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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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rasch einem unheilvollen Siechthum entgegengeführt worden, wenn nicht ein
heißblütiger Magyar, dem dasselbe noch nicht rasch genug hereinbrechen wollte,
der Commissär des ungarischen Justizministers, Freiherr von Apor', in den
ersten Monaten dieses Jahres auf einer Besichtigungs- und Untersuchungs-
reise der siebenbürgischen Gerichte auf Sachsenboden den unerhörten Ausspruch
gethan, daß die Gerichte auch unterster Instanz sich der ungarischen Sprache
ffu bedienen hätten. Ein solcher Eingriff in verbriefte Rechte und in die
Selbständigkeit eines zur Zeit noch rüstigen, selbstbewußten Volkslebens wirkte
endlich auch erweckend auf das vertrauensselige Gemüth der Jungsachsen und
sie waren ehrlich genug, ihren bisherigen altsächsischen Gegnern nunmehr die
Hand zur Verständigung zu bieten. Bald darauf -- am 26. März d. I. --
standen die geeinigten siebenbürgisch-sächsischen Reichstagsabgeordneten zu Pest
in einer Conferenz mit dem ungarischen Justizminister so fest beisammen, daß
sie ihm die Zusage abnöthigten, es bei der althergebrachten Rechtsprechung zu
belassen, doch sollte das Einreichungs- und Sitzungsprotokoll neben der deut¬
schen auch eine ungarische Abfassung enthalten. Daß der Minister nicht Wort
gehalten, daß er für den Geschäftsgang der richterlichen Behörden auf
Sachsenboden nach Außen hin unbedingt, nach Innen aber vorherrschend die
ungarische Sprache vorgeschrieben, hat nur die Folge gehabt, daß sich die alt-
und jungsächsischen Abgeordneten noch näher zum Widerstand gegen weitere
Magyarisirungsgelüste aneinander schlössen.

In wenigen Wochen sollen im ganzen ungarischen Reiche neue Reichs¬
tagswahlen stattfinden, also auch auf siebenbürgisch-sächsischem Königsboten.
Das Sachsenthum muß dann zeigen, ob es aus den bisherigen Vorgängen
unter dem wiederhergestellten königlich ungarischen Regiment heilsame Lehren
für seinen eigenen Fortbestand geschöpft hat. Es sind tüchtige Männer,
welche das Alt- sowie das Jungsachsenthum aufzuweisen hat, Männer, die
ihr Volk lieben und von einem edlen Gefühl für Freiheit und Vaterland be¬
seelt sind, Männer, die unter allen Verhältnissen sich auch ihre Liebe zum
deutschen Mutterlande bewahrt haben. Der ungarische Seetionsrath Rannichor
in Pest, der evangelische Superintendent Dr. Teutsch in Hermannstadt, der
Senator Kapp ebendaselbst, Dr. Kein, Guido v. Baußnern, sowie eine große
Zahl anderer Edlen wissen, daß die in den fünf siebenbürgisch-sächsischen Gym¬
nasien gepflegte deutsche Wissenschaft sie unzertrennlich mit dem deutschen
Reiche verbindet, wissen aber auch, welche Hingebung sie gleich ihren Vätern
dem ungarischen Vaterlande schuldig sind. Und das ungarische Volk in seinen
leitenden Persönlichkeiten sollte nicht vergessen, daß die Sachsen immerdar,
wo es galt, für Recht und Gerechtigkeit einzustehen, ihrem alten Wahlspruche
"aä retinvlläam eoroniun" treu zu bleiben wußten.


rasch einem unheilvollen Siechthum entgegengeführt worden, wenn nicht ein
heißblütiger Magyar, dem dasselbe noch nicht rasch genug hereinbrechen wollte,
der Commissär des ungarischen Justizministers, Freiherr von Apor', in den
ersten Monaten dieses Jahres auf einer Besichtigungs- und Untersuchungs-
reise der siebenbürgischen Gerichte auf Sachsenboden den unerhörten Ausspruch
gethan, daß die Gerichte auch unterster Instanz sich der ungarischen Sprache
ffu bedienen hätten. Ein solcher Eingriff in verbriefte Rechte und in die
Selbständigkeit eines zur Zeit noch rüstigen, selbstbewußten Volkslebens wirkte
endlich auch erweckend auf das vertrauensselige Gemüth der Jungsachsen und
sie waren ehrlich genug, ihren bisherigen altsächsischen Gegnern nunmehr die
Hand zur Verständigung zu bieten. Bald darauf — am 26. März d. I. —
standen die geeinigten siebenbürgisch-sächsischen Reichstagsabgeordneten zu Pest
in einer Conferenz mit dem ungarischen Justizminister so fest beisammen, daß
sie ihm die Zusage abnöthigten, es bei der althergebrachten Rechtsprechung zu
belassen, doch sollte das Einreichungs- und Sitzungsprotokoll neben der deut¬
schen auch eine ungarische Abfassung enthalten. Daß der Minister nicht Wort
gehalten, daß er für den Geschäftsgang der richterlichen Behörden auf
Sachsenboden nach Außen hin unbedingt, nach Innen aber vorherrschend die
ungarische Sprache vorgeschrieben, hat nur die Folge gehabt, daß sich die alt-
und jungsächsischen Abgeordneten noch näher zum Widerstand gegen weitere
Magyarisirungsgelüste aneinander schlössen.

In wenigen Wochen sollen im ganzen ungarischen Reiche neue Reichs¬
tagswahlen stattfinden, also auch auf siebenbürgisch-sächsischem Königsboten.
Das Sachsenthum muß dann zeigen, ob es aus den bisherigen Vorgängen
unter dem wiederhergestellten königlich ungarischen Regiment heilsame Lehren
für seinen eigenen Fortbestand geschöpft hat. Es sind tüchtige Männer,
welche das Alt- sowie das Jungsachsenthum aufzuweisen hat, Männer, die
ihr Volk lieben und von einem edlen Gefühl für Freiheit und Vaterland be¬
seelt sind, Männer, die unter allen Verhältnissen sich auch ihre Liebe zum
deutschen Mutterlande bewahrt haben. Der ungarische Seetionsrath Rannichor
in Pest, der evangelische Superintendent Dr. Teutsch in Hermannstadt, der
Senator Kapp ebendaselbst, Dr. Kein, Guido v. Baußnern, sowie eine große
Zahl anderer Edlen wissen, daß die in den fünf siebenbürgisch-sächsischen Gym¬
nasien gepflegte deutsche Wissenschaft sie unzertrennlich mit dem deutschen
Reiche verbindet, wissen aber auch, welche Hingebung sie gleich ihren Vätern
dem ungarischen Vaterlande schuldig sind. Und das ungarische Volk in seinen
leitenden Persönlichkeiten sollte nicht vergessen, daß die Sachsen immerdar,
wo es galt, für Recht und Gerechtigkeit einzustehen, ihrem alten Wahlspruche
„aä retinvlläam eoroniun" treu zu bleiben wußten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/391>, abgerufen am 22.12.2024.