Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.schlechtesten. Das Geschäft des Dietirens und Nachschreibens ließe sich Die der eben besprochenen verwandteste Lehrmethode ist die des Dietirens schlechtesten. Das Geschäft des Dietirens und Nachschreibens ließe sich Die der eben besprochenen verwandteste Lehrmethode ist die des Dietirens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127638"/> <p xml:id="ID_694" prev="#ID_693"> schlechtesten. Das Geschäft des Dietirens und Nachschreibens ließe sich<lb/> zu beiderseitigen Bordseite wohl besser durch Dritte besorgen, oder der Pro¬<lb/> fessor giebt lieber gleich, da wir jetzt die Buchdruckerkunst haben, sein<lb/> ganzes Kollegienheft in Druck, und Alles bleibt zu Hause. Erfahrungsmäßig<lb/> schreibt der Zuhörer bei solchen Vorträgen nur mechanisch nach, während<lb/> seine Gedanken weiß Gott wo anders herumschweifen, wobei nur die deutsche<lb/> Geduld des Nachschreibenden zu bewundern ist. Das Schlimmste aber ist,<lb/> daß solche Vortrüge auch nicht den mindesten didaktischen Werth haben.<lb/> Lehren heißt sprechen zu Denkenden, und diese begreisen machen; hier wird<lb/> aber zu Geistesabwesenden gesprochen, die schlechterdings nicht begreifen können.<lb/> Die hie und da, eigentlich nur schandehalber, eingestreuten kurzen Bemerkungen<lb/> haben bloß den einen Nutzen, den schreibkrampfigen Fingern des „Zuhörers"<lb/> einige Erholung zu gewähren. Wer jemals als Student „das Glück gehabt"<lb/> hat, derartige Vorlesungen absitzen zu müssen, wird die Erinnerung an den<lb/> kümmerlichen Eindruck des hinter einem Quartblatte Papier hervorredenden<lb/> Professors, wie die klägliche Langeweile des Ganzen, sein Lebtag nicht mehr<lb/> vergessen. Wenn nun bei derartigen Vorträgen didaktisch nichts profitirt<lb/> wird, so fragt es sich, ob denn wissenschaftlich etwas, vielleicht ox post, ge¬<lb/> wonnen wird? Auch diese Frage ist schlechthin zu verneinen. Das „gute<lb/> Kollegienheft," welches der Student aus solchen Vorlesungen mit nach Hause<lb/> bringt, bleibt doch immer weit hinter einem Lehrbuche zurück, und an solchen,<lb/> noch dazu sehr vorzüglichen, ist heutzutage kein Mangel; daher greift auch<lb/> der Student später, wenn er sich zum Studium hinsetzt, zu einem Lehrbuche<lb/> und läßt das nie aufgeschlagene Collegienheft im Winkel liegen. Was hat<lb/> ihm al^o der einstige Dictando-Vertrag eingebracht? Nichts, gar nichts, als<lb/> Verlust an Zeit und Geld.</p><lb/> <p xml:id="ID_695" next="#ID_696"> Die der eben besprochenen verwandteste Lehrmethode ist die des Dietirens<lb/> kurzer Sätze, von denen immer einer nach dem andern, sowie er niederge¬<lb/> schrieben ist, erplcmirt wird. Auch diese Methode — man kann sie die c o m-<lb/> mentirende nennen — ist zu verwerfen, so häufig sie auch vorkommt. Wie<lb/> bei allem Dictiren der Schreiber rein passiv und nur mechanisch beschäftigt<lb/> ist, schreibt auch hier der Student gedankenlos nach, weiß nichts von dem,<lb/> was erklärt wird, und hält, wie er einmal ist, die Erklärung für überflüssig,<lb/> sie ist ihm „Geschwätz, denn die Hauptsache steht ja doch schon auf dem<lb/> Papier." Räthselhaft ist bei dieser Methode nur der Grund, warum dictirt,<lb/> und das zu Dictirende den Studenten nicht gedruckt vorgelegt wird. Leider<lb/> hat Puchta (Cursus I. Vorrede) recht, wenn er sagt, daß die Erfindung der<lb/> Buchdruckerkunst in ihrem „Einfluß auf die Gestalt des Universitäts-Unter-<lb/> richts fast unmerkbar" war! Gegen die beiden vorstehenden Lehrmetho¬<lb/> den lassen sich, um zusammenzufassen, die Vorwürfe erheben: eines kolossalen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
schlechtesten. Das Geschäft des Dietirens und Nachschreibens ließe sich
zu beiderseitigen Bordseite wohl besser durch Dritte besorgen, oder der Pro¬
fessor giebt lieber gleich, da wir jetzt die Buchdruckerkunst haben, sein
ganzes Kollegienheft in Druck, und Alles bleibt zu Hause. Erfahrungsmäßig
schreibt der Zuhörer bei solchen Vorträgen nur mechanisch nach, während
seine Gedanken weiß Gott wo anders herumschweifen, wobei nur die deutsche
Geduld des Nachschreibenden zu bewundern ist. Das Schlimmste aber ist,
daß solche Vortrüge auch nicht den mindesten didaktischen Werth haben.
Lehren heißt sprechen zu Denkenden, und diese begreisen machen; hier wird
aber zu Geistesabwesenden gesprochen, die schlechterdings nicht begreifen können.
Die hie und da, eigentlich nur schandehalber, eingestreuten kurzen Bemerkungen
haben bloß den einen Nutzen, den schreibkrampfigen Fingern des „Zuhörers"
einige Erholung zu gewähren. Wer jemals als Student „das Glück gehabt"
hat, derartige Vorlesungen absitzen zu müssen, wird die Erinnerung an den
kümmerlichen Eindruck des hinter einem Quartblatte Papier hervorredenden
Professors, wie die klägliche Langeweile des Ganzen, sein Lebtag nicht mehr
vergessen. Wenn nun bei derartigen Vorträgen didaktisch nichts profitirt
wird, so fragt es sich, ob denn wissenschaftlich etwas, vielleicht ox post, ge¬
wonnen wird? Auch diese Frage ist schlechthin zu verneinen. Das „gute
Kollegienheft," welches der Student aus solchen Vorlesungen mit nach Hause
bringt, bleibt doch immer weit hinter einem Lehrbuche zurück, und an solchen,
noch dazu sehr vorzüglichen, ist heutzutage kein Mangel; daher greift auch
der Student später, wenn er sich zum Studium hinsetzt, zu einem Lehrbuche
und läßt das nie aufgeschlagene Collegienheft im Winkel liegen. Was hat
ihm al^o der einstige Dictando-Vertrag eingebracht? Nichts, gar nichts, als
Verlust an Zeit und Geld.
Die der eben besprochenen verwandteste Lehrmethode ist die des Dietirens
kurzer Sätze, von denen immer einer nach dem andern, sowie er niederge¬
schrieben ist, erplcmirt wird. Auch diese Methode — man kann sie die c o m-
mentirende nennen — ist zu verwerfen, so häufig sie auch vorkommt. Wie
bei allem Dictiren der Schreiber rein passiv und nur mechanisch beschäftigt
ist, schreibt auch hier der Student gedankenlos nach, weiß nichts von dem,
was erklärt wird, und hält, wie er einmal ist, die Erklärung für überflüssig,
sie ist ihm „Geschwätz, denn die Hauptsache steht ja doch schon auf dem
Papier." Räthselhaft ist bei dieser Methode nur der Grund, warum dictirt,
und das zu Dictirende den Studenten nicht gedruckt vorgelegt wird. Leider
hat Puchta (Cursus I. Vorrede) recht, wenn er sagt, daß die Erfindung der
Buchdruckerkunst in ihrem „Einfluß auf die Gestalt des Universitäts-Unter-
richts fast unmerkbar" war! Gegen die beiden vorstehenden Lehrmetho¬
den lassen sich, um zusammenzufassen, die Vorwürfe erheben: eines kolossalen
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