Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wenigstens wohlhabend sein. Ganz anders jetzt. Der Dampf schleudert täglich
Tausende von Leuten umher, die keineswegs vornehm oder wohlhabend sind,
dennoch den gebildeten Klassen angehören und gewisse Ansprüche machen auf
Reinlichkeit. Bequemlichkeit und erträgliche Kost. Ist denn aber für sie aus¬
reichend gesorgt? Haben sie nicht an so mancher Stelle nur die Wahl zwischen
Spelunken und anspruchsvollen Hotels, wo Ueberflüssiges, ja Unwillkommenes
schwindelhaft hoch beziffert wird, wo als Kellner verkleidete Prinzen bemüht
sind, dem Fremden auf alle Weise anzudeuten, daß eigentlich das Dienstver¬
hältniß eine verkehrte Weltordnung kundgebe und nur durch sehr starke Extra¬
trinkgelder einigermaßen erträglich zu machen sei? Blicken wir auf jene ver¬
einzelten bürgerlich schlichten, aber sauber und solid gehaltenen Häuser mit
entsprechenden Preisen, wie rasch ihre Besitzer emporkommen, während so
manches Grand-Hotel im Verhältniß zu dem darauf verwandten Capital
schlechte Geschäfte macht, schon weil ein Heer von Kellnern nicht recht zu be¬
aufsichtigen ist und viel verdirbt und verschleudert, weil ein Koch nicht viele
Dutzende von Gästen vollkommen befriedigen kann, und viele Köche in einer
Küche nicht taugen."

Wasser und Brod nebst Salz sind Lebensbedürfnisse, die selbst im Zucht¬
hause ausreichend gewährt werden. Der Wirth im Goldner Truthahn aber
ist damit so karg, daß an seiner langen Tafel nur zwei oder drei Wasser-
und höchstens vier oder fünf Salzquellen vorhanden sind, der Brodkorb mit
schwarzem Gebäck, für den Kurzsichtigen unsichtbar, am äußersten Saume des
Horizonts sich aufhält und jeder Gast auf die in den Falten der Serviette
verkrochene ameisengroße Semmel und für andere Bedürfnisse nach Brod auf
die Gefälligkeit einer Kette von Nachbarn und Nachbarsnachbarn angewiesen
ist; denn die Kellner gehen meist in der Sorge für's Allgemeine so völlig auf,
daß sie für das Besondere und seine Anliegen keinen Sinn haben. Der
Goldne Truthahn ist zwar ein Franzose -- wenigstens hat sich sein Wirth
eine Zeit lang als Oberkellner in Paris aufgehalten und sich von dort eine
Anzahl Vocabeln, Manieren und Allüren mitgebracht -- aber fein Nest steht
in Deutschland, und die Deutschen wollen nun einmal neben weißem auch
schwarzes Brod. Auch Goethe -- er war zwar nur Literat, gehört aber als
Minister und Geadelter doch unter die vornehmen Leute -- aß selbst Mittags
Roggenbrod, wie seine Biographien berichten.

Wenig versteht ferner der Truthahn-Wirth seinen Vortheil, wenn er das
mit jedem Jahre fashionabler gewordene Lieblingsgetränk der deutschen Nation
grundsätzlich von seiner Tafel ausschließt. Offenbar fürchtet er, eine uner¬
wünschte Sorte von Gästen zu bekommen, wenn er Bier serviren ließe, und
sodann beruht sein Calcül wesentlich auf Weinzwang. Wir sagen dazu:
warum denn nicht lieber auf Champagnerzwang? Gescheidter und humaner


wenigstens wohlhabend sein. Ganz anders jetzt. Der Dampf schleudert täglich
Tausende von Leuten umher, die keineswegs vornehm oder wohlhabend sind,
dennoch den gebildeten Klassen angehören und gewisse Ansprüche machen auf
Reinlichkeit. Bequemlichkeit und erträgliche Kost. Ist denn aber für sie aus¬
reichend gesorgt? Haben sie nicht an so mancher Stelle nur die Wahl zwischen
Spelunken und anspruchsvollen Hotels, wo Ueberflüssiges, ja Unwillkommenes
schwindelhaft hoch beziffert wird, wo als Kellner verkleidete Prinzen bemüht
sind, dem Fremden auf alle Weise anzudeuten, daß eigentlich das Dienstver¬
hältniß eine verkehrte Weltordnung kundgebe und nur durch sehr starke Extra¬
trinkgelder einigermaßen erträglich zu machen sei? Blicken wir auf jene ver¬
einzelten bürgerlich schlichten, aber sauber und solid gehaltenen Häuser mit
entsprechenden Preisen, wie rasch ihre Besitzer emporkommen, während so
manches Grand-Hotel im Verhältniß zu dem darauf verwandten Capital
schlechte Geschäfte macht, schon weil ein Heer von Kellnern nicht recht zu be¬
aufsichtigen ist und viel verdirbt und verschleudert, weil ein Koch nicht viele
Dutzende von Gästen vollkommen befriedigen kann, und viele Köche in einer
Küche nicht taugen."

Wasser und Brod nebst Salz sind Lebensbedürfnisse, die selbst im Zucht¬
hause ausreichend gewährt werden. Der Wirth im Goldner Truthahn aber
ist damit so karg, daß an seiner langen Tafel nur zwei oder drei Wasser-
und höchstens vier oder fünf Salzquellen vorhanden sind, der Brodkorb mit
schwarzem Gebäck, für den Kurzsichtigen unsichtbar, am äußersten Saume des
Horizonts sich aufhält und jeder Gast auf die in den Falten der Serviette
verkrochene ameisengroße Semmel und für andere Bedürfnisse nach Brod auf
die Gefälligkeit einer Kette von Nachbarn und Nachbarsnachbarn angewiesen
ist; denn die Kellner gehen meist in der Sorge für's Allgemeine so völlig auf,
daß sie für das Besondere und seine Anliegen keinen Sinn haben. Der
Goldne Truthahn ist zwar ein Franzose — wenigstens hat sich sein Wirth
eine Zeit lang als Oberkellner in Paris aufgehalten und sich von dort eine
Anzahl Vocabeln, Manieren und Allüren mitgebracht — aber fein Nest steht
in Deutschland, und die Deutschen wollen nun einmal neben weißem auch
schwarzes Brod. Auch Goethe — er war zwar nur Literat, gehört aber als
Minister und Geadelter doch unter die vornehmen Leute — aß selbst Mittags
Roggenbrod, wie seine Biographien berichten.

Wenig versteht ferner der Truthahn-Wirth seinen Vortheil, wenn er das
mit jedem Jahre fashionabler gewordene Lieblingsgetränk der deutschen Nation
grundsätzlich von seiner Tafel ausschließt. Offenbar fürchtet er, eine uner¬
wünschte Sorte von Gästen zu bekommen, wenn er Bier serviren ließe, und
sodann beruht sein Calcül wesentlich auf Weinzwang. Wir sagen dazu:
warum denn nicht lieber auf Champagnerzwang? Gescheidter und humaner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127832"/>
            <p xml:id="ID_1373" prev="#ID_1372"> wenigstens wohlhabend sein. Ganz anders jetzt. Der Dampf schleudert täglich<lb/>
Tausende von Leuten umher, die keineswegs vornehm oder wohlhabend sind,<lb/>
dennoch den gebildeten Klassen angehören und gewisse Ansprüche machen auf<lb/>
Reinlichkeit. Bequemlichkeit und erträgliche Kost. Ist denn aber für sie aus¬<lb/>
reichend gesorgt? Haben sie nicht an so mancher Stelle nur die Wahl zwischen<lb/>
Spelunken und anspruchsvollen Hotels, wo Ueberflüssiges, ja Unwillkommenes<lb/>
schwindelhaft hoch beziffert wird, wo als Kellner verkleidete Prinzen bemüht<lb/>
sind, dem Fremden auf alle Weise anzudeuten, daß eigentlich das Dienstver¬<lb/>
hältniß eine verkehrte Weltordnung kundgebe und nur durch sehr starke Extra¬<lb/>
trinkgelder einigermaßen erträglich zu machen sei? Blicken wir auf jene ver¬<lb/>
einzelten bürgerlich schlichten, aber sauber und solid gehaltenen Häuser mit<lb/>
entsprechenden Preisen, wie rasch ihre Besitzer emporkommen, während so<lb/>
manches Grand-Hotel im Verhältniß zu dem darauf verwandten Capital<lb/>
schlechte Geschäfte macht, schon weil ein Heer von Kellnern nicht recht zu be¬<lb/>
aufsichtigen ist und viel verdirbt und verschleudert, weil ein Koch nicht viele<lb/>
Dutzende von Gästen vollkommen befriedigen kann, und viele Köche in einer<lb/>
Küche nicht taugen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1374"> Wasser und Brod nebst Salz sind Lebensbedürfnisse, die selbst im Zucht¬<lb/>
hause ausreichend gewährt werden. Der Wirth im Goldner Truthahn aber<lb/>
ist damit so karg, daß an seiner langen Tafel nur zwei oder drei Wasser-<lb/>
und höchstens vier oder fünf Salzquellen vorhanden sind, der Brodkorb mit<lb/>
schwarzem Gebäck, für den Kurzsichtigen unsichtbar, am äußersten Saume des<lb/>
Horizonts sich aufhält und jeder Gast auf die in den Falten der Serviette<lb/>
verkrochene ameisengroße Semmel und für andere Bedürfnisse nach Brod auf<lb/>
die Gefälligkeit einer Kette von Nachbarn und Nachbarsnachbarn angewiesen<lb/>
ist; denn die Kellner gehen meist in der Sorge für's Allgemeine so völlig auf,<lb/>
daß sie für das Besondere und seine Anliegen keinen Sinn haben. Der<lb/>
Goldne Truthahn ist zwar ein Franzose &#x2014; wenigstens hat sich sein Wirth<lb/>
eine Zeit lang als Oberkellner in Paris aufgehalten und sich von dort eine<lb/>
Anzahl Vocabeln, Manieren und Allüren mitgebracht &#x2014; aber fein Nest steht<lb/>
in Deutschland, und die Deutschen wollen nun einmal neben weißem auch<lb/>
schwarzes Brod. Auch Goethe &#x2014; er war zwar nur Literat, gehört aber als<lb/>
Minister und Geadelter doch unter die vornehmen Leute &#x2014; aß selbst Mittags<lb/>
Roggenbrod, wie seine Biographien berichten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1375" next="#ID_1376"> Wenig versteht ferner der Truthahn-Wirth seinen Vortheil, wenn er das<lb/>
mit jedem Jahre fashionabler gewordene Lieblingsgetränk der deutschen Nation<lb/>
grundsätzlich von seiner Tafel ausschließt. Offenbar fürchtet er, eine uner¬<lb/>
wünschte Sorte von Gästen zu bekommen, wenn er Bier serviren ließe, und<lb/>
sodann beruht sein Calcül wesentlich auf Weinzwang. Wir sagen dazu:<lb/>
warum denn nicht lieber auf Champagnerzwang? Gescheidter und humaner</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0424] wenigstens wohlhabend sein. Ganz anders jetzt. Der Dampf schleudert täglich Tausende von Leuten umher, die keineswegs vornehm oder wohlhabend sind, dennoch den gebildeten Klassen angehören und gewisse Ansprüche machen auf Reinlichkeit. Bequemlichkeit und erträgliche Kost. Ist denn aber für sie aus¬ reichend gesorgt? Haben sie nicht an so mancher Stelle nur die Wahl zwischen Spelunken und anspruchsvollen Hotels, wo Ueberflüssiges, ja Unwillkommenes schwindelhaft hoch beziffert wird, wo als Kellner verkleidete Prinzen bemüht sind, dem Fremden auf alle Weise anzudeuten, daß eigentlich das Dienstver¬ hältniß eine verkehrte Weltordnung kundgebe und nur durch sehr starke Extra¬ trinkgelder einigermaßen erträglich zu machen sei? Blicken wir auf jene ver¬ einzelten bürgerlich schlichten, aber sauber und solid gehaltenen Häuser mit entsprechenden Preisen, wie rasch ihre Besitzer emporkommen, während so manches Grand-Hotel im Verhältniß zu dem darauf verwandten Capital schlechte Geschäfte macht, schon weil ein Heer von Kellnern nicht recht zu be¬ aufsichtigen ist und viel verdirbt und verschleudert, weil ein Koch nicht viele Dutzende von Gästen vollkommen befriedigen kann, und viele Köche in einer Küche nicht taugen." Wasser und Brod nebst Salz sind Lebensbedürfnisse, die selbst im Zucht¬ hause ausreichend gewährt werden. Der Wirth im Goldner Truthahn aber ist damit so karg, daß an seiner langen Tafel nur zwei oder drei Wasser- und höchstens vier oder fünf Salzquellen vorhanden sind, der Brodkorb mit schwarzem Gebäck, für den Kurzsichtigen unsichtbar, am äußersten Saume des Horizonts sich aufhält und jeder Gast auf die in den Falten der Serviette verkrochene ameisengroße Semmel und für andere Bedürfnisse nach Brod auf die Gefälligkeit einer Kette von Nachbarn und Nachbarsnachbarn angewiesen ist; denn die Kellner gehen meist in der Sorge für's Allgemeine so völlig auf, daß sie für das Besondere und seine Anliegen keinen Sinn haben. Der Goldne Truthahn ist zwar ein Franzose — wenigstens hat sich sein Wirth eine Zeit lang als Oberkellner in Paris aufgehalten und sich von dort eine Anzahl Vocabeln, Manieren und Allüren mitgebracht — aber fein Nest steht in Deutschland, und die Deutschen wollen nun einmal neben weißem auch schwarzes Brod. Auch Goethe — er war zwar nur Literat, gehört aber als Minister und Geadelter doch unter die vornehmen Leute — aß selbst Mittags Roggenbrod, wie seine Biographien berichten. Wenig versteht ferner der Truthahn-Wirth seinen Vortheil, wenn er das mit jedem Jahre fashionabler gewordene Lieblingsgetränk der deutschen Nation grundsätzlich von seiner Tafel ausschließt. Offenbar fürchtet er, eine uner¬ wünschte Sorte von Gästen zu bekommen, wenn er Bier serviren ließe, und sodann beruht sein Calcül wesentlich auf Weinzwang. Wir sagen dazu: warum denn nicht lieber auf Champagnerzwang? Gescheidter und humaner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/424
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/424>, abgerufen am 24.08.2024.