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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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lieben Geister, die als Gewisscnsräthe einander ablösend bis an sein Sterbe¬
lager seine Seele gestärkt, geleitet und begeistert haben. Jener Glapion übte
schon den größten Einfluß auf den jungen Mann aus: von ihm berathen,
stand Karl in der Frage der deutschen Reformation, sofort nachdem sie ihm
entgegengebracht wurde, ganz entschieden auf dem Boden der mittelalterlichen
Kirche; von dem Geiste dieser mittelalterlichen Tradition war er angehaucht:
dies mittelalterliche Kirchenthum in hellster Reinheit, in fleckenlosen Glänze
wieder herzustellen und neu aufzurichten, dazu fühlte Karl sich getrieben, dazu
sah er als Kaiser der Welt vorzüglich sich berufen.

Den neuerdings erst bekannt gewordenen Berichten des römischen Nun¬
tius Aleander verdanken wir die unschätzbare Kenntniß dieser Thatsache.
Ganz entschieden auf der Seite der alten Kirche, ohne jede Schwäche und
ohne jedes Schwanken stand allein der junge Kaiser selbst. Seine Rathgeber
waren lange nicht so principielle und nicht so consequente Gegner der
reformatorischen Bewegung, die durch die deutsche Nation wogte. "Unsere
Hoffnung, zu siegen", sagt Aleander geradezu, "beruht einzig und allein auf
dem Kaiser." Der Staatsrath des Kaisers war geneigt zu "temporisiren",
den Verhältnissen Rechnung zu tragen und nicht durch allzu schroffes Auf¬
treten die Kaiserkrone selbst in Gefahren zu bringen. Noch war aber das
Verhältniß zwischen Souverän und Ministern so beschaffen, daß Karl seine
persönlichen Absichten, wenn auch der Beichtvater sie theilte, der überlegenen
Einsicht seiner Staatsmänner unterordnete. Er ließ sich durch Chievres und
Gattinara berathen und gab ihnen die Entscheidung in die Hand. Und so
kam es, daß man auf dem Wormser Reichstage "temporisirte." Statt sofort
alle Hoffnung den neuerem abzuschneiden, verhandelte man mit ihnen: poli¬
tisch gewährte man den vornehmsten Reichsständen ein föderatives "Neichs-
regiment", in der kirchlichen Sache gestattete man Luther ein Verhör vor ver¬
sammeltem Reichstage, ehe er definitiv verdammt wurde.

Und noch eine seltsame Episode spielt in dem Drama jenes Frühlings
1521. Der kaiserliche Beichtvater Glapion suchte auf Umwegen durch Mittels¬
personen eine Verbindung sogar mit Luther zu gewinnen. Sowohl durch die
Vertreter von Kursachsen in Worms, als auch durch persönliche Conferenzen
mit Sickingen und Hütten, den beiden Erzrevolutionären, die er auf der
Ebernburg aufsuchte, meinte er der drohenden Volksbewegung den Stachel
wider die Kirche auszuziehen, und Luther's sittlichen und religiösen Ernst für
die Reinigung der Kirche zu verwerthen. Es war doch nicht wohl denkbar,
daß ein Erfolg solche Bemühungen krönen könnte, aber über die Gesichts¬
punkte und den Jdeenkreis des kaiserlichen Hofes verbreitet dieser Vorfall,
wie ich meine, ein Licht, das wir in keiner Erzählung dieser Dinge aus¬
reichend gewürdigt finden. Nur über die eine Frage, die gerade unser


lieben Geister, die als Gewisscnsräthe einander ablösend bis an sein Sterbe¬
lager seine Seele gestärkt, geleitet und begeistert haben. Jener Glapion übte
schon den größten Einfluß auf den jungen Mann aus: von ihm berathen,
stand Karl in der Frage der deutschen Reformation, sofort nachdem sie ihm
entgegengebracht wurde, ganz entschieden auf dem Boden der mittelalterlichen
Kirche; von dem Geiste dieser mittelalterlichen Tradition war er angehaucht:
dies mittelalterliche Kirchenthum in hellster Reinheit, in fleckenlosen Glänze
wieder herzustellen und neu aufzurichten, dazu fühlte Karl sich getrieben, dazu
sah er als Kaiser der Welt vorzüglich sich berufen.

Den neuerdings erst bekannt gewordenen Berichten des römischen Nun¬
tius Aleander verdanken wir die unschätzbare Kenntniß dieser Thatsache.
Ganz entschieden auf der Seite der alten Kirche, ohne jede Schwäche und
ohne jedes Schwanken stand allein der junge Kaiser selbst. Seine Rathgeber
waren lange nicht so principielle und nicht so consequente Gegner der
reformatorischen Bewegung, die durch die deutsche Nation wogte. „Unsere
Hoffnung, zu siegen", sagt Aleander geradezu, „beruht einzig und allein auf
dem Kaiser." Der Staatsrath des Kaisers war geneigt zu „temporisiren",
den Verhältnissen Rechnung zu tragen und nicht durch allzu schroffes Auf¬
treten die Kaiserkrone selbst in Gefahren zu bringen. Noch war aber das
Verhältniß zwischen Souverän und Ministern so beschaffen, daß Karl seine
persönlichen Absichten, wenn auch der Beichtvater sie theilte, der überlegenen
Einsicht seiner Staatsmänner unterordnete. Er ließ sich durch Chievres und
Gattinara berathen und gab ihnen die Entscheidung in die Hand. Und so
kam es, daß man auf dem Wormser Reichstage „temporisirte." Statt sofort
alle Hoffnung den neuerem abzuschneiden, verhandelte man mit ihnen: poli¬
tisch gewährte man den vornehmsten Reichsständen ein föderatives „Neichs-
regiment", in der kirchlichen Sache gestattete man Luther ein Verhör vor ver¬
sammeltem Reichstage, ehe er definitiv verdammt wurde.

Und noch eine seltsame Episode spielt in dem Drama jenes Frühlings
1521. Der kaiserliche Beichtvater Glapion suchte auf Umwegen durch Mittels¬
personen eine Verbindung sogar mit Luther zu gewinnen. Sowohl durch die
Vertreter von Kursachsen in Worms, als auch durch persönliche Conferenzen
mit Sickingen und Hütten, den beiden Erzrevolutionären, die er auf der
Ebernburg aufsuchte, meinte er der drohenden Volksbewegung den Stachel
wider die Kirche auszuziehen, und Luther's sittlichen und religiösen Ernst für
die Reinigung der Kirche zu verwerthen. Es war doch nicht wohl denkbar,
daß ein Erfolg solche Bemühungen krönen könnte, aber über die Gesichts¬
punkte und den Jdeenkreis des kaiserlichen Hofes verbreitet dieser Vorfall,
wie ich meine, ein Licht, das wir in keiner Erzählung dieser Dinge aus¬
reichend gewürdigt finden. Nur über die eine Frage, die gerade unser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/379>, abgerufen am 22.12.2024.