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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Herr Windthorst-Meppen hatte die Dreistigkeit, seine Verwunderung zu äußern,
daß die Angelegenheit der Designation des Cardinals Hohenlohe durch den
Kaiser und der Ablehnung desselben durch den Papst in die Oeffentlichkeit
gekommen. Dies bewog den Reichskanzler zu der Mittheilung, daß deutscher¬
seits erst dann von der Designation des Cardinals gesprochen worden, als
das Verbot des Papstes an den Cardinal, dem kaiserlichen Rufe zu folgen,
in die Oeffentlichkeit gekommen. Der Canal aber, durch welchen dieses Ver¬
bot von Rom in ein hannöversches Welfenblatt gelangt, kann nicht wohl
ein anderer sein, als Herr Windthorst.

Der letztere hatte in seiner Rede auch sich geneigt erklärt, die Stellung
der Kirche anzunehmen, die sie in Amerika hat. Das heißt wohl, diejenige
Stellung, welche die Kirche in Amerika in dem deutschen Mythus über ameri¬
kanische Kirchenpolitik hat. Nur meinte Herr Windthorst, werde die Trennung
von Kirche und Staat viel übler ausfallen für die protestantische, als für
die katholische Kirche. Es wurde sehr bemerkt, daß der Reichskanzler auch
dieser Aeußerung eine Erwiderung schenkte, welche dahin ging: wenn Herr
Windthorst glaube, die Trennung vom Staat werde der evangelischen Kirche
tödtlich sein, so sei ihm der wahre Begriff des Evangeliums nicht aufgegangen.
Unmittelbar vorher hatte der Reichskanzler gesagt, er sei ein Feind aller'
Consecturalpolitik und aller Prophezeiungen. So wird es auch gut sein, sich
aller Vermuthungen zu enthalten über die Art, wie sich der Reichskanzler die
Verfassung der evangelischen Kirche denkt, nachdem sie aufgehört hat unmittel¬
bares Staatsorgan zu sein. Darüber aber hat er nicht den geringsten Zweifel
gelassen, daß er unter Trennung der Kirche vom Staat weder bei der katho¬
lischen noch bei der evangelischen, noch bei sonst einer Kirche versteht das
Heraustreten derselben aus dem Staat, sondern vielmehr einzig und
allein die relative Selbstständigkeit der Kirche unter dem Staat.

Am 13. Mai begann unter ungemeinem Andrang des Publicums zu den
Tribünen die große Jesuitendebatte. Wie der Leser sich erinnern wolle, sind
bei dem Reichstag eine große Anzahl von Petitionen eingegangen, die gerichtet
sind auf mehr oder minder eingreifende Maßregeln gegen die Jesuiten bis zum
völligen Verbot des Ordens im deutschen Reich. Dem entgegen hatte nun
freilich die ultramontane Partei für eine noch weit größere Anzahl von Peti¬
tionen zu Gunsten der Jesuiten gesorgt. Beide Klassen von Petitionen
wurden Gegenstand des sechsten Berichtes der Petitionscommission, dessen
Verfasser der Abgeordnete Gneist war. Dieser Name, welcher die Drucksachen
des preußischen Abgeordnetenhauses mit Meisterarbeiten geschmückt hat. ließ
etwas Ausgezeichnetes erwarten.

Nachdem die beiden Klassen von Petitionen ihrem individuellen Inhalt
nach aufgeführt und kurz charakterifirt sind, giebt der Bericht eine Zusammen-


Herr Windthorst-Meppen hatte die Dreistigkeit, seine Verwunderung zu äußern,
daß die Angelegenheit der Designation des Cardinals Hohenlohe durch den
Kaiser und der Ablehnung desselben durch den Papst in die Oeffentlichkeit
gekommen. Dies bewog den Reichskanzler zu der Mittheilung, daß deutscher¬
seits erst dann von der Designation des Cardinals gesprochen worden, als
das Verbot des Papstes an den Cardinal, dem kaiserlichen Rufe zu folgen,
in die Oeffentlichkeit gekommen. Der Canal aber, durch welchen dieses Ver¬
bot von Rom in ein hannöversches Welfenblatt gelangt, kann nicht wohl
ein anderer sein, als Herr Windthorst.

Der letztere hatte in seiner Rede auch sich geneigt erklärt, die Stellung
der Kirche anzunehmen, die sie in Amerika hat. Das heißt wohl, diejenige
Stellung, welche die Kirche in Amerika in dem deutschen Mythus über ameri¬
kanische Kirchenpolitik hat. Nur meinte Herr Windthorst, werde die Trennung
von Kirche und Staat viel übler ausfallen für die protestantische, als für
die katholische Kirche. Es wurde sehr bemerkt, daß der Reichskanzler auch
dieser Aeußerung eine Erwiderung schenkte, welche dahin ging: wenn Herr
Windthorst glaube, die Trennung vom Staat werde der evangelischen Kirche
tödtlich sein, so sei ihm der wahre Begriff des Evangeliums nicht aufgegangen.
Unmittelbar vorher hatte der Reichskanzler gesagt, er sei ein Feind aller'
Consecturalpolitik und aller Prophezeiungen. So wird es auch gut sein, sich
aller Vermuthungen zu enthalten über die Art, wie sich der Reichskanzler die
Verfassung der evangelischen Kirche denkt, nachdem sie aufgehört hat unmittel¬
bares Staatsorgan zu sein. Darüber aber hat er nicht den geringsten Zweifel
gelassen, daß er unter Trennung der Kirche vom Staat weder bei der katho¬
lischen noch bei der evangelischen, noch bei sonst einer Kirche versteht das
Heraustreten derselben aus dem Staat, sondern vielmehr einzig und
allein die relative Selbstständigkeit der Kirche unter dem Staat.

Am 13. Mai begann unter ungemeinem Andrang des Publicums zu den
Tribünen die große Jesuitendebatte. Wie der Leser sich erinnern wolle, sind
bei dem Reichstag eine große Anzahl von Petitionen eingegangen, die gerichtet
sind auf mehr oder minder eingreifende Maßregeln gegen die Jesuiten bis zum
völligen Verbot des Ordens im deutschen Reich. Dem entgegen hatte nun
freilich die ultramontane Partei für eine noch weit größere Anzahl von Peti¬
tionen zu Gunsten der Jesuiten gesorgt. Beide Klassen von Petitionen
wurden Gegenstand des sechsten Berichtes der Petitionscommission, dessen
Verfasser der Abgeordnete Gneist war. Dieser Name, welcher die Drucksachen
des preußischen Abgeordnetenhauses mit Meisterarbeiten geschmückt hat. ließ
etwas Ausgezeichnetes erwarten.

Nachdem die beiden Klassen von Petitionen ihrem individuellen Inhalt
nach aufgeführt und kurz charakterifirt sind, giebt der Bericht eine Zusammen-


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[0364] Herr Windthorst-Meppen hatte die Dreistigkeit, seine Verwunderung zu äußern, daß die Angelegenheit der Designation des Cardinals Hohenlohe durch den Kaiser und der Ablehnung desselben durch den Papst in die Oeffentlichkeit gekommen. Dies bewog den Reichskanzler zu der Mittheilung, daß deutscher¬ seits erst dann von der Designation des Cardinals gesprochen worden, als das Verbot des Papstes an den Cardinal, dem kaiserlichen Rufe zu folgen, in die Oeffentlichkeit gekommen. Der Canal aber, durch welchen dieses Ver¬ bot von Rom in ein hannöversches Welfenblatt gelangt, kann nicht wohl ein anderer sein, als Herr Windthorst. Der letztere hatte in seiner Rede auch sich geneigt erklärt, die Stellung der Kirche anzunehmen, die sie in Amerika hat. Das heißt wohl, diejenige Stellung, welche die Kirche in Amerika in dem deutschen Mythus über ameri¬ kanische Kirchenpolitik hat. Nur meinte Herr Windthorst, werde die Trennung von Kirche und Staat viel übler ausfallen für die protestantische, als für die katholische Kirche. Es wurde sehr bemerkt, daß der Reichskanzler auch dieser Aeußerung eine Erwiderung schenkte, welche dahin ging: wenn Herr Windthorst glaube, die Trennung vom Staat werde der evangelischen Kirche tödtlich sein, so sei ihm der wahre Begriff des Evangeliums nicht aufgegangen. Unmittelbar vorher hatte der Reichskanzler gesagt, er sei ein Feind aller' Consecturalpolitik und aller Prophezeiungen. So wird es auch gut sein, sich aller Vermuthungen zu enthalten über die Art, wie sich der Reichskanzler die Verfassung der evangelischen Kirche denkt, nachdem sie aufgehört hat unmittel¬ bares Staatsorgan zu sein. Darüber aber hat er nicht den geringsten Zweifel gelassen, daß er unter Trennung der Kirche vom Staat weder bei der katho¬ lischen noch bei der evangelischen, noch bei sonst einer Kirche versteht das Heraustreten derselben aus dem Staat, sondern vielmehr einzig und allein die relative Selbstständigkeit der Kirche unter dem Staat. Am 13. Mai begann unter ungemeinem Andrang des Publicums zu den Tribünen die große Jesuitendebatte. Wie der Leser sich erinnern wolle, sind bei dem Reichstag eine große Anzahl von Petitionen eingegangen, die gerichtet sind auf mehr oder minder eingreifende Maßregeln gegen die Jesuiten bis zum völligen Verbot des Ordens im deutschen Reich. Dem entgegen hatte nun freilich die ultramontane Partei für eine noch weit größere Anzahl von Peti¬ tionen zu Gunsten der Jesuiten gesorgt. Beide Klassen von Petitionen wurden Gegenstand des sechsten Berichtes der Petitionscommission, dessen Verfasser der Abgeordnete Gneist war. Dieser Name, welcher die Drucksachen des preußischen Abgeordnetenhauses mit Meisterarbeiten geschmückt hat. ließ etwas Ausgezeichnetes erwarten. Nachdem die beiden Klassen von Petitionen ihrem individuellen Inhalt nach aufgeführt und kurz charakterifirt sind, giebt der Bericht eine Zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/364>, abgerufen am 24.08.2024.