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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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verdienen, daß sie das größere Maß von Freiheit, welches sie in den Ueber¬
gangsanstalten finden, nicht mißbrauchen werden. Dies vorausgesetzt, muß
die öffentliche Gesundheitspflege die allgemeine Einführung der Uebergangs¬
anstalten dringend wünschen, und zwar um so mehr, als die Möglichkeit, in
die Uebergangsanstalt zu gelangen, den Sträfling anspornt, sich gut zu
führen. Daß in Folge dieser Möglichkeit Disciplinarstrafen in den Gefäng¬
nissen seltener eintreten, ist ein weiterer Vortheil, den die Uebergangsanstalten
gewähren.

Auch bei dem besten Haftsysteme werden indeß die Gefängnisse den An¬
sprüchen der öffentlichen Gesundheitspflege nur dann genügen können, wenn
die Gefängnißbeamten in dem hierzu erforderlichen Maße ausgebildet
sind. Jeder Gefängnißbeamte, von dem höchsten bis zu dem niedrigsten, muß
die Einsicht und den Willen haben, dahin zu wirken, daß der Gefangene vor¬
bereitet werde, um nach der Entlassung durch ehrlichen Erwerb in gesund¬
heitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Wenn der Beamte in dem Sinne
dieses leitenden Anspruches der öffentlichen Gesundheitspflege an die Gefäng¬
nisse handeln soll, müssen ihm diejenigen Anforderungen bekannt sein, welche
die öffentliche Gesundheitspflege, wie wir auseinandergesetzt haben, an die
Luft in den Gefängnissen, an die Beköstigung, die Erziehung, den Unterricht,
die Krankenpflege und das Haftsystem stellt. Das Verständniß für diese
Rücksichten und für die Art und Weise, dieselben zu erfüllen, können manche
Beamte allerdings bei der Ausübung ihres Amtes selbst nach und nach ge¬
winnen, die Zeit aber, welche hierbei ihnen vorher verloren geht, und noch
mehr der Umstand, daß nicht allen Beamten ihre Function jenen Vortheil
gewährt, gebieten die Errichtung von Unterrichtsanstalten für künftige
Gefängnißbeamte. Der wichtige Einfluß, welchen die Aufseher in den
Gefängnissen auf die gedachte Vorbereitung der Gefangenen ausüben können,
läßt die öffentliche Gesundheitspflege wünschen, daß in diesen Unterrichts¬
anstalten vornehmlich auf die Heranbildung tüchtiger Aufseher hingewirkt
werde. Bekanntlich gibt es religiöse Orden, welche den Gefängnissen Aufseher
und Aufseherinnen überweisen; das Wirken dieser Personen ist von verschie¬
denen Schriftstellern, z. B. von Holtzendorff,*) Füßling getadelt, von andern,
z. B. Baer***) gelobt worden, die Erfahrung hat uns gelehrt, daß auch hier
die Wahrheit in der Mitte liege, und daß ein Urtheil von allgemeiner Giltig-
keit nicht möglich sei. Das von religiösen Orden entsendete Aufsichtspersonal
wird den Dienst in den Gefängnissen nur dann mit vollem Nutzen versehen
können, wenn es die specielle Heranbildung, von der wir hier sprechen, ge-





v. Holtzendorff: Die Brüderschaft des rauhen Hauses. Berlin 18K1.
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*'") Baer I. o. S. 204.

verdienen, daß sie das größere Maß von Freiheit, welches sie in den Ueber¬
gangsanstalten finden, nicht mißbrauchen werden. Dies vorausgesetzt, muß
die öffentliche Gesundheitspflege die allgemeine Einführung der Uebergangs¬
anstalten dringend wünschen, und zwar um so mehr, als die Möglichkeit, in
die Uebergangsanstalt zu gelangen, den Sträfling anspornt, sich gut zu
führen. Daß in Folge dieser Möglichkeit Disciplinarstrafen in den Gefäng¬
nissen seltener eintreten, ist ein weiterer Vortheil, den die Uebergangsanstalten
gewähren.

Auch bei dem besten Haftsysteme werden indeß die Gefängnisse den An¬
sprüchen der öffentlichen Gesundheitspflege nur dann genügen können, wenn
die Gefängnißbeamten in dem hierzu erforderlichen Maße ausgebildet
sind. Jeder Gefängnißbeamte, von dem höchsten bis zu dem niedrigsten, muß
die Einsicht und den Willen haben, dahin zu wirken, daß der Gefangene vor¬
bereitet werde, um nach der Entlassung durch ehrlichen Erwerb in gesund¬
heitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Wenn der Beamte in dem Sinne
dieses leitenden Anspruches der öffentlichen Gesundheitspflege an die Gefäng¬
nisse handeln soll, müssen ihm diejenigen Anforderungen bekannt sein, welche
die öffentliche Gesundheitspflege, wie wir auseinandergesetzt haben, an die
Luft in den Gefängnissen, an die Beköstigung, die Erziehung, den Unterricht,
die Krankenpflege und das Haftsystem stellt. Das Verständniß für diese
Rücksichten und für die Art und Weise, dieselben zu erfüllen, können manche
Beamte allerdings bei der Ausübung ihres Amtes selbst nach und nach ge¬
winnen, die Zeit aber, welche hierbei ihnen vorher verloren geht, und noch
mehr der Umstand, daß nicht allen Beamten ihre Function jenen Vortheil
gewährt, gebieten die Errichtung von Unterrichtsanstalten für künftige
Gefängnißbeamte. Der wichtige Einfluß, welchen die Aufseher in den
Gefängnissen auf die gedachte Vorbereitung der Gefangenen ausüben können,
läßt die öffentliche Gesundheitspflege wünschen, daß in diesen Unterrichts¬
anstalten vornehmlich auf die Heranbildung tüchtiger Aufseher hingewirkt
werde. Bekanntlich gibt es religiöse Orden, welche den Gefängnissen Aufseher
und Aufseherinnen überweisen; das Wirken dieser Personen ist von verschie¬
denen Schriftstellern, z. B. von Holtzendorff,*) Füßling getadelt, von andern,
z. B. Baer***) gelobt worden, die Erfahrung hat uns gelehrt, daß auch hier
die Wahrheit in der Mitte liege, und daß ein Urtheil von allgemeiner Giltig-
keit nicht möglich sei. Das von religiösen Orden entsendete Aufsichtspersonal
wird den Dienst in den Gefängnissen nur dann mit vollem Nutzen versehen
können, wenn es die specielle Heranbildung, von der wir hier sprechen, ge-





v. Holtzendorff: Die Brüderschaft des rauhen Hauses. Berlin 18K1.
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[0349] verdienen, daß sie das größere Maß von Freiheit, welches sie in den Ueber¬ gangsanstalten finden, nicht mißbrauchen werden. Dies vorausgesetzt, muß die öffentliche Gesundheitspflege die allgemeine Einführung der Uebergangs¬ anstalten dringend wünschen, und zwar um so mehr, als die Möglichkeit, in die Uebergangsanstalt zu gelangen, den Sträfling anspornt, sich gut zu führen. Daß in Folge dieser Möglichkeit Disciplinarstrafen in den Gefäng¬ nissen seltener eintreten, ist ein weiterer Vortheil, den die Uebergangsanstalten gewähren. Auch bei dem besten Haftsysteme werden indeß die Gefängnisse den An¬ sprüchen der öffentlichen Gesundheitspflege nur dann genügen können, wenn die Gefängnißbeamten in dem hierzu erforderlichen Maße ausgebildet sind. Jeder Gefängnißbeamte, von dem höchsten bis zu dem niedrigsten, muß die Einsicht und den Willen haben, dahin zu wirken, daß der Gefangene vor¬ bereitet werde, um nach der Entlassung durch ehrlichen Erwerb in gesund¬ heitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Wenn der Beamte in dem Sinne dieses leitenden Anspruches der öffentlichen Gesundheitspflege an die Gefäng¬ nisse handeln soll, müssen ihm diejenigen Anforderungen bekannt sein, welche die öffentliche Gesundheitspflege, wie wir auseinandergesetzt haben, an die Luft in den Gefängnissen, an die Beköstigung, die Erziehung, den Unterricht, die Krankenpflege und das Haftsystem stellt. Das Verständniß für diese Rücksichten und für die Art und Weise, dieselben zu erfüllen, können manche Beamte allerdings bei der Ausübung ihres Amtes selbst nach und nach ge¬ winnen, die Zeit aber, welche hierbei ihnen vorher verloren geht, und noch mehr der Umstand, daß nicht allen Beamten ihre Function jenen Vortheil gewährt, gebieten die Errichtung von Unterrichtsanstalten für künftige Gefängnißbeamte. Der wichtige Einfluß, welchen die Aufseher in den Gefängnissen auf die gedachte Vorbereitung der Gefangenen ausüben können, läßt die öffentliche Gesundheitspflege wünschen, daß in diesen Unterrichts¬ anstalten vornehmlich auf die Heranbildung tüchtiger Aufseher hingewirkt werde. Bekanntlich gibt es religiöse Orden, welche den Gefängnissen Aufseher und Aufseherinnen überweisen; das Wirken dieser Personen ist von verschie¬ denen Schriftstellern, z. B. von Holtzendorff,*) Füßling getadelt, von andern, z. B. Baer***) gelobt worden, die Erfahrung hat uns gelehrt, daß auch hier die Wahrheit in der Mitte liege, und daß ein Urtheil von allgemeiner Giltig- keit nicht möglich sei. Das von religiösen Orden entsendete Aufsichtspersonal wird den Dienst in den Gefängnissen nur dann mit vollem Nutzen versehen können, wenn es die specielle Heranbildung, von der wir hier sprechen, ge- v. Holtzendorff: Die Brüderschaft des rauhen Hauses. Berlin 18K1. -) I. <-. *'") Baer I. o. S. 204.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/349>, abgerufen am 22.07.2024.