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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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zunächst für jede Freude, für jegliches Vergnügen zugänglich machen; zugleich
wollte er ihn über das Elend der Welt in vollkommener Ungewißheit lassen
und ihm so die Möglichkeit des Nachdenkens benehmen. Auf wunderbare
Weise wird jedoch der Prinz über das allgemeine Loos der Menschen aufge¬
klärt und während er nun immer über das menschliche Schicksal nachsinnt,
erlangt ein christlicher Einsiedler Zutritt zu ihm, der ihn auf eine höhere
Lebensanschauung hinweist und ihm die Keime des Evangeliums beibringt.
Von dieser Lehre auf das höchste ergriffen, läßt er sich taufen und gibt seine
irdischen Besitztümer auf; auch seinen Vater bekehrt er und zuletzt zieht er
sich mit dem Einsiedler in die Wüste zurück, wo er schon bei seinen Lebzeiten
von dem Volke als Heiliger verehrt wurde.

Diese Geschichte im Mittelalter, außerordentlich beliebt, hat nicht nur in
Deutschland an Rudolf von Ems einen Bearbeiter gefunden, sondern sie ist
auch damals in den verschiedensten europäischen Sprachen erzählt worden.
Alle Uebersetzungen und Bearbeitungen gehen aber direct oder indireet auf
dieselbe Quelle zurück, auf die griechisch geschriebene "seelenheilsame Geschichte"
des Johannes von Damascus, der eine Zeitlang erster Rathgeber des Kalifen
Al Mansur gewesen war, dann aber durch die Einwirkungen eines italienischen
Mönches veranlaßt ward, sich von der Welt zurückzuziehen und sich im Kloster
Saba dem Studium und frommen Betrachtungen zu weihen. Da nun dieser
Johannes Damascenus im Anfange des 8. Jahrhunderts wirkte, die Ge¬
schichte von Barlaam und Josaphat, für welche er unsere Quelle ist, aber
schon in die ersten Jahrhunderte nach Chr. Geb. verlegt wird, so sind Be¬
denken, die man in Betreff der Glaubwürdigkeit dieser Geschichte hegen könnte,
leicht erklärlich, zumal auch Johannes nach seiner eignen Mittheilung die Er¬
zählung nur durch Hörensagen erfahren hat. Schon früh ist daher der Cha¬
rakter der beiden Heiligen angezweifelt worden, selbst ganz orthodoxe Ka¬
tholiken haben gewisse Bedenken geäußert, aber sie Habens ihre Zweifel be¬
schwichtigt, indem sie. wie z. B. der gutgläubige Leo Allatius im 17. Jhhd.
und der ungefähr gleichaltrige päpstliche Theologe Bellarmin es doch als
eine Vermessenheit bezeichnen, an diejenigen Heiligen nicht glauben zu wollen,
welchen das Martyrologium Romanum einen Platz zuweist, und welche von
Johannes selbst am Schlüsse seiner Erzählung angerufen werden. Uns aber,
denen es gestattet ist, etwas freier darüber zu denken, als der päpstliche Bell¬
armin, liegt zunächst die Frage ob, aus welcher Quelle Johannes seine Er¬
zählung geschöpft hat.

Da nun dieser Autor, wie eben angedeutet, nach seiner eignen Mittheilung
die Erzählung aus dem Munde von Männern vernommen, die sie aus Indien
mitgebracht, so müssen wir uns weiter umsehen, ob nicht uns vielleicht in
der indischen Literatur ein Werk begegnet, welches unsere oder eine ähnliche


zunächst für jede Freude, für jegliches Vergnügen zugänglich machen; zugleich
wollte er ihn über das Elend der Welt in vollkommener Ungewißheit lassen
und ihm so die Möglichkeit des Nachdenkens benehmen. Auf wunderbare
Weise wird jedoch der Prinz über das allgemeine Loos der Menschen aufge¬
klärt und während er nun immer über das menschliche Schicksal nachsinnt,
erlangt ein christlicher Einsiedler Zutritt zu ihm, der ihn auf eine höhere
Lebensanschauung hinweist und ihm die Keime des Evangeliums beibringt.
Von dieser Lehre auf das höchste ergriffen, läßt er sich taufen und gibt seine
irdischen Besitztümer auf; auch seinen Vater bekehrt er und zuletzt zieht er
sich mit dem Einsiedler in die Wüste zurück, wo er schon bei seinen Lebzeiten
von dem Volke als Heiliger verehrt wurde.

Diese Geschichte im Mittelalter, außerordentlich beliebt, hat nicht nur in
Deutschland an Rudolf von Ems einen Bearbeiter gefunden, sondern sie ist
auch damals in den verschiedensten europäischen Sprachen erzählt worden.
Alle Uebersetzungen und Bearbeitungen gehen aber direct oder indireet auf
dieselbe Quelle zurück, auf die griechisch geschriebene „seelenheilsame Geschichte"
des Johannes von Damascus, der eine Zeitlang erster Rathgeber des Kalifen
Al Mansur gewesen war, dann aber durch die Einwirkungen eines italienischen
Mönches veranlaßt ward, sich von der Welt zurückzuziehen und sich im Kloster
Saba dem Studium und frommen Betrachtungen zu weihen. Da nun dieser
Johannes Damascenus im Anfange des 8. Jahrhunderts wirkte, die Ge¬
schichte von Barlaam und Josaphat, für welche er unsere Quelle ist, aber
schon in die ersten Jahrhunderte nach Chr. Geb. verlegt wird, so sind Be¬
denken, die man in Betreff der Glaubwürdigkeit dieser Geschichte hegen könnte,
leicht erklärlich, zumal auch Johannes nach seiner eignen Mittheilung die Er¬
zählung nur durch Hörensagen erfahren hat. Schon früh ist daher der Cha¬
rakter der beiden Heiligen angezweifelt worden, selbst ganz orthodoxe Ka¬
tholiken haben gewisse Bedenken geäußert, aber sie Habens ihre Zweifel be¬
schwichtigt, indem sie. wie z. B. der gutgläubige Leo Allatius im 17. Jhhd.
und der ungefähr gleichaltrige päpstliche Theologe Bellarmin es doch als
eine Vermessenheit bezeichnen, an diejenigen Heiligen nicht glauben zu wollen,
welchen das Martyrologium Romanum einen Platz zuweist, und welche von
Johannes selbst am Schlüsse seiner Erzählung angerufen werden. Uns aber,
denen es gestattet ist, etwas freier darüber zu denken, als der päpstliche Bell¬
armin, liegt zunächst die Frage ob, aus welcher Quelle Johannes seine Er¬
zählung geschöpft hat.

Da nun dieser Autor, wie eben angedeutet, nach seiner eignen Mittheilung
die Erzählung aus dem Munde von Männern vernommen, die sie aus Indien
mitgebracht, so müssen wir uns weiter umsehen, ob nicht uns vielleicht in
der indischen Literatur ein Werk begegnet, welches unsere oder eine ähnliche


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[0315] zunächst für jede Freude, für jegliches Vergnügen zugänglich machen; zugleich wollte er ihn über das Elend der Welt in vollkommener Ungewißheit lassen und ihm so die Möglichkeit des Nachdenkens benehmen. Auf wunderbare Weise wird jedoch der Prinz über das allgemeine Loos der Menschen aufge¬ klärt und während er nun immer über das menschliche Schicksal nachsinnt, erlangt ein christlicher Einsiedler Zutritt zu ihm, der ihn auf eine höhere Lebensanschauung hinweist und ihm die Keime des Evangeliums beibringt. Von dieser Lehre auf das höchste ergriffen, läßt er sich taufen und gibt seine irdischen Besitztümer auf; auch seinen Vater bekehrt er und zuletzt zieht er sich mit dem Einsiedler in die Wüste zurück, wo er schon bei seinen Lebzeiten von dem Volke als Heiliger verehrt wurde. Diese Geschichte im Mittelalter, außerordentlich beliebt, hat nicht nur in Deutschland an Rudolf von Ems einen Bearbeiter gefunden, sondern sie ist auch damals in den verschiedensten europäischen Sprachen erzählt worden. Alle Uebersetzungen und Bearbeitungen gehen aber direct oder indireet auf dieselbe Quelle zurück, auf die griechisch geschriebene „seelenheilsame Geschichte" des Johannes von Damascus, der eine Zeitlang erster Rathgeber des Kalifen Al Mansur gewesen war, dann aber durch die Einwirkungen eines italienischen Mönches veranlaßt ward, sich von der Welt zurückzuziehen und sich im Kloster Saba dem Studium und frommen Betrachtungen zu weihen. Da nun dieser Johannes Damascenus im Anfange des 8. Jahrhunderts wirkte, die Ge¬ schichte von Barlaam und Josaphat, für welche er unsere Quelle ist, aber schon in die ersten Jahrhunderte nach Chr. Geb. verlegt wird, so sind Be¬ denken, die man in Betreff der Glaubwürdigkeit dieser Geschichte hegen könnte, leicht erklärlich, zumal auch Johannes nach seiner eignen Mittheilung die Er¬ zählung nur durch Hörensagen erfahren hat. Schon früh ist daher der Cha¬ rakter der beiden Heiligen angezweifelt worden, selbst ganz orthodoxe Ka¬ tholiken haben gewisse Bedenken geäußert, aber sie Habens ihre Zweifel be¬ schwichtigt, indem sie. wie z. B. der gutgläubige Leo Allatius im 17. Jhhd. und der ungefähr gleichaltrige päpstliche Theologe Bellarmin es doch als eine Vermessenheit bezeichnen, an diejenigen Heiligen nicht glauben zu wollen, welchen das Martyrologium Romanum einen Platz zuweist, und welche von Johannes selbst am Schlüsse seiner Erzählung angerufen werden. Uns aber, denen es gestattet ist, etwas freier darüber zu denken, als der päpstliche Bell¬ armin, liegt zunächst die Frage ob, aus welcher Quelle Johannes seine Er¬ zählung geschöpft hat. Da nun dieser Autor, wie eben angedeutet, nach seiner eignen Mittheilung die Erzählung aus dem Munde von Männern vernommen, die sie aus Indien mitgebracht, so müssen wir uns weiter umsehen, ob nicht uns vielleicht in der indischen Literatur ein Werk begegnet, welches unsere oder eine ähnliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/315>, abgerufen am 26.06.2024.