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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Capitalien gemacht, Liederlichkeit, Trägheit und Verschwendung dagegen
ebenso oft eine Familie aus der Beletage des Bourgeois in die Kellerwohnung
oder das Dachstübchen zurückgebracht haben, wo der fleißige und gescheidte
Proletarier anfänglich hauste, der ihr Vater oder Großvater war.

Diese Wahrheiten werden sich bei befangenen, wenig aufgeklärten und über¬
dies durch langen Kämpf gründlich verbitterten Leuten, wie die Arbeitermassen,
welche die Internationale und ähnliche Vereine aufgewühlt haben, jetzt sind,
ohne begleitende Thaten allerdings kein Gehör verschaffen. Man muß eben
diese Predigten mit unwiderlegbaren Beweisen dafür unterstützen, daß man
vom Geiste wohlmeinender Billigkeit erfüllt ist. Es giebt noch immer eine
Menge fleißiger und geschickter Arbeiter, welchen die von den Führern der
Internationale und andern Wühlern vor jeder Arbeitseinstellung erhobenen
Forderungen sehr bedenklich vorkommen, weil sie den Tagelohn, der nur den
Trägen und Ungeschickten zu Gute kommt, der Aceordarbeit, welche dem
flotten und geschickten Arbeiter vortheilhaft ist, substituiren wollen. Sollten
sich in dieser Elite, aus der sich die Bourgeoisie bereits rekrutirt, nicht eine
große Anzahl rechtschaffener Leute finden lassen, welche als geachtete Vermittler
zwischen ihren Kameraden und Arbeitgebern zu dienen befähigt und geneigt
wären? Könnte man nicht auf diese Weise eine Art Schiedsrichter schaffen,
welche ohne Voreingenommenheit für, ohne Verpflichtung gegen eine der
beiden Parteien allein heute dem Capital die gerechten Ansprüche der Arbeit
und morgen der Arbeit die dem Capital auferlegten Nothwendigkeiten be¬
greiflich machen?

Ein großer Theil der Arbeiter hat bis jetzt nur auf die Menschen gehört,
die ihnen den Haß und den Kampf predigten. Ist man wirklich so unwissend
und einfältig, sich einzubilden, daß die Zukunft die großen wirthschaftlichen
Gesetze auf den Kopf stellen werde, und sollte man nicht, einerseits durch
zahlreiche traurige Erfahrungen belehrt, andrerseits durch die Zugeständnisse
beruhigt, welche die Gesetzgebung gerechten Beschwerden gegenüber bereits ge¬
währt hat und weiter gewähren kann, nun auch geneigt sein, einmal sein
Ohr wohlmeinenden Leuten zu leihen, welche Vergessen des Classenhasses,
sociale Versöhnung und friedliche gesetzmäßige Untersuchung der Mittel, mit
denen das Loos der Arbeiter verbessert werden kann, empfehlen?

Die Lösung dieser Fragen ist schon wiederholt versucht worden, und
manches Gute ist daraus hervorgegangen. Aber man muß den Versuch fort¬
setzen, und jeder kann dazu mitwirken, gleichviel auf welche Stufe der Gesell¬
schaft er vom Schicksal gestellt ist. Es giebt kein interessanteres Problem,
und es giebt keins, dessen Lösung dringender wäre. Die erbitterten Gegner
aller Ideen, auf denen die heutige Gesittung beruht, sind ohne Zweifel we¬
niger stark als sie sich zu sein rühmen. Aber sie sind immerhin furchtbar


Capitalien gemacht, Liederlichkeit, Trägheit und Verschwendung dagegen
ebenso oft eine Familie aus der Beletage des Bourgeois in die Kellerwohnung
oder das Dachstübchen zurückgebracht haben, wo der fleißige und gescheidte
Proletarier anfänglich hauste, der ihr Vater oder Großvater war.

Diese Wahrheiten werden sich bei befangenen, wenig aufgeklärten und über¬
dies durch langen Kämpf gründlich verbitterten Leuten, wie die Arbeitermassen,
welche die Internationale und ähnliche Vereine aufgewühlt haben, jetzt sind,
ohne begleitende Thaten allerdings kein Gehör verschaffen. Man muß eben
diese Predigten mit unwiderlegbaren Beweisen dafür unterstützen, daß man
vom Geiste wohlmeinender Billigkeit erfüllt ist. Es giebt noch immer eine
Menge fleißiger und geschickter Arbeiter, welchen die von den Führern der
Internationale und andern Wühlern vor jeder Arbeitseinstellung erhobenen
Forderungen sehr bedenklich vorkommen, weil sie den Tagelohn, der nur den
Trägen und Ungeschickten zu Gute kommt, der Aceordarbeit, welche dem
flotten und geschickten Arbeiter vortheilhaft ist, substituiren wollen. Sollten
sich in dieser Elite, aus der sich die Bourgeoisie bereits rekrutirt, nicht eine
große Anzahl rechtschaffener Leute finden lassen, welche als geachtete Vermittler
zwischen ihren Kameraden und Arbeitgebern zu dienen befähigt und geneigt
wären? Könnte man nicht auf diese Weise eine Art Schiedsrichter schaffen,
welche ohne Voreingenommenheit für, ohne Verpflichtung gegen eine der
beiden Parteien allein heute dem Capital die gerechten Ansprüche der Arbeit
und morgen der Arbeit die dem Capital auferlegten Nothwendigkeiten be¬
greiflich machen?

Ein großer Theil der Arbeiter hat bis jetzt nur auf die Menschen gehört,
die ihnen den Haß und den Kampf predigten. Ist man wirklich so unwissend
und einfältig, sich einzubilden, daß die Zukunft die großen wirthschaftlichen
Gesetze auf den Kopf stellen werde, und sollte man nicht, einerseits durch
zahlreiche traurige Erfahrungen belehrt, andrerseits durch die Zugeständnisse
beruhigt, welche die Gesetzgebung gerechten Beschwerden gegenüber bereits ge¬
währt hat und weiter gewähren kann, nun auch geneigt sein, einmal sein
Ohr wohlmeinenden Leuten zu leihen, welche Vergessen des Classenhasses,
sociale Versöhnung und friedliche gesetzmäßige Untersuchung der Mittel, mit
denen das Loos der Arbeiter verbessert werden kann, empfehlen?

Die Lösung dieser Fragen ist schon wiederholt versucht worden, und
manches Gute ist daraus hervorgegangen. Aber man muß den Versuch fort¬
setzen, und jeder kann dazu mitwirken, gleichviel auf welche Stufe der Gesell¬
schaft er vom Schicksal gestellt ist. Es giebt kein interessanteres Problem,
und es giebt keins, dessen Lösung dringender wäre. Die erbitterten Gegner
aller Ideen, auf denen die heutige Gesittung beruht, sind ohne Zweifel we¬
niger stark als sie sich zu sein rühmen. Aber sie sind immerhin furchtbar


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[0231] Capitalien gemacht, Liederlichkeit, Trägheit und Verschwendung dagegen ebenso oft eine Familie aus der Beletage des Bourgeois in die Kellerwohnung oder das Dachstübchen zurückgebracht haben, wo der fleißige und gescheidte Proletarier anfänglich hauste, der ihr Vater oder Großvater war. Diese Wahrheiten werden sich bei befangenen, wenig aufgeklärten und über¬ dies durch langen Kämpf gründlich verbitterten Leuten, wie die Arbeitermassen, welche die Internationale und ähnliche Vereine aufgewühlt haben, jetzt sind, ohne begleitende Thaten allerdings kein Gehör verschaffen. Man muß eben diese Predigten mit unwiderlegbaren Beweisen dafür unterstützen, daß man vom Geiste wohlmeinender Billigkeit erfüllt ist. Es giebt noch immer eine Menge fleißiger und geschickter Arbeiter, welchen die von den Führern der Internationale und andern Wühlern vor jeder Arbeitseinstellung erhobenen Forderungen sehr bedenklich vorkommen, weil sie den Tagelohn, der nur den Trägen und Ungeschickten zu Gute kommt, der Aceordarbeit, welche dem flotten und geschickten Arbeiter vortheilhaft ist, substituiren wollen. Sollten sich in dieser Elite, aus der sich die Bourgeoisie bereits rekrutirt, nicht eine große Anzahl rechtschaffener Leute finden lassen, welche als geachtete Vermittler zwischen ihren Kameraden und Arbeitgebern zu dienen befähigt und geneigt wären? Könnte man nicht auf diese Weise eine Art Schiedsrichter schaffen, welche ohne Voreingenommenheit für, ohne Verpflichtung gegen eine der beiden Parteien allein heute dem Capital die gerechten Ansprüche der Arbeit und morgen der Arbeit die dem Capital auferlegten Nothwendigkeiten be¬ greiflich machen? Ein großer Theil der Arbeiter hat bis jetzt nur auf die Menschen gehört, die ihnen den Haß und den Kampf predigten. Ist man wirklich so unwissend und einfältig, sich einzubilden, daß die Zukunft die großen wirthschaftlichen Gesetze auf den Kopf stellen werde, und sollte man nicht, einerseits durch zahlreiche traurige Erfahrungen belehrt, andrerseits durch die Zugeständnisse beruhigt, welche die Gesetzgebung gerechten Beschwerden gegenüber bereits ge¬ währt hat und weiter gewähren kann, nun auch geneigt sein, einmal sein Ohr wohlmeinenden Leuten zu leihen, welche Vergessen des Classenhasses, sociale Versöhnung und friedliche gesetzmäßige Untersuchung der Mittel, mit denen das Loos der Arbeiter verbessert werden kann, empfehlen? Die Lösung dieser Fragen ist schon wiederholt versucht worden, und manches Gute ist daraus hervorgegangen. Aber man muß den Versuch fort¬ setzen, und jeder kann dazu mitwirken, gleichviel auf welche Stufe der Gesell¬ schaft er vom Schicksal gestellt ist. Es giebt kein interessanteres Problem, und es giebt keins, dessen Lösung dringender wäre. Die erbitterten Gegner aller Ideen, auf denen die heutige Gesittung beruht, sind ohne Zweifel we¬ niger stark als sie sich zu sein rühmen. Aber sie sind immerhin furchtbar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/231>, abgerufen am 22.07.2024.