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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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zweigen dieses Labyrinths schwüler, in unserem abgelegenen Winkel am
schwülsten die Eingeweide des Truthcchns. Rasch reiße ich das Fenster auf
und thue einen tiefen Athemzug. Aber auch der will nicht schmecken. Rinn¬
stein. Küchenabfluß, Waschhausgosse, Kehrichthaufen in Gährung und --
Schlimmeres. Unser Fenster geht auf die hintern Partien des Truthahns hin¬
aus, und die sind nicht golden.

Wir gedenken nun für das Diner Toilette zu machen. Aber Wasch¬
becken und Krug sind leer, und daß man andere Geschirre der Stube um so
voller gelassen, gewährt keinen Trost. Dagegen wird's der elektrische Klingel¬
zug thun, der neben der Thür angebracht ist. Wir Versuchen's, aber er thut's
auch nicht. Nach einer Weile nochmaliger Versuch, der wieder zu nichts
führt. Ein dritter, und jetzt endlich kommt der Kellner, aber nur, um auf
unsere Bitte um Wasser mit einer kurzen Entschuldigung, das Haus sei über¬
füllt, eben seien der Lord shrimps und der Bojar Pampuleanu abgestiegen,
mit vieler Dienerschaft und -- wieder ein Blick auf unsern einen Koffer --
sehr viel Gepäck, das Mädchen werde gleich kommen und das Nöthige be¬
sorgen. Gleich ist ein relativer Begriff; hier bedeutet er eine ausgeschlagene
halbe Stunde, während welcher wir philosophischen Betrachtungen nachhängen,
die mit der Ueberzeugung endigen, daß goldene Truthähne zwar recht präch¬
tiges, aber nicht sehr bequemes Federvieh sind.

Wir unterlassen, die Leser mit den weiteren Erfahrungen bekannt zu
machen, welche diese unsere nach einer Stunde Aufenthalt schon gereifte An¬
sicht von solchen Grand Hotels bestätigen, um Raum zu finden für ein Stück
hier einschlagender Philosophie, welches wir auszugsweise einem Büchlein ent¬
nehmen, das sich "Reiseschule für Touristen und Curgäste von
Arthur Michelis" nennt und soeben in zweiter Auflage in den Buch¬
läden aufliegt. Es ist ein wahrer Inbegriff von Reiseweisheit und von
einem liebenswürdigen Humor durchwebt, mit dem jeder gern zusammen reisen
möchte, und wenn es selbst nur vom Schreibtisch nach dem Lesesopha und
zurück wäre. Was sich über den vinäou d'or in Ix noch sagen ließe, ist
alles aufs Beste und Feinste d'rin gegeben, und so soll ihm jetzt das Wort
verstattet sein.

In Anlage und Ausstattung der Gasthöfe äußert sich nur zu häufig der¬
selbe unkluge Sinn, der sich in der Behandlung mancher Badeorte von Sei¬
ten ihrer Vorstände kundgibt: für leeren Glanz werden Tausende weggeworfen,
dagegen knickert man, wo es sich um Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit han¬
delt. Die Wirthe meinen, mit ihren Goldspiegeln und Kronleuchtern, ihren
Marmortreppen und Plüschmöbeln "noble Herrschaften" anzuziehen, während
diese doch in einem Hotel nie finden, was ihr Palais ihnen bietet, und für
den Prunk, der ihnen etwas Alltägliches ist, nicht einmal dankbar sind, wohl


zweigen dieses Labyrinths schwüler, in unserem abgelegenen Winkel am
schwülsten die Eingeweide des Truthcchns. Rasch reiße ich das Fenster auf
und thue einen tiefen Athemzug. Aber auch der will nicht schmecken. Rinn¬
stein. Küchenabfluß, Waschhausgosse, Kehrichthaufen in Gährung und —
Schlimmeres. Unser Fenster geht auf die hintern Partien des Truthahns hin¬
aus, und die sind nicht golden.

Wir gedenken nun für das Diner Toilette zu machen. Aber Wasch¬
becken und Krug sind leer, und daß man andere Geschirre der Stube um so
voller gelassen, gewährt keinen Trost. Dagegen wird's der elektrische Klingel¬
zug thun, der neben der Thür angebracht ist. Wir Versuchen's, aber er thut's
auch nicht. Nach einer Weile nochmaliger Versuch, der wieder zu nichts
führt. Ein dritter, und jetzt endlich kommt der Kellner, aber nur, um auf
unsere Bitte um Wasser mit einer kurzen Entschuldigung, das Haus sei über¬
füllt, eben seien der Lord shrimps und der Bojar Pampuleanu abgestiegen,
mit vieler Dienerschaft und — wieder ein Blick auf unsern einen Koffer —
sehr viel Gepäck, das Mädchen werde gleich kommen und das Nöthige be¬
sorgen. Gleich ist ein relativer Begriff; hier bedeutet er eine ausgeschlagene
halbe Stunde, während welcher wir philosophischen Betrachtungen nachhängen,
die mit der Ueberzeugung endigen, daß goldene Truthähne zwar recht präch¬
tiges, aber nicht sehr bequemes Federvieh sind.

Wir unterlassen, die Leser mit den weiteren Erfahrungen bekannt zu
machen, welche diese unsere nach einer Stunde Aufenthalt schon gereifte An¬
sicht von solchen Grand Hotels bestätigen, um Raum zu finden für ein Stück
hier einschlagender Philosophie, welches wir auszugsweise einem Büchlein ent¬
nehmen, das sich „Reiseschule für Touristen und Curgäste von
Arthur Michelis" nennt und soeben in zweiter Auflage in den Buch¬
läden aufliegt. Es ist ein wahrer Inbegriff von Reiseweisheit und von
einem liebenswürdigen Humor durchwebt, mit dem jeder gern zusammen reisen
möchte, und wenn es selbst nur vom Schreibtisch nach dem Lesesopha und
zurück wäre. Was sich über den vinäou d'or in Ix noch sagen ließe, ist
alles aufs Beste und Feinste d'rin gegeben, und so soll ihm jetzt das Wort
verstattet sein.

In Anlage und Ausstattung der Gasthöfe äußert sich nur zu häufig der¬
selbe unkluge Sinn, der sich in der Behandlung mancher Badeorte von Sei¬
ten ihrer Vorstände kundgibt: für leeren Glanz werden Tausende weggeworfen,
dagegen knickert man, wo es sich um Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit han¬
delt. Die Wirthe meinen, mit ihren Goldspiegeln und Kronleuchtern, ihren
Marmortreppen und Plüschmöbeln „noble Herrschaften" anzuziehen, während
diese doch in einem Hotel nie finden, was ihr Palais ihnen bietet, und für
den Prunk, der ihnen etwas Alltägliches ist, nicht einmal dankbar sind, wohl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/422>, abgerufen am 24.08.2024.