Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

28^2 Thlr.) betrug, doch als Concurrenz eintrat, that man es billiger. Diese
Spediteure beraubten, behufs eines Extraverdienstes, oder um sich für die
Preiserniedrigung zu entschädigen, die Kinder aller Kleidungsstücke oder et¬
waiger Werthsachen, die sie an sich trugen und setzten sie nackend im Asyl
aus. Aber noch trauriger als dieser Handel war der Umstand, daß man gar
keinen Beweis darüber hatte, ob die Kinder auch wirklich im Hospital ankamen.
Der Verfasser dieses Briefes spricht schon darüber seinen Zweifel aus und schlägt
eine genaue Untersuchung vor. Zahlreiche Beispiele lieferten den Beweis, daß seine
Furcht eine nur zu gegründete war. In Monmouth u. a. wurde eine Person
wegen Kindesmords angeklagt, da man ihr Kind mit einem Stein um den
Hals ertränkt aufgefunden hatte. Die Angeklagte wies nach, daß sie ihr
Kind einem fahrenden Kesselflicker zum Transport nach dem londoner Found-
ling-Hospital übergeben habe. Im Unterhause wurde ferner nachgewiesen,
daß ein Mann, der fünf Kinder in einem Korbe transportirt, unterwegs sich
betrunken und die ganze Nacht über unter freiem Himmel geschlafen habe; am
anderen Morgen fand man drei von den Kindern todt vor. Weiter: daß
von acht, durch einen Fuhrmann nach London gebrachten Kindern sieben
während der Fahrt gestorben seien und das achte nur durch die Sorge der
Mutter, die den Wagen begleitete, am Leben erhalten wurde. Diese grau¬
same, unmenschliche Erpedition von Kindern wurde leider nicht allein durch
entartete Personen getrieben; nicht einmal die Verwaltung der Armensteuer
erröthete darüber, sich in zahlreichen Fällen dieses geheimen Mittels zu be^
dienen, um die Steuerbürde ihrer steuerpflichtigen Gemeindemitglieder zu er¬
leichtern. Wenn, was sehr häusig vorkam, die Eltern Miene machten, sich
dem unmenschlichen Armenpfleger zu widersetzen, so griff dieser zu Drohungen,
die für den Augenblick natürlich selten ihre Wirkung verfehlten. Aber gar
häufig waren gräßliche Scenen die Folgen dieser Grausamkeit. Die Mütter
eilten nach dem Foundling-Hospital zu London, um unter Thränen und
Jammergeschrei ihre geraubten Kinder zurückzufordern. Die Directoren der
Anstalt thaten alles was in ihren Kräften stand, um die schuldigen Armen¬
pfleger einzuschüchtern und unterließen nicht, so oft es möglich war, sie den
Gerichten zu übergeben. Doch die Sucht nach Sparsamkeit war zu groß bei
ihnen. Sie hörten nicht auf, aus dem Inneren der Grafschaften die Kinder
der Armen, eheliche und uneheliche, dem Hospital zu London aufzubürden.

Dieses ungesetzliche Mittel des Kindertransportes wurde im Parlament
heftig getadelt und man dachte daran, ein Gesetz einzuführen, um es mit einem
Schlage zu vernichten; doch blieb dieses Gesetz frommer Wunsch. Das waren die
Mißbräuche und Jnconvenienzen, zu denen der von Capitän Coram vorgeschlagene
Zulassungsmodus Veranlassung gab. Dieselben Schattenseiten kommen mehr oder


28^2 Thlr.) betrug, doch als Concurrenz eintrat, that man es billiger. Diese
Spediteure beraubten, behufs eines Extraverdienstes, oder um sich für die
Preiserniedrigung zu entschädigen, die Kinder aller Kleidungsstücke oder et¬
waiger Werthsachen, die sie an sich trugen und setzten sie nackend im Asyl
aus. Aber noch trauriger als dieser Handel war der Umstand, daß man gar
keinen Beweis darüber hatte, ob die Kinder auch wirklich im Hospital ankamen.
Der Verfasser dieses Briefes spricht schon darüber seinen Zweifel aus und schlägt
eine genaue Untersuchung vor. Zahlreiche Beispiele lieferten den Beweis, daß seine
Furcht eine nur zu gegründete war. In Monmouth u. a. wurde eine Person
wegen Kindesmords angeklagt, da man ihr Kind mit einem Stein um den
Hals ertränkt aufgefunden hatte. Die Angeklagte wies nach, daß sie ihr
Kind einem fahrenden Kesselflicker zum Transport nach dem londoner Found-
ling-Hospital übergeben habe. Im Unterhause wurde ferner nachgewiesen,
daß ein Mann, der fünf Kinder in einem Korbe transportirt, unterwegs sich
betrunken und die ganze Nacht über unter freiem Himmel geschlafen habe; am
anderen Morgen fand man drei von den Kindern todt vor. Weiter: daß
von acht, durch einen Fuhrmann nach London gebrachten Kindern sieben
während der Fahrt gestorben seien und das achte nur durch die Sorge der
Mutter, die den Wagen begleitete, am Leben erhalten wurde. Diese grau¬
same, unmenschliche Erpedition von Kindern wurde leider nicht allein durch
entartete Personen getrieben; nicht einmal die Verwaltung der Armensteuer
erröthete darüber, sich in zahlreichen Fällen dieses geheimen Mittels zu be^
dienen, um die Steuerbürde ihrer steuerpflichtigen Gemeindemitglieder zu er¬
leichtern. Wenn, was sehr häusig vorkam, die Eltern Miene machten, sich
dem unmenschlichen Armenpfleger zu widersetzen, so griff dieser zu Drohungen,
die für den Augenblick natürlich selten ihre Wirkung verfehlten. Aber gar
häufig waren gräßliche Scenen die Folgen dieser Grausamkeit. Die Mütter
eilten nach dem Foundling-Hospital zu London, um unter Thränen und
Jammergeschrei ihre geraubten Kinder zurückzufordern. Die Directoren der
Anstalt thaten alles was in ihren Kräften stand, um die schuldigen Armen¬
pfleger einzuschüchtern und unterließen nicht, so oft es möglich war, sie den
Gerichten zu übergeben. Doch die Sucht nach Sparsamkeit war zu groß bei
ihnen. Sie hörten nicht auf, aus dem Inneren der Grafschaften die Kinder
der Armen, eheliche und uneheliche, dem Hospital zu London aufzubürden.

Dieses ungesetzliche Mittel des Kindertransportes wurde im Parlament
heftig getadelt und man dachte daran, ein Gesetz einzuführen, um es mit einem
Schlage zu vernichten; doch blieb dieses Gesetz frommer Wunsch. Das waren die
Mißbräuche und Jnconvenienzen, zu denen der von Capitän Coram vorgeschlagene
Zulassungsmodus Veranlassung gab. Dieselben Schattenseiten kommen mehr oder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127616"/>
          <p xml:id="ID_789" prev="#ID_788"> 28^2 Thlr.) betrug, doch als Concurrenz eintrat, that man es billiger. Diese<lb/>
Spediteure beraubten, behufs eines Extraverdienstes, oder um sich für die<lb/>
Preiserniedrigung zu entschädigen, die Kinder aller Kleidungsstücke oder et¬<lb/>
waiger Werthsachen, die sie an sich trugen und setzten sie nackend im Asyl<lb/>
aus. Aber noch trauriger als dieser Handel war der Umstand, daß man gar<lb/>
keinen Beweis darüber hatte, ob die Kinder auch wirklich im Hospital ankamen.<lb/>
Der Verfasser dieses Briefes spricht schon darüber seinen Zweifel aus und schlägt<lb/>
eine genaue Untersuchung vor. Zahlreiche Beispiele lieferten den Beweis, daß seine<lb/>
Furcht eine nur zu gegründete war. In Monmouth u. a. wurde eine Person<lb/>
wegen Kindesmords angeklagt, da man ihr Kind mit einem Stein um den<lb/>
Hals ertränkt aufgefunden hatte. Die Angeklagte wies nach, daß sie ihr<lb/>
Kind einem fahrenden Kesselflicker zum Transport nach dem londoner Found-<lb/>
ling-Hospital übergeben habe. Im Unterhause wurde ferner nachgewiesen,<lb/>
daß ein Mann, der fünf Kinder in einem Korbe transportirt, unterwegs sich<lb/>
betrunken und die ganze Nacht über unter freiem Himmel geschlafen habe; am<lb/>
anderen Morgen fand man drei von den Kindern todt vor. Weiter: daß<lb/>
von acht, durch einen Fuhrmann nach London gebrachten Kindern sieben<lb/>
während der Fahrt gestorben seien und das achte nur durch die Sorge der<lb/>
Mutter, die den Wagen begleitete, am Leben erhalten wurde. Diese grau¬<lb/>
same, unmenschliche Erpedition von Kindern wurde leider nicht allein durch<lb/>
entartete Personen getrieben; nicht einmal die Verwaltung der Armensteuer<lb/>
erröthete darüber, sich in zahlreichen Fällen dieses geheimen Mittels zu be^<lb/>
dienen, um die Steuerbürde ihrer steuerpflichtigen Gemeindemitglieder zu er¬<lb/>
leichtern. Wenn, was sehr häusig vorkam, die Eltern Miene machten, sich<lb/>
dem unmenschlichen Armenpfleger zu widersetzen, so griff dieser zu Drohungen,<lb/>
die für den Augenblick natürlich selten ihre Wirkung verfehlten. Aber gar<lb/>
häufig waren gräßliche Scenen die Folgen dieser Grausamkeit. Die Mütter<lb/>
eilten nach dem Foundling-Hospital zu London, um unter Thränen und<lb/>
Jammergeschrei ihre geraubten Kinder zurückzufordern. Die Directoren der<lb/>
Anstalt thaten alles was in ihren Kräften stand, um die schuldigen Armen¬<lb/>
pfleger einzuschüchtern und unterließen nicht, so oft es möglich war, sie den<lb/>
Gerichten zu übergeben. Doch die Sucht nach Sparsamkeit war zu groß bei<lb/>
ihnen. Sie hörten nicht auf, aus dem Inneren der Grafschaften die Kinder<lb/>
der Armen, eheliche und uneheliche, dem Hospital zu London aufzubürden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_790" next="#ID_791"> Dieses ungesetzliche Mittel des Kindertransportes wurde im Parlament<lb/>
heftig getadelt und man dachte daran, ein Gesetz einzuführen, um es mit einem<lb/>
Schlage zu vernichten; doch blieb dieses Gesetz frommer Wunsch. Das waren die<lb/>
Mißbräuche und Jnconvenienzen, zu denen der von Capitän Coram vorgeschlagene<lb/>
Zulassungsmodus Veranlassung gab. Dieselben Schattenseiten kommen mehr oder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0236] 28^2 Thlr.) betrug, doch als Concurrenz eintrat, that man es billiger. Diese Spediteure beraubten, behufs eines Extraverdienstes, oder um sich für die Preiserniedrigung zu entschädigen, die Kinder aller Kleidungsstücke oder et¬ waiger Werthsachen, die sie an sich trugen und setzten sie nackend im Asyl aus. Aber noch trauriger als dieser Handel war der Umstand, daß man gar keinen Beweis darüber hatte, ob die Kinder auch wirklich im Hospital ankamen. Der Verfasser dieses Briefes spricht schon darüber seinen Zweifel aus und schlägt eine genaue Untersuchung vor. Zahlreiche Beispiele lieferten den Beweis, daß seine Furcht eine nur zu gegründete war. In Monmouth u. a. wurde eine Person wegen Kindesmords angeklagt, da man ihr Kind mit einem Stein um den Hals ertränkt aufgefunden hatte. Die Angeklagte wies nach, daß sie ihr Kind einem fahrenden Kesselflicker zum Transport nach dem londoner Found- ling-Hospital übergeben habe. Im Unterhause wurde ferner nachgewiesen, daß ein Mann, der fünf Kinder in einem Korbe transportirt, unterwegs sich betrunken und die ganze Nacht über unter freiem Himmel geschlafen habe; am anderen Morgen fand man drei von den Kindern todt vor. Weiter: daß von acht, durch einen Fuhrmann nach London gebrachten Kindern sieben während der Fahrt gestorben seien und das achte nur durch die Sorge der Mutter, die den Wagen begleitete, am Leben erhalten wurde. Diese grau¬ same, unmenschliche Erpedition von Kindern wurde leider nicht allein durch entartete Personen getrieben; nicht einmal die Verwaltung der Armensteuer erröthete darüber, sich in zahlreichen Fällen dieses geheimen Mittels zu be^ dienen, um die Steuerbürde ihrer steuerpflichtigen Gemeindemitglieder zu er¬ leichtern. Wenn, was sehr häusig vorkam, die Eltern Miene machten, sich dem unmenschlichen Armenpfleger zu widersetzen, so griff dieser zu Drohungen, die für den Augenblick natürlich selten ihre Wirkung verfehlten. Aber gar häufig waren gräßliche Scenen die Folgen dieser Grausamkeit. Die Mütter eilten nach dem Foundling-Hospital zu London, um unter Thränen und Jammergeschrei ihre geraubten Kinder zurückzufordern. Die Directoren der Anstalt thaten alles was in ihren Kräften stand, um die schuldigen Armen¬ pfleger einzuschüchtern und unterließen nicht, so oft es möglich war, sie den Gerichten zu übergeben. Doch die Sucht nach Sparsamkeit war zu groß bei ihnen. Sie hörten nicht auf, aus dem Inneren der Grafschaften die Kinder der Armen, eheliche und uneheliche, dem Hospital zu London aufzubürden. Dieses ungesetzliche Mittel des Kindertransportes wurde im Parlament heftig getadelt und man dachte daran, ein Gesetz einzuführen, um es mit einem Schlage zu vernichten; doch blieb dieses Gesetz frommer Wunsch. Das waren die Mißbräuche und Jnconvenienzen, zu denen der von Capitän Coram vorgeschlagene Zulassungsmodus Veranlassung gab. Dieselben Schattenseiten kommen mehr oder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/236
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/236>, abgerufen am 02.10.2024.