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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Die legitimistische Partei, fast ausschließlich aus Großgrundbesitzern be¬
stehend, welche den Interessen der Kirche ebenso zugewandt sind, wie denen
der Monarchie, und welche der Demokratie fast dieselbe Feindschaft entgegen¬
trägt wie der Demagogie, haßte natürlich die Theilnehmer am Bankett in
Se. Martins Hall und am Genfer Congreß noch heftiger als die Bonapar¬
tisten. Die Orleanisten fanden ohne Zweifel am Kaiserthum sehr wenig Ge¬
fallen, aber die Programme und Proclamationen des social-demokratischen
Arbeiterbundes mußten ihnen als den specifischen Vertretern der Bourgeosie,
die ja von jenen als Hauptseindin behandelt wurde, noch unendlich mehr
mißfallen. Eher schien möglich, daß die Republikaner Bundesgenossen der
Internationale wurden, oder wenigstens in gewissen Fragen mit ihr Hand in .
Hand zu gehen Neigung empfanden. Aber auch das erwies sich bei näherer
Betrachtung nicht wahrscheinlich. Die gemäßigten Republikaner, denen es
eigentlich nur um den Namen Republik zu thun war, und die sich sonst in
den meisten Punkten ganz gut mit den Liberalen orleanistischen Bekenntnisses
zu verständigen vermochten, erregten den praktischen Socialisten genau den¬
selben Abscheu wie die letzteren. Der andere Flügel der Partei aber, die
Jacobiner und Hebertisten, die in alle Ewigkeit unversöhnlichen Radicalen,
denen die Constituante von 1847 soviel werth als die .,VKg,entr<z introuvahlo"
von 1816 und Cavaignac nur ein directer Nachfolger Polignacs war, hätten
dem Anschein nach der Internationale werthe Freunde sein müssen, und Nie¬
mand würde sich gewundert haben, wenn beide Parteien sich zu einem gemein¬
samen Sturm auf die bestehende Gesellschaft vereinigt hätten. Dennoch war
auch ein solches Bündniß Dank den Charaktereigenthümlichkeiten beider Par¬
teien ein Ding der Unmöglichkeit, und so scheiterte es jedes Mal, wo es von
Seiten jener Republikaner versucht wurde.

Das wahre Wesen des demagogischen Geistes ist das Mißtrauen, sein
stetes Feldgeschrei ist: "Wir sind verrathen." In Genf erklärte Blanqui
die Pariser Internationalen für verkappte Bonapartisten, später wurde Baku-
nin von dem Londoner Generalrathe als Spion und Agent der russischen
Politik in den Bann gethan. Als Jacobiner und Internationale im März
1871 sich in der Commune zusammenfanden, war jenes Feldgeschrei täglich
zu hören und die ihm zu Grunde liegende argwöhnische Gesinnung Ursache
zu zahlreichen kleinen Revolutionen im Kreise der Führer des Aufstandes.

Sodann aber sahen sich die beiden radicalen Parteien noch durch eine
andere Schranke getrennt. Fast alle Jacobiner gehören der Mittelclasse an,
und der demagogische Duft, den sie ausströmen, wird für die Nase eines
Internationalen immer einen gewissen Nebengeruch von "Bourgeoisie" haben,
welcher derselben unausstehlich ist. Zwar müssen die reinen Jacobiner zuge-
gestehen, daß sie ganz wie die "Schwefelbande" nur conspiriren, um zu con-


Grenjboten II. 1872. 22

Die legitimistische Partei, fast ausschließlich aus Großgrundbesitzern be¬
stehend, welche den Interessen der Kirche ebenso zugewandt sind, wie denen
der Monarchie, und welche der Demokratie fast dieselbe Feindschaft entgegen¬
trägt wie der Demagogie, haßte natürlich die Theilnehmer am Bankett in
Se. Martins Hall und am Genfer Congreß noch heftiger als die Bonapar¬
tisten. Die Orleanisten fanden ohne Zweifel am Kaiserthum sehr wenig Ge¬
fallen, aber die Programme und Proclamationen des social-demokratischen
Arbeiterbundes mußten ihnen als den specifischen Vertretern der Bourgeosie,
die ja von jenen als Hauptseindin behandelt wurde, noch unendlich mehr
mißfallen. Eher schien möglich, daß die Republikaner Bundesgenossen der
Internationale wurden, oder wenigstens in gewissen Fragen mit ihr Hand in .
Hand zu gehen Neigung empfanden. Aber auch das erwies sich bei näherer
Betrachtung nicht wahrscheinlich. Die gemäßigten Republikaner, denen es
eigentlich nur um den Namen Republik zu thun war, und die sich sonst in
den meisten Punkten ganz gut mit den Liberalen orleanistischen Bekenntnisses
zu verständigen vermochten, erregten den praktischen Socialisten genau den¬
selben Abscheu wie die letzteren. Der andere Flügel der Partei aber, die
Jacobiner und Hebertisten, die in alle Ewigkeit unversöhnlichen Radicalen,
denen die Constituante von 1847 soviel werth als die .,VKg,entr<z introuvahlo"
von 1816 und Cavaignac nur ein directer Nachfolger Polignacs war, hätten
dem Anschein nach der Internationale werthe Freunde sein müssen, und Nie¬
mand würde sich gewundert haben, wenn beide Parteien sich zu einem gemein¬
samen Sturm auf die bestehende Gesellschaft vereinigt hätten. Dennoch war
auch ein solches Bündniß Dank den Charaktereigenthümlichkeiten beider Par¬
teien ein Ding der Unmöglichkeit, und so scheiterte es jedes Mal, wo es von
Seiten jener Republikaner versucht wurde.

Das wahre Wesen des demagogischen Geistes ist das Mißtrauen, sein
stetes Feldgeschrei ist: „Wir sind verrathen." In Genf erklärte Blanqui
die Pariser Internationalen für verkappte Bonapartisten, später wurde Baku-
nin von dem Londoner Generalrathe als Spion und Agent der russischen
Politik in den Bann gethan. Als Jacobiner und Internationale im März
1871 sich in der Commune zusammenfanden, war jenes Feldgeschrei täglich
zu hören und die ihm zu Grunde liegende argwöhnische Gesinnung Ursache
zu zahlreichen kleinen Revolutionen im Kreise der Führer des Aufstandes.

Sodann aber sahen sich die beiden radicalen Parteien noch durch eine
andere Schranke getrennt. Fast alle Jacobiner gehören der Mittelclasse an,
und der demagogische Duft, den sie ausströmen, wird für die Nase eines
Internationalen immer einen gewissen Nebengeruch von „Bourgeoisie" haben,
welcher derselben unausstehlich ist. Zwar müssen die reinen Jacobiner zuge-
gestehen, daß sie ganz wie die „Schwefelbande" nur conspiriren, um zu con-


Grenjboten II. 1872. 22
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[0177] Die legitimistische Partei, fast ausschließlich aus Großgrundbesitzern be¬ stehend, welche den Interessen der Kirche ebenso zugewandt sind, wie denen der Monarchie, und welche der Demokratie fast dieselbe Feindschaft entgegen¬ trägt wie der Demagogie, haßte natürlich die Theilnehmer am Bankett in Se. Martins Hall und am Genfer Congreß noch heftiger als die Bonapar¬ tisten. Die Orleanisten fanden ohne Zweifel am Kaiserthum sehr wenig Ge¬ fallen, aber die Programme und Proclamationen des social-demokratischen Arbeiterbundes mußten ihnen als den specifischen Vertretern der Bourgeosie, die ja von jenen als Hauptseindin behandelt wurde, noch unendlich mehr mißfallen. Eher schien möglich, daß die Republikaner Bundesgenossen der Internationale wurden, oder wenigstens in gewissen Fragen mit ihr Hand in . Hand zu gehen Neigung empfanden. Aber auch das erwies sich bei näherer Betrachtung nicht wahrscheinlich. Die gemäßigten Republikaner, denen es eigentlich nur um den Namen Republik zu thun war, und die sich sonst in den meisten Punkten ganz gut mit den Liberalen orleanistischen Bekenntnisses zu verständigen vermochten, erregten den praktischen Socialisten genau den¬ selben Abscheu wie die letzteren. Der andere Flügel der Partei aber, die Jacobiner und Hebertisten, die in alle Ewigkeit unversöhnlichen Radicalen, denen die Constituante von 1847 soviel werth als die .,VKg,entr<z introuvahlo" von 1816 und Cavaignac nur ein directer Nachfolger Polignacs war, hätten dem Anschein nach der Internationale werthe Freunde sein müssen, und Nie¬ mand würde sich gewundert haben, wenn beide Parteien sich zu einem gemein¬ samen Sturm auf die bestehende Gesellschaft vereinigt hätten. Dennoch war auch ein solches Bündniß Dank den Charaktereigenthümlichkeiten beider Par¬ teien ein Ding der Unmöglichkeit, und so scheiterte es jedes Mal, wo es von Seiten jener Republikaner versucht wurde. Das wahre Wesen des demagogischen Geistes ist das Mißtrauen, sein stetes Feldgeschrei ist: „Wir sind verrathen." In Genf erklärte Blanqui die Pariser Internationalen für verkappte Bonapartisten, später wurde Baku- nin von dem Londoner Generalrathe als Spion und Agent der russischen Politik in den Bann gethan. Als Jacobiner und Internationale im März 1871 sich in der Commune zusammenfanden, war jenes Feldgeschrei täglich zu hören und die ihm zu Grunde liegende argwöhnische Gesinnung Ursache zu zahlreichen kleinen Revolutionen im Kreise der Führer des Aufstandes. Sodann aber sahen sich die beiden radicalen Parteien noch durch eine andere Schranke getrennt. Fast alle Jacobiner gehören der Mittelclasse an, und der demagogische Duft, den sie ausströmen, wird für die Nase eines Internationalen immer einen gewissen Nebengeruch von „Bourgeoisie" haben, welcher derselben unausstehlich ist. Zwar müssen die reinen Jacobiner zuge- gestehen, daß sie ganz wie die „Schwefelbande" nur conspiriren, um zu con- Grenjboten II. 1872. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/177>, abgerufen am 22.07.2024.