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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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ich einige der Anekdoten, welche er über König Ludwig den Ersten von Bayern
während seines Aufenthaltes in München gesammelt hat, ergänze und zu
einem Charakterbild zusammenzustellen versuche.

König Ludwig war, das muß Feind wie Freund zugestehen, ein bedeu¬
tender Mann und huldigte von Haus einer hochfliegenden idealen Weltan¬
schauung. Seine Verdienste um die deutsche Kunst werden stets anerkannt
werden und seinen Namen auf die Nachwelt bringen. Auch war er ursprüng¬
lich freisinnig und deutsch gesinnt. -- Aber er hatte eine, aus der Eigenthüm¬
lichkeit seines Charakters und seiner Erziehung entsprungene mystisch-phan¬
tastisch-byzantinische Auffassung des Königthums, das er fast der Gottheit
gleichstellte. Er sprang einst drohend und mit dem lauten Rufe "der König!"
auf einen Recruten zu, der Schildwache stand und ihn nicht gleich bemerkt
hatte. Die Majestätsbeleidiger zwang er, in bewußter Nachahmung der
römischen Cäsaren, vor seinem Bilde feierliche Abbitte zu thun. Er hielt sich,
den König, für die einzige bewegende Kraft im Staate und haßte daher jede
andere spontane Bewegung, -- ja zuletzt jede selbständige Meinung. Wider¬
spruch konnte er nicht vertragen und nirgends wurden politische Prozesse so
streng geführt und so grausam vollzogen, wie in Bayern. Er schonte dabei
auch nicht solche Personen, die er noch vor Kurzem Freunde nannte. Ver¬
möge dieses krankhaften Kleinsultanismus hat er sich sein sonst so reiches
Leben verbittert. Wenn die Andern die "deutsche" Freiheit nicht gerade so
auffaßten, wie er; -- wenn sie über Prosodie und Metrik nicht gleich laxe
Ansichten hatten; -- wenn sie nicht "Bayern" schrieben, sondern Baiern, so
ärgerte er sich über das Alles so gründlich und nachhaltig, daß er sich endlich
den Klerikalen in die Arme warf, welche es mit Prosodie, Metrik, Ortho¬
graphie und vielen andern Dingen gar nicht so genau nahmen.

So verfiel der "freisinnige" König dem Ministerium Abel. Dann ging
es von Abel weiter abwärts, vom Ultramontanismus zum Lolamontanismus,
und von diesem zur Abdankung, der ein nur mit innerlich gährendem Unmuth
ertragener Privatstand von zwanzig Jahren gefolgt ist.

Ludwig haschte keineswegs nach Popularität, war aber von Natur aus
volksgemein, das heißt er sprach Jedermann ohne vorhergegangenen Gruß
direct und möglichst im Dialekt an, aber selten theilncchmsvoll oder wohl¬
wollend, sondern meist kurz und sarkastisch, mehr seine eigenen Gedanken, die
ihm eben durchs Hirn gingen, an den Mann bringend, als sich um den An¬
gesprochenen kümmernd, und dann ohne die Antwort abzuwarten, sich weiter
trollend. Wenn er zudem im Hofgarten drohend den Gassenjungen nachlief,
welche die Kastanien von den Bäumen schlugen; im Hofbrauhause erschien
und selber sein "Krügl" ausschwenkte, und über die Köpfe der Uebrigen hin¬
weg es der Kellnerin ungeduldig hinhielt; wenn er gern im Gebirge sich allein


ich einige der Anekdoten, welche er über König Ludwig den Ersten von Bayern
während seines Aufenthaltes in München gesammelt hat, ergänze und zu
einem Charakterbild zusammenzustellen versuche.

König Ludwig war, das muß Feind wie Freund zugestehen, ein bedeu¬
tender Mann und huldigte von Haus einer hochfliegenden idealen Weltan¬
schauung. Seine Verdienste um die deutsche Kunst werden stets anerkannt
werden und seinen Namen auf die Nachwelt bringen. Auch war er ursprüng¬
lich freisinnig und deutsch gesinnt. — Aber er hatte eine, aus der Eigenthüm¬
lichkeit seines Charakters und seiner Erziehung entsprungene mystisch-phan¬
tastisch-byzantinische Auffassung des Königthums, das er fast der Gottheit
gleichstellte. Er sprang einst drohend und mit dem lauten Rufe „der König!"
auf einen Recruten zu, der Schildwache stand und ihn nicht gleich bemerkt
hatte. Die Majestätsbeleidiger zwang er, in bewußter Nachahmung der
römischen Cäsaren, vor seinem Bilde feierliche Abbitte zu thun. Er hielt sich,
den König, für die einzige bewegende Kraft im Staate und haßte daher jede
andere spontane Bewegung, — ja zuletzt jede selbständige Meinung. Wider¬
spruch konnte er nicht vertragen und nirgends wurden politische Prozesse so
streng geführt und so grausam vollzogen, wie in Bayern. Er schonte dabei
auch nicht solche Personen, die er noch vor Kurzem Freunde nannte. Ver¬
möge dieses krankhaften Kleinsultanismus hat er sich sein sonst so reiches
Leben verbittert. Wenn die Andern die „deutsche" Freiheit nicht gerade so
auffaßten, wie er; — wenn sie über Prosodie und Metrik nicht gleich laxe
Ansichten hatten; — wenn sie nicht „Bayern" schrieben, sondern Baiern, so
ärgerte er sich über das Alles so gründlich und nachhaltig, daß er sich endlich
den Klerikalen in die Arme warf, welche es mit Prosodie, Metrik, Ortho¬
graphie und vielen andern Dingen gar nicht so genau nahmen.

So verfiel der „freisinnige" König dem Ministerium Abel. Dann ging
es von Abel weiter abwärts, vom Ultramontanismus zum Lolamontanismus,
und von diesem zur Abdankung, der ein nur mit innerlich gährendem Unmuth
ertragener Privatstand von zwanzig Jahren gefolgt ist.

Ludwig haschte keineswegs nach Popularität, war aber von Natur aus
volksgemein, das heißt er sprach Jedermann ohne vorhergegangenen Gruß
direct und möglichst im Dialekt an, aber selten theilncchmsvoll oder wohl¬
wollend, sondern meist kurz und sarkastisch, mehr seine eigenen Gedanken, die
ihm eben durchs Hirn gingen, an den Mann bringend, als sich um den An¬
gesprochenen kümmernd, und dann ohne die Antwort abzuwarten, sich weiter
trollend. Wenn er zudem im Hofgarten drohend den Gassenjungen nachlief,
welche die Kastanien von den Bäumen schlugen; im Hofbrauhause erschien
und selber sein „Krügl" ausschwenkte, und über die Köpfe der Uebrigen hin¬
weg es der Kellnerin ungeduldig hinhielt; wenn er gern im Gebirge sich allein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/194>, abgerufen am 22.12.2024.