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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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hält die Oberleitung immer noch fest, indem Serrano, der Herzog de la Torre,
an der Spitze der militärischen Operationen steht. Der unruhige, ehrsüchtige
Ruiz Zorilla nagt sich inzwischen wegen seiner Ausschließung von der Macht
ab, und da sich bis jetzt noch kein Spanier die wahren Grundsätze des Con-
stitutionalismus zu eigen gemacht hat, so wird er sich nicht damit beruhigen,
eine Majorität zusammenzubringen, mit welcher er die Regierung auf legitime
Weise bekämpfen könnte, sondern spinnt unaufhörlich Ränke, um sie auf un¬
regelmäßigem Wege zu belästigen. Ein Mittel dieser Taktik, für das jetzt
viel agitirt wird, ist das Austreten aus der Kammer. Die letzte Versamm¬
lung der Zorillistas, welche vor drei Tagen in Madrid stattfand, faßte den
Beschluß, auszutreten, indeß nur mit geringer Mehrheit, und so setzte man
schließlich eine Commission nieder, welche befugt sein sollte, zu entscheiden, ob
und wann die Secession stattzufinden hätte.

So steht die Sache jetzt. Die Thatsache, daß das Ministerium jetzt in
einen Kampf mit einem ins Land gefallenen Prätendenten verwickelt ist, welcher
das Werk der Revolution ungeschehen zu machen und Spanien einem Prinzen
ohne Hirn, einem Adel ohne Ehre und einem bis zur Verrücktheit bigotten
Pfaffenthum zu überantworten vor hat, gilt diesen Patrioten von der Oppo¬
sition für nichts. Sie sind in Wirklichkeit bloße Abenteurer, die kein anderes
Ziel haben, als zum gemeinen Säckel gelangen und daraus ihre und ihres
schäbigen Anhangs Taschen füllen zu können. Neulich beklagte sich ein Kauf¬
mann in einer bedeutenden spanischen Stadt gegen den Vorstand des dortigen
Postamtes, daß ihm Briefe mit Wechseln gestohlen worden. Der Beamte
zuckte die Achseln. "Ich habe", sagte er, "unter mir nur zwei Leute, denen
ich trauen kann, weil ich sie kenne. Die übrigen find politische Anhänger
Kes Ministers, die mir aufgedrungen wurden, und für die ich nicht verant¬
wortlich sein kann und will."

Ebenfalls charakteristisch ist in dieser Beziehung ein Borfall, der neulich
die Cortes beschäftigte. Aus, der "Caja" oder dem Koffer des Departements
der Colonien verschwand plötzlich die Summe von zwanzig Millionen Realen
(circa 20,000 Pfd. Sterl.). Die Opposition behauptete, die Negierung habe
das Geld zu Bestechungen bei den letzten Wahlen verwendet, die Regierung
dagegen erklärte, es sei zu geheimen Zwecken an die Behörden von Cuba ab¬
gegangen, wo der Kampf der Kolonisten für Befreiung von einem verabscheu¬
ten Joche noch immer heftig wüthet. Eine Commission soll die Sache jetzt
untersuchen. Mag dabei herauskommen, was da will, sicher ist, daß kein
Spanier auf eines andern Spaniers Ehrenhaftigkeit rechnet. Alle Welt hier
rühmt sich mit der "Hidalguia" der Nation, und alle Welt hier ist geneigt,
seinem Nächsten jede Schlechtigkeit zuzutrauen. Ich, der ich mit Leuten aller
Stände spreche -- mit Einschluß der niedrigsten, die ich im Allgemeinen vor-


hält die Oberleitung immer noch fest, indem Serrano, der Herzog de la Torre,
an der Spitze der militärischen Operationen steht. Der unruhige, ehrsüchtige
Ruiz Zorilla nagt sich inzwischen wegen seiner Ausschließung von der Macht
ab, und da sich bis jetzt noch kein Spanier die wahren Grundsätze des Con-
stitutionalismus zu eigen gemacht hat, so wird er sich nicht damit beruhigen,
eine Majorität zusammenzubringen, mit welcher er die Regierung auf legitime
Weise bekämpfen könnte, sondern spinnt unaufhörlich Ränke, um sie auf un¬
regelmäßigem Wege zu belästigen. Ein Mittel dieser Taktik, für das jetzt
viel agitirt wird, ist das Austreten aus der Kammer. Die letzte Versamm¬
lung der Zorillistas, welche vor drei Tagen in Madrid stattfand, faßte den
Beschluß, auszutreten, indeß nur mit geringer Mehrheit, und so setzte man
schließlich eine Commission nieder, welche befugt sein sollte, zu entscheiden, ob
und wann die Secession stattzufinden hätte.

So steht die Sache jetzt. Die Thatsache, daß das Ministerium jetzt in
einen Kampf mit einem ins Land gefallenen Prätendenten verwickelt ist, welcher
das Werk der Revolution ungeschehen zu machen und Spanien einem Prinzen
ohne Hirn, einem Adel ohne Ehre und einem bis zur Verrücktheit bigotten
Pfaffenthum zu überantworten vor hat, gilt diesen Patrioten von der Oppo¬
sition für nichts. Sie sind in Wirklichkeit bloße Abenteurer, die kein anderes
Ziel haben, als zum gemeinen Säckel gelangen und daraus ihre und ihres
schäbigen Anhangs Taschen füllen zu können. Neulich beklagte sich ein Kauf¬
mann in einer bedeutenden spanischen Stadt gegen den Vorstand des dortigen
Postamtes, daß ihm Briefe mit Wechseln gestohlen worden. Der Beamte
zuckte die Achseln. „Ich habe", sagte er, „unter mir nur zwei Leute, denen
ich trauen kann, weil ich sie kenne. Die übrigen find politische Anhänger
Kes Ministers, die mir aufgedrungen wurden, und für die ich nicht verant¬
wortlich sein kann und will."

Ebenfalls charakteristisch ist in dieser Beziehung ein Borfall, der neulich
die Cortes beschäftigte. Aus, der „Caja" oder dem Koffer des Departements
der Colonien verschwand plötzlich die Summe von zwanzig Millionen Realen
(circa 20,000 Pfd. Sterl.). Die Opposition behauptete, die Negierung habe
das Geld zu Bestechungen bei den letzten Wahlen verwendet, die Regierung
dagegen erklärte, es sei zu geheimen Zwecken an die Behörden von Cuba ab¬
gegangen, wo der Kampf der Kolonisten für Befreiung von einem verabscheu¬
ten Joche noch immer heftig wüthet. Eine Commission soll die Sache jetzt
untersuchen. Mag dabei herauskommen, was da will, sicher ist, daß kein
Spanier auf eines andern Spaniers Ehrenhaftigkeit rechnet. Alle Welt hier
rühmt sich mit der „Hidalguia" der Nation, und alle Welt hier ist geneigt,
seinem Nächsten jede Schlechtigkeit zuzutrauen. Ich, der ich mit Leuten aller
Stände spreche — mit Einschluß der niedrigsten, die ich im Allgemeinen vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/396>, abgerufen am 02.10.2024.