beweisen, daß kein Land einen Zweig seines öffentlichen Dienstes, zu welchem
das Straßensystem gehört, einer ausländischen Gesellschaft überlassen dürfe.
Da jetzt auch bei uns den Berliner Zeitungen einige Aufmerksamkeit geschenkt
wird, so bemerken wir, daß dort englische Gas-Compagnien und Wasserver-
sorgungs-Gesellschaften bestehen. Sind das nicht auch Zweige des öffentlichen
Dienstes? Ist in Berlin von englischer Annexion die Rede?

Gewiß ist es ganz gut, wenn ein Land mit eignen Kräften alle Anstal¬
ten versorgt, deren es bedarf. Wenn aber die eignen Kräfte nicht ausreichen,
so ist es offenbar sehr zweckwidrig, durch Ueberspannung derselben an die
eigene Fortdauer selbst die Axt zu legen.

Herr von Blochausen war sehr bemüht, zu zeigen, daß der Betrieb des
luxemburgischen Eisenbahnnetzes durch eine deutsche Gesellschaft den Protest
der Garanten unsrer Neutralität herbeiziehen müsse. Haben denn aber diese
Garanten gegen den Betrieb der Ostbahn-Gesellschaft von 1867--1870 pro¬
testirr? Was dem Einen recht, ist dem Andern billig: Es wird Sache der
Garanten sein, abzuwarten, ob die deutsche Betriebsgesellschaft, wie es aller¬
dings die französische Ostbahn-Gesellschaft gethan, die Neutralität Luxemburgs
compromittiren wird.


war sie denn nicht verletzt, als der Betrieb in französischen Händen war, in
den Händen einer Nation, welche ihre Gelüste nach dem Besitz Luxemburgs
durch den Ankaufsversuch von 1867 vor aller Welt documentirt hatte?
Warum predigten damals nicht unsere Ultramontanen, was sie jetzt predigen,
daß unser Großherzogthum, es koste was es wolle, den Betrieb seiner Eisen¬
bahnen in eigene Hand nehmen müsse?

Am 6, Februar hielt der hochgeachtete Präsident unsrer Kammer, Baron
von saberse, eine Rede, worin er unwidersprechlich nachwies, daß das Begin¬
nen, unsere Eisenbahnen auf Landeskosten für die kurzen Strecken mit einem
ganz selbständigen Betrieb zu versehen, zum Bankerott führen müsse. Dafür
soll ihn der Prinz-Statthalter bei einem Mittagsmahl mit dem Namen „Ver¬
räther" titulirt haben. Dieser Prinz sieht in dem deutschen Eisenbahnbetrieb
die Annexion trotz europäischer Garantie. In dem französischen Betrieb sah
er sie nicht, auch als noch keine europäische Spceialbürgschaft unsrer Unab¬
hängigkeit gegeben war. Es wird der Mühe lohnen, den etwas kurzen Hori¬
zont des Prinz-Statthalters zu erweitern, wenn das möglich ist. obwohl dieser
Horizont hier zu Lande von Wenigen getheilt wird. Wer hier vorgibt, den
deutschen Eisenbahnbetrieb zu fürchten, will in der Regel nicht die Selbstän¬
digkeit unsres Landes, sondern die französische Herrschaft.

Am 28. Februar interpellirte Baron Blochausen die Negierung, was sie
zu thun gedenke, um den deutschen Eisenbahnbetrieb abzuwenden. Dabei
citirte er sehr gelehrt allerlei deutsche Compendien des Völkerrechts, um zu
beweisen, daß kein Land einen Zweig seines öffentlichen Dienstes, zu welchem
das Straßensystem gehört, einer ausländischen Gesellschaft überlassen dürfe.
Da jetzt auch bei uns den Berliner Zeitungen einige Aufmerksamkeit geschenkt
wird, so bemerken wir, daß dort englische Gas-Compagnien und Wasserver-
sorgungs-Gesellschaften bestehen. Sind das nicht auch Zweige des öffentlichen
Dienstes? Ist in Berlin von englischer Annexion die Rede?

Gewiß ist es ganz gut, wenn ein Land mit eignen Kräften alle Anstal¬
ten versorgt, deren es bedarf. Wenn aber die eignen Kräfte nicht ausreichen,
so ist es offenbar sehr zweckwidrig, durch Ueberspannung derselben an die
eigene Fortdauer selbst die Axt zu legen.

Herr von Blochausen war sehr bemüht, zu zeigen, daß der Betrieb des
luxemburgischen Eisenbahnnetzes durch eine deutsche Gesellschaft den Protest
der Garanten unsrer Neutralität herbeiziehen müsse. Haben denn aber diese
Garanten gegen den Betrieb der Ostbahn-Gesellschaft von 1867—1870 pro¬
testirr? Was dem Einen recht, ist dem Andern billig: Es wird Sache der
Garanten sein, abzuwarten, ob die deutsche Betriebsgesellschaft, wie es aller¬
dings die französische Ostbahn-Gesellschaft gethan, die Neutralität Luxemburgs
compromittiren wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/44>, abgerufen am 28.09.2024.