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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Mittelalters bestand im sogenannten Triplum, der Grammatik, Rhetorik, Dia¬
lektik. Nach dem officiellen Lehrplan zerfällt ein Jesuitengymnasium in fünf
Classen, die ersten drei sind dem Studium der Grammatik, die letzten zwei
dem Studium der Rhetorik gewidmet. Die Dialektik ist den Universitäten
überwiesen. Vergeblich suchen wir nach einem Unterricht, der das reale Ge¬
biet betrifft. Aber, allerdings ein Ersatz bietet sich uns dar! Der Studien¬
plan der Gesellschaft Jesu kennt eine Disciplin mit sonderbarem Namen und
noch sonderbarerem Inhalt, die sogenannte "Erudition". Es wird also eine
Bildungs stunde gegeben. Und was ist ihr Inhalt? In etwas wenigstens
lüftet der Studienplan den Schleier, der diesen Unterricht bedeckt. "Fragen
aus der Poetik, vom Epigramm, Epitaph, von der Ode, Elegie, Epopöe,
Tragödie, vom römischen und Atheniensischen Senat, von der Kriegskunst der
beiden Völker, von dem Gartenwesen, von den Sachen der Kleidung, von dem
Speisesaale, dem Triumph, den Sybillen (sie) und anderen Gegenständen
dieser Art.*) Dies Gemenge verschiedenartigster Stoffe war hier zu einem
äußeren Ganzen verbunden und bildete den einzigen Realunterricht. Der
Zweck dieser Erudition war offenbar der, die sachlichen Begriffe, welche bei der
Lectüre der lateinischen und griechischen Classiker in Betracht kamen, zu er¬
läutern. Nach einem Unterricht in der Geschichte und Geographie, welcher
organisch diese Begriffe hätte erörtern können, fragen wir vergeblich. Wir
dürfen es den Jesuiten nicht verargen, daß sie, als sie ihren Studienplan
schufen, die Realkenntnisse zu Gunsten der formalen Wissenschaften, der Gram¬
matik und Rhetorik, vernachlässigten, denn damit thaten sie nichts anderes
als was alle Schulmänner damaliger Zeit, Katholische wie Protestantische,
ein Trotzendorf in Goldberg, und ein Sturm in Straßburg, billigten und
befolgten. Aber während der Protestantismus neue Bahnen auf dem Gebiet
der Pädagogik einschlug, mußte der Jesuitismus, weil er eben dem Prinzip,
der Stabilität huldigte, seinen Lehrplan gleichsam für unfehlbar hielt, das
alte Geleise unverändert bewahren. Und nur um nicht in zu schroffen Wi¬
derspruch mit dem Fortschritt der Zeit zu gerathen, entschloß er sich zu einigen
Zugeständnissen, fügte er in homöopathischen Dosen den realen Unterricht dem
formalen hinzu.

Auf diese Veränderungen des jesuitischen Lehrsystems in
neuerer Zeit richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit. Große Bedenken
flößt den jesuitischen Pädagogen der frühe Unterricht in der Geschichte ein.
Der Landshuter Lehrplan aus den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts klagt:
"Wenn man in neueren Zeiten so gar viel und frühe von den Geschichten
mittheilt, so ist das nichts weniger als rühmenswerth; denn es führt wahr-



-) Nenner a. a. O. S. Ü07.

Mittelalters bestand im sogenannten Triplum, der Grammatik, Rhetorik, Dia¬
lektik. Nach dem officiellen Lehrplan zerfällt ein Jesuitengymnasium in fünf
Classen, die ersten drei sind dem Studium der Grammatik, die letzten zwei
dem Studium der Rhetorik gewidmet. Die Dialektik ist den Universitäten
überwiesen. Vergeblich suchen wir nach einem Unterricht, der das reale Ge¬
biet betrifft. Aber, allerdings ein Ersatz bietet sich uns dar! Der Studien¬
plan der Gesellschaft Jesu kennt eine Disciplin mit sonderbarem Namen und
noch sonderbarerem Inhalt, die sogenannte „Erudition". Es wird also eine
Bildungs stunde gegeben. Und was ist ihr Inhalt? In etwas wenigstens
lüftet der Studienplan den Schleier, der diesen Unterricht bedeckt. „Fragen
aus der Poetik, vom Epigramm, Epitaph, von der Ode, Elegie, Epopöe,
Tragödie, vom römischen und Atheniensischen Senat, von der Kriegskunst der
beiden Völker, von dem Gartenwesen, von den Sachen der Kleidung, von dem
Speisesaale, dem Triumph, den Sybillen (sie) und anderen Gegenständen
dieser Art.*) Dies Gemenge verschiedenartigster Stoffe war hier zu einem
äußeren Ganzen verbunden und bildete den einzigen Realunterricht. Der
Zweck dieser Erudition war offenbar der, die sachlichen Begriffe, welche bei der
Lectüre der lateinischen und griechischen Classiker in Betracht kamen, zu er¬
läutern. Nach einem Unterricht in der Geschichte und Geographie, welcher
organisch diese Begriffe hätte erörtern können, fragen wir vergeblich. Wir
dürfen es den Jesuiten nicht verargen, daß sie, als sie ihren Studienplan
schufen, die Realkenntnisse zu Gunsten der formalen Wissenschaften, der Gram¬
matik und Rhetorik, vernachlässigten, denn damit thaten sie nichts anderes
als was alle Schulmänner damaliger Zeit, Katholische wie Protestantische,
ein Trotzendorf in Goldberg, und ein Sturm in Straßburg, billigten und
befolgten. Aber während der Protestantismus neue Bahnen auf dem Gebiet
der Pädagogik einschlug, mußte der Jesuitismus, weil er eben dem Prinzip,
der Stabilität huldigte, seinen Lehrplan gleichsam für unfehlbar hielt, das
alte Geleise unverändert bewahren. Und nur um nicht in zu schroffen Wi¬
derspruch mit dem Fortschritt der Zeit zu gerathen, entschloß er sich zu einigen
Zugeständnissen, fügte er in homöopathischen Dosen den realen Unterricht dem
formalen hinzu.

Auf diese Veränderungen des jesuitischen Lehrsystems in
neuerer Zeit richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit. Große Bedenken
flößt den jesuitischen Pädagogen der frühe Unterricht in der Geschichte ein.
Der Landshuter Lehrplan aus den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts klagt:
„Wenn man in neueren Zeiten so gar viel und frühe von den Geschichten
mittheilt, so ist das nichts weniger als rühmenswerth; denn es führt wahr-



-) Nenner a. a. O. S. Ü07.
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[0253] Mittelalters bestand im sogenannten Triplum, der Grammatik, Rhetorik, Dia¬ lektik. Nach dem officiellen Lehrplan zerfällt ein Jesuitengymnasium in fünf Classen, die ersten drei sind dem Studium der Grammatik, die letzten zwei dem Studium der Rhetorik gewidmet. Die Dialektik ist den Universitäten überwiesen. Vergeblich suchen wir nach einem Unterricht, der das reale Ge¬ biet betrifft. Aber, allerdings ein Ersatz bietet sich uns dar! Der Studien¬ plan der Gesellschaft Jesu kennt eine Disciplin mit sonderbarem Namen und noch sonderbarerem Inhalt, die sogenannte „Erudition". Es wird also eine Bildungs stunde gegeben. Und was ist ihr Inhalt? In etwas wenigstens lüftet der Studienplan den Schleier, der diesen Unterricht bedeckt. „Fragen aus der Poetik, vom Epigramm, Epitaph, von der Ode, Elegie, Epopöe, Tragödie, vom römischen und Atheniensischen Senat, von der Kriegskunst der beiden Völker, von dem Gartenwesen, von den Sachen der Kleidung, von dem Speisesaale, dem Triumph, den Sybillen (sie) und anderen Gegenständen dieser Art.*) Dies Gemenge verschiedenartigster Stoffe war hier zu einem äußeren Ganzen verbunden und bildete den einzigen Realunterricht. Der Zweck dieser Erudition war offenbar der, die sachlichen Begriffe, welche bei der Lectüre der lateinischen und griechischen Classiker in Betracht kamen, zu er¬ läutern. Nach einem Unterricht in der Geschichte und Geographie, welcher organisch diese Begriffe hätte erörtern können, fragen wir vergeblich. Wir dürfen es den Jesuiten nicht verargen, daß sie, als sie ihren Studienplan schufen, die Realkenntnisse zu Gunsten der formalen Wissenschaften, der Gram¬ matik und Rhetorik, vernachlässigten, denn damit thaten sie nichts anderes als was alle Schulmänner damaliger Zeit, Katholische wie Protestantische, ein Trotzendorf in Goldberg, und ein Sturm in Straßburg, billigten und befolgten. Aber während der Protestantismus neue Bahnen auf dem Gebiet der Pädagogik einschlug, mußte der Jesuitismus, weil er eben dem Prinzip, der Stabilität huldigte, seinen Lehrplan gleichsam für unfehlbar hielt, das alte Geleise unverändert bewahren. Und nur um nicht in zu schroffen Wi¬ derspruch mit dem Fortschritt der Zeit zu gerathen, entschloß er sich zu einigen Zugeständnissen, fügte er in homöopathischen Dosen den realen Unterricht dem formalen hinzu. Auf diese Veränderungen des jesuitischen Lehrsystems in neuerer Zeit richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit. Große Bedenken flößt den jesuitischen Pädagogen der frühe Unterricht in der Geschichte ein. Der Landshuter Lehrplan aus den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts klagt: „Wenn man in neueren Zeiten so gar viel und frühe von den Geschichten mittheilt, so ist das nichts weniger als rühmenswerth; denn es führt wahr- -) Nenner a. a. O. S. Ü07.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/253>, abgerufen am 24.08.2024.