rexio, LMS religiö, der Landessouverän befiehlt in Religionssachen. Jetzt hin¬ gegen suchte man das individuelle Recht des Bürgers sowohl gegen den Staat als gegen die Neligionsgenossenschaften schützend zu umgrenzen, sowie anderer¬ seits der Staatsgewalt die Handhabung des Friedens unter den Confessionen und das Recht zu geeignetem Vorgehen gegen allfällige Eingriffe kirchlicher Be¬ hörden in die Rechte der Bürger und des Staates zu überbinden. Die vier Sätze des nun von beiden eidgenössischen Räthen angenommenen Artikels 47 garantiren erstens principiell die Glaubens- und Gewissensfreiheit, sprechen dann die Unabhängigkeit des bürgerlichen Rechts vom kirchlichen und von der religiösen Anschauung, sowie den Grundsatz aus, daß Niemand gehalten sei für eigentliche Cultuszwecke einer Confession, der er nicht angehört, Steuern zu entrichten; endlich daß religiöse Ansichten andererseits nicht von der Be¬ obachtung der Staatsgesetze entbinden. (Gegen die Neutäufer gerichtet, die nicht Militärdienst thun wollen.)
Schon im Nationalrathe hatten sich die Ultramontanen gegen die Ga¬ rantie der Gewissens- und Glaubensfreiheit durch den Bund gesträubt, ob- schon dieselbe in die Cantonsverfassungen längst aufgenommen ist. Sie fürchteten eben von jener Seite eine energischere Handhabung als in den Cantonen, wo mancherorts dieser Grundsatz nur einer Inschrift über einer leeren Schublade zu vergleichen ist. Mit dem vorgeschlagenen Artikel beein¬ trächtige man, hieß es, die Freiheit und statuire eine rationalistische Lonvic- tlon Moi-Ale. solle Niemand zur Vornahme einer religiösen Handlung an¬ gehalten werden können, so müsse auch bestimmt werden, daß Niemand an einer solchen gehindert werden dürfe. Jenes "Niemand" umfasse auch die Kinder und enthalte den Keim zur Insubordination und zur Vergiftung des religiösen Sinnes der Jugend. Auf den demnach geäußerten Wunsch, daß hier die väterliche Gewalt vorbehalten werden solle, ward erwidert, daß dies sich von selbst verstehe und daß der Vater ein untrügliches Mittel besitze, welches schon von Sirach gepriesen worden, einen Jungen, der seinen Unge¬ horsam mit der Bundesverfassung rechtfertigen wollte, zur Raison zu bringen. Auch im Ständerathe wurden theils die nämlichen, theils verwandte Gründe von den Ultramontanen vorgebracht: den Satz über die Steuern werden sich Freigeister genug zu Nutze machen! Der Artikel schütze die Nichtchristen, die Renitenten gegenüber den Confessionen, während er diese selbst vermöge einer gewissen Einseitigkeit eher mit Mißtrauen behandle. Sie verlangten ferner einen Zusatz, nach welchem der Verkehr der Vorsteher der Confessionen mit ihren Gläubigen unbeschränkt sein solle u. s. w. Der Staat dürfe die Bürger nicht der Gewissenspflicht entlasten. Die falsch verstandene Gewissensfreiheit anerkenne den Atheismus, raube dem Volke seine sittliche Grundlage. Mit diesem System werden Lehren wie der Darwinismus popularisirt und die
rexio, LMS religiö, der Landessouverän befiehlt in Religionssachen. Jetzt hin¬ gegen suchte man das individuelle Recht des Bürgers sowohl gegen den Staat als gegen die Neligionsgenossenschaften schützend zu umgrenzen, sowie anderer¬ seits der Staatsgewalt die Handhabung des Friedens unter den Confessionen und das Recht zu geeignetem Vorgehen gegen allfällige Eingriffe kirchlicher Be¬ hörden in die Rechte der Bürger und des Staates zu überbinden. Die vier Sätze des nun von beiden eidgenössischen Räthen angenommenen Artikels 47 garantiren erstens principiell die Glaubens- und Gewissensfreiheit, sprechen dann die Unabhängigkeit des bürgerlichen Rechts vom kirchlichen und von der religiösen Anschauung, sowie den Grundsatz aus, daß Niemand gehalten sei für eigentliche Cultuszwecke einer Confession, der er nicht angehört, Steuern zu entrichten; endlich daß religiöse Ansichten andererseits nicht von der Be¬ obachtung der Staatsgesetze entbinden. (Gegen die Neutäufer gerichtet, die nicht Militärdienst thun wollen.)
Schon im Nationalrathe hatten sich die Ultramontanen gegen die Ga¬ rantie der Gewissens- und Glaubensfreiheit durch den Bund gesträubt, ob- schon dieselbe in die Cantonsverfassungen längst aufgenommen ist. Sie fürchteten eben von jener Seite eine energischere Handhabung als in den Cantonen, wo mancherorts dieser Grundsatz nur einer Inschrift über einer leeren Schublade zu vergleichen ist. Mit dem vorgeschlagenen Artikel beein¬ trächtige man, hieß es, die Freiheit und statuire eine rationalistische Lonvic- tlon Moi-Ale. solle Niemand zur Vornahme einer religiösen Handlung an¬ gehalten werden können, so müsse auch bestimmt werden, daß Niemand an einer solchen gehindert werden dürfe. Jenes „Niemand" umfasse auch die Kinder und enthalte den Keim zur Insubordination und zur Vergiftung des religiösen Sinnes der Jugend. Auf den demnach geäußerten Wunsch, daß hier die väterliche Gewalt vorbehalten werden solle, ward erwidert, daß dies sich von selbst verstehe und daß der Vater ein untrügliches Mittel besitze, welches schon von Sirach gepriesen worden, einen Jungen, der seinen Unge¬ horsam mit der Bundesverfassung rechtfertigen wollte, zur Raison zu bringen. Auch im Ständerathe wurden theils die nämlichen, theils verwandte Gründe von den Ultramontanen vorgebracht: den Satz über die Steuern werden sich Freigeister genug zu Nutze machen! Der Artikel schütze die Nichtchristen, die Renitenten gegenüber den Confessionen, während er diese selbst vermöge einer gewissen Einseitigkeit eher mit Mißtrauen behandle. Sie verlangten ferner einen Zusatz, nach welchem der Verkehr der Vorsteher der Confessionen mit ihren Gläubigen unbeschränkt sein solle u. s. w. Der Staat dürfe die Bürger nicht der Gewissenspflicht entlasten. Die falsch verstandene Gewissensfreiheit anerkenne den Atheismus, raube dem Volke seine sittliche Grundlage. Mit diesem System werden Lehren wie der Darwinismus popularisirt und die
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rexio, LMS religiö, der Landessouverän befiehlt in Religionssachen. Jetzt hin¬
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als gegen die Neligionsgenossenschaften schützend zu umgrenzen, sowie anderer¬
seits der Staatsgewalt die Handhabung des Friedens unter den Confessionen
und das Recht zu geeignetem Vorgehen gegen allfällige Eingriffe kirchlicher Be¬
hörden in die Rechte der Bürger und des Staates zu überbinden. Die vier
Sätze des nun von beiden eidgenössischen Räthen angenommenen Artikels 47
garantiren erstens principiell die Glaubens- und Gewissensfreiheit, sprechen
dann die Unabhängigkeit des bürgerlichen Rechts vom kirchlichen und von der
religiösen Anschauung, sowie den Grundsatz aus, daß Niemand gehalten sei
für eigentliche Cultuszwecke einer Confession, der er nicht angehört, Steuern
zu entrichten; endlich daß religiöse Ansichten andererseits nicht von der Be¬
obachtung der Staatsgesetze entbinden. (Gegen die Neutäufer gerichtet, die
nicht Militärdienst thun wollen.)
Schon im Nationalrathe hatten sich die Ultramontanen gegen die Ga¬
rantie der Gewissens- und Glaubensfreiheit durch den Bund gesträubt, ob-
schon dieselbe in die Cantonsverfassungen längst aufgenommen ist. Sie
fürchteten eben von jener Seite eine energischere Handhabung als in den
Cantonen, wo mancherorts dieser Grundsatz nur einer Inschrift über einer
leeren Schublade zu vergleichen ist. Mit dem vorgeschlagenen Artikel beein¬
trächtige man, hieß es, die Freiheit und statuire eine rationalistische Lonvic-
tlon Moi-Ale. solle Niemand zur Vornahme einer religiösen Handlung an¬
gehalten werden können, so müsse auch bestimmt werden, daß Niemand an
einer solchen gehindert werden dürfe. Jenes „Niemand" umfasse auch die
Kinder und enthalte den Keim zur Insubordination und zur Vergiftung des
religiösen Sinnes der Jugend. Auf den demnach geäußerten Wunsch, daß
hier die väterliche Gewalt vorbehalten werden solle, ward erwidert, daß dies
sich von selbst verstehe und daß der Vater ein untrügliches Mittel besitze,
welches schon von Sirach gepriesen worden, einen Jungen, der seinen Unge¬
horsam mit der Bundesverfassung rechtfertigen wollte, zur Raison zu bringen.
Auch im Ständerathe wurden theils die nämlichen, theils verwandte Gründe
von den Ultramontanen vorgebracht: den Satz über die Steuern werden sich
Freigeister genug zu Nutze machen! Der Artikel schütze die Nichtchristen, die
Renitenten gegenüber den Confessionen, während er diese selbst vermöge einer
gewissen Einseitigkeit eher mit Mißtrauen behandle. Sie verlangten ferner
einen Zusatz, nach welchem der Verkehr der Vorsteher der Confessionen mit
ihren Gläubigen unbeschränkt sein solle u. s. w. Der Staat dürfe die Bürger
nicht der Gewissenspflicht entlasten. Die falsch verstandene Gewissensfreiheit
anerkenne den Atheismus, raube dem Volke seine sittliche Grundlage. Mit
diesem System werden Lehren wie der Darwinismus popularisirt und die
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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/38>, abgerufen am 30.12.2024.
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