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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Was den neuen Besteuerungsmodus anlangt, so führt er überall die
Besteuerung des Materials ein, und hebt überall die des Fabrikates auf.
Gewiß ein Fortschritt, da, wie der Bundescommissar ausführte, die Fabrikats¬
steuer, von Stärke und Gehalt des Bieres nothgedrungen absehend, eigentlich
nur die in Letzterem enthaltene Wassermenge trifft. Außerdem bezweckte die
neue Vorlage eine Besteuerung der Braumaterialsurrogate, um nicht durch
die Steuerfreiheit derselben das Unwesen der Surrogate zu steigern. Dieser
in seiner Gesammtheit so wohlthätige Fortschritt fand einen heftigen Gegner
in dem fortschrittlichen Abgeordneten Herrn Richter, der in der Vorlage nur
eine Plusmacherei des Finanzministers erblicken wollte, genauer des Vor¬
sitzenden des Reichssinanzausschusses, den er den Reichfiskal zu nennen beliebte.
Das Gesetz ist indeß mit den technischen Verbesserungen der Commission in
der zweiten Berathung angenommen worden. Bei dem Beginn dieser Be¬
rathung ereignete sich ein interessanter Zwischenfall. Der Artikel 28 der Reichs¬
verfassung bestimmt: "Bei Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach
der Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen
nur derjenigen Mitglieder gezählt, die in Bundesstaaten gewählt sind, welchen
die Angelegenheit gemeinschaftlich ist." Auf Grund dieses Artikels verlangten
die Ultramontanen die Nichtbetheiligung der süddeutschen Mitglieder an der
Berathung. Hoverbeck und Löwe widersprachen: einmal weil im ähnlichen
Falle bereits von dem Artikel 28 abgesehen worden; dann, weil die Geschäfts¬
ordnung des Reichstags Nichts darüber bestimmt, wie die in Artikel 28 ver¬
ordnete illo ni xai'tes vor sich zu gehen hat. Allein Herr Laster gesellte sich
zu den Ultramontanen und der Reichstag fügte sich seiner legistischen Autorität.

Schon Windthorst-Meppen hatte bemerkt: wenn der Artikel 28 nicht bei
dieser Gelegenheit Platz greifen solle, so stehe er für Nichts und wider Nichts
in der Verfassung. Aus der Versammlung wurde ihm "desto besser" zuge¬
rufen. Ein Ruf, den wir für sehr verständig halten. Juristisch scheint uns
die Sache so zu stehen. Der Artikel 28, oder vielmehr das zweite Alinea
desselben, welches die fragliche Bestimmung enthält, ist eine Isx imxerteets.
Bei einer solchen hat man vorkommenden Falls die Wahl, sie zu ergänzen
oder sie nicht anzuwenden, weil sie ohne die Ergänzung noch nicht den voll¬
ständig verbindlichen Charakter hat. Der Reichstag hätte also können trotz
Herrn Laster und seinem juristischen Gewissen, das allzufein ist, den Artikel
28 in der Stille begraben, was eine Genugthuung gewesen wäre für jedes
richtige politische Gewissen. Durch Herrn Lasters juristische Gewissenhaftig¬
keit mußten die Süddeutschen diesmal den Reichstag verlassen. In Folge
dessen haben von Hoverbeck und Genossen den Antrag auf Beseitigung des
Artikel 28 in seinem zweiten Alinea gestellt. Wir können den Antragstellern
nur Glück wünschen.


Was den neuen Besteuerungsmodus anlangt, so führt er überall die
Besteuerung des Materials ein, und hebt überall die des Fabrikates auf.
Gewiß ein Fortschritt, da, wie der Bundescommissar ausführte, die Fabrikats¬
steuer, von Stärke und Gehalt des Bieres nothgedrungen absehend, eigentlich
nur die in Letzterem enthaltene Wassermenge trifft. Außerdem bezweckte die
neue Vorlage eine Besteuerung der Braumaterialsurrogate, um nicht durch
die Steuerfreiheit derselben das Unwesen der Surrogate zu steigern. Dieser
in seiner Gesammtheit so wohlthätige Fortschritt fand einen heftigen Gegner
in dem fortschrittlichen Abgeordneten Herrn Richter, der in der Vorlage nur
eine Plusmacherei des Finanzministers erblicken wollte, genauer des Vor¬
sitzenden des Reichssinanzausschusses, den er den Reichfiskal zu nennen beliebte.
Das Gesetz ist indeß mit den technischen Verbesserungen der Commission in
der zweiten Berathung angenommen worden. Bei dem Beginn dieser Be¬
rathung ereignete sich ein interessanter Zwischenfall. Der Artikel 28 der Reichs¬
verfassung bestimmt: „Bei Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach
der Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen
nur derjenigen Mitglieder gezählt, die in Bundesstaaten gewählt sind, welchen
die Angelegenheit gemeinschaftlich ist." Auf Grund dieses Artikels verlangten
die Ultramontanen die Nichtbetheiligung der süddeutschen Mitglieder an der
Berathung. Hoverbeck und Löwe widersprachen: einmal weil im ähnlichen
Falle bereits von dem Artikel 28 abgesehen worden; dann, weil die Geschäfts¬
ordnung des Reichstags Nichts darüber bestimmt, wie die in Artikel 28 ver¬
ordnete illo ni xai'tes vor sich zu gehen hat. Allein Herr Laster gesellte sich
zu den Ultramontanen und der Reichstag fügte sich seiner legistischen Autorität.

Schon Windthorst-Meppen hatte bemerkt: wenn der Artikel 28 nicht bei
dieser Gelegenheit Platz greifen solle, so stehe er für Nichts und wider Nichts
in der Verfassung. Aus der Versammlung wurde ihm „desto besser" zuge¬
rufen. Ein Ruf, den wir für sehr verständig halten. Juristisch scheint uns
die Sache so zu stehen. Der Artikel 28, oder vielmehr das zweite Alinea
desselben, welches die fragliche Bestimmung enthält, ist eine Isx imxerteets.
Bei einer solchen hat man vorkommenden Falls die Wahl, sie zu ergänzen
oder sie nicht anzuwenden, weil sie ohne die Ergänzung noch nicht den voll¬
ständig verbindlichen Charakter hat. Der Reichstag hätte also können trotz
Herrn Laster und seinem juristischen Gewissen, das allzufein ist, den Artikel
28 in der Stille begraben, was eine Genugthuung gewesen wäre für jedes
richtige politische Gewissen. Durch Herrn Lasters juristische Gewissenhaftig¬
keit mußten die Süddeutschen diesmal den Reichstag verlassen. In Folge
dessen haben von Hoverbeck und Genossen den Antrag auf Beseitigung des
Artikel 28 in seinem zweiten Alinea gestellt. Wir können den Antragstellern
nur Glück wünschen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/362>, abgerufen am 22.07.2024.