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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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1397--132:; der drei nordischen Reiche bietet kein anderes Bild; nur stärkte
die häufige, fast fortwährende Abwesenheit der Unionskönige noch die Unab¬
hängigkeit der beiden regierenden Stände, und der Reichsrath schaltete nach
Gutdünken; das Verhältniß Schwedens zu den Unionskönigen ist noch nicht
einmal anerkannte und durchgeführte Personalunion; die zeitweilig erwählten
Reichsverweser vermochten natürlich der vereinigten Macht des Adels und
Klerus keinen erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen, wie denn Adel und
Klerus schon wegen ihres Grundbesitzes in den drei Reichen unionistisch ge¬
sinnt und gegen die schwedische Patriotenpartei waren. Die Macht der Städte
war wegen ihrer geringen Anzahl und Bewohnerschaft, sowie dadurch, daß
die Deutschen in sehr großer Zahl und Macht mit ganz anderen Interessen
ihre Reihen durchsetzten, von geringer Bedeutung. Die Bauern, im Genuß
ihres altgermanischen Gemeindcrechts, vom Druck der Leibeigenschaft frei, ent¬
zogen sich schon wegen der großen Terrainausdehnung und der theilweisen
Unzugänglichkeit und Abgelegenheit jedem regelmäßigen und fortdauernden
Eingreifen und Bedrücker von Seiten der regierenden Stände in viel höherem
Grade als ihre unglücklichen Standesgenossen im übrigen Europa. Und seit¬
dem der tapfere Engelbrecht Engelbrechtssen, der kühne dalekarlische Bauern-
sürst. diesem Stand um 1430 die Waffen in die Hand gegeben und seitdem
die drei demokratischen Sturm als Reichsverweser sich auf die Bauern ge¬
stützt und ihnen Recht und Gerechtigkeit hatten widerfahren lassen, durfte der
vorletzte Unionskönig sagen: die Bauern, die von Gott zu Sklaven erschaffen,
habe man hier zu Herren gemacht. Schon die Sturm, die heftigen Gegner
der Union, hatten es verstanden, durch ihre kluge Politik einen Theil des
Adels auf ihre Seite zu ziehen, geriethen aber auf diesem Wege in schwere
Conflicte 1512--20 mit den Prälaten und als der jüngere Seen Sture den
ihm feindlich gesinnten Erzbischof von Upsala aus dem Hause Troile wegen
Hochverraths absetzte, erlangte dieser vom Papst Leo X. Bann und Interdict
über Sture und das Land. Obgleich sich nun "die Schweden an solchen Bann
gar nicht kehrten", wie der Chronist sagt, so ließ sich doch Christian II.,
König von Dänemark und Norwegen, die Execution übertragen, welche en¬
digte mit dem Blutbad von Stockholm, in welchem die Macht des schwe¬
dischen Adels gebrochen wurde; in den beiden letzten Monaten des Jahres
1520 kamen sechshundert, meist Edelleute, durch den Henker oder wüthende
Landsknechte um.

Aber die Unmöglichkeit der Sturm war jedem guten Schweden klar ge¬
worden; das nationale Gefühl war auch nicht in Strömen Blutes zu er¬
tränken. Nach dreijährigem Hin- und Herwogen des Kampfes wurde Gustav
Erichsson, aus dem alten Geschlecht der Wasa, König von Schweden.

Nur einem Theil seiner alles umfassenden Regententhätigkeit wollen wir


1397—132:; der drei nordischen Reiche bietet kein anderes Bild; nur stärkte
die häufige, fast fortwährende Abwesenheit der Unionskönige noch die Unab¬
hängigkeit der beiden regierenden Stände, und der Reichsrath schaltete nach
Gutdünken; das Verhältniß Schwedens zu den Unionskönigen ist noch nicht
einmal anerkannte und durchgeführte Personalunion; die zeitweilig erwählten
Reichsverweser vermochten natürlich der vereinigten Macht des Adels und
Klerus keinen erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen, wie denn Adel und
Klerus schon wegen ihres Grundbesitzes in den drei Reichen unionistisch ge¬
sinnt und gegen die schwedische Patriotenpartei waren. Die Macht der Städte
war wegen ihrer geringen Anzahl und Bewohnerschaft, sowie dadurch, daß
die Deutschen in sehr großer Zahl und Macht mit ganz anderen Interessen
ihre Reihen durchsetzten, von geringer Bedeutung. Die Bauern, im Genuß
ihres altgermanischen Gemeindcrechts, vom Druck der Leibeigenschaft frei, ent¬
zogen sich schon wegen der großen Terrainausdehnung und der theilweisen
Unzugänglichkeit und Abgelegenheit jedem regelmäßigen und fortdauernden
Eingreifen und Bedrücker von Seiten der regierenden Stände in viel höherem
Grade als ihre unglücklichen Standesgenossen im übrigen Europa. Und seit¬
dem der tapfere Engelbrecht Engelbrechtssen, der kühne dalekarlische Bauern-
sürst. diesem Stand um 1430 die Waffen in die Hand gegeben und seitdem
die drei demokratischen Sturm als Reichsverweser sich auf die Bauern ge¬
stützt und ihnen Recht und Gerechtigkeit hatten widerfahren lassen, durfte der
vorletzte Unionskönig sagen: die Bauern, die von Gott zu Sklaven erschaffen,
habe man hier zu Herren gemacht. Schon die Sturm, die heftigen Gegner
der Union, hatten es verstanden, durch ihre kluge Politik einen Theil des
Adels auf ihre Seite zu ziehen, geriethen aber auf diesem Wege in schwere
Conflicte 1512—20 mit den Prälaten und als der jüngere Seen Sture den
ihm feindlich gesinnten Erzbischof von Upsala aus dem Hause Troile wegen
Hochverraths absetzte, erlangte dieser vom Papst Leo X. Bann und Interdict
über Sture und das Land. Obgleich sich nun „die Schweden an solchen Bann
gar nicht kehrten", wie der Chronist sagt, so ließ sich doch Christian II.,
König von Dänemark und Norwegen, die Execution übertragen, welche en¬
digte mit dem Blutbad von Stockholm, in welchem die Macht des schwe¬
dischen Adels gebrochen wurde; in den beiden letzten Monaten des Jahres
1520 kamen sechshundert, meist Edelleute, durch den Henker oder wüthende
Landsknechte um.

Aber die Unmöglichkeit der Sturm war jedem guten Schweden klar ge¬
worden; das nationale Gefühl war auch nicht in Strömen Blutes zu er¬
tränken. Nach dreijährigem Hin- und Herwogen des Kampfes wurde Gustav
Erichsson, aus dem alten Geschlecht der Wasa, König von Schweden.

Nur einem Theil seiner alles umfassenden Regententhätigkeit wollen wir


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[0170] 1397—132:; der drei nordischen Reiche bietet kein anderes Bild; nur stärkte die häufige, fast fortwährende Abwesenheit der Unionskönige noch die Unab¬ hängigkeit der beiden regierenden Stände, und der Reichsrath schaltete nach Gutdünken; das Verhältniß Schwedens zu den Unionskönigen ist noch nicht einmal anerkannte und durchgeführte Personalunion; die zeitweilig erwählten Reichsverweser vermochten natürlich der vereinigten Macht des Adels und Klerus keinen erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen, wie denn Adel und Klerus schon wegen ihres Grundbesitzes in den drei Reichen unionistisch ge¬ sinnt und gegen die schwedische Patriotenpartei waren. Die Macht der Städte war wegen ihrer geringen Anzahl und Bewohnerschaft, sowie dadurch, daß die Deutschen in sehr großer Zahl und Macht mit ganz anderen Interessen ihre Reihen durchsetzten, von geringer Bedeutung. Die Bauern, im Genuß ihres altgermanischen Gemeindcrechts, vom Druck der Leibeigenschaft frei, ent¬ zogen sich schon wegen der großen Terrainausdehnung und der theilweisen Unzugänglichkeit und Abgelegenheit jedem regelmäßigen und fortdauernden Eingreifen und Bedrücker von Seiten der regierenden Stände in viel höherem Grade als ihre unglücklichen Standesgenossen im übrigen Europa. Und seit¬ dem der tapfere Engelbrecht Engelbrechtssen, der kühne dalekarlische Bauern- sürst. diesem Stand um 1430 die Waffen in die Hand gegeben und seitdem die drei demokratischen Sturm als Reichsverweser sich auf die Bauern ge¬ stützt und ihnen Recht und Gerechtigkeit hatten widerfahren lassen, durfte der vorletzte Unionskönig sagen: die Bauern, die von Gott zu Sklaven erschaffen, habe man hier zu Herren gemacht. Schon die Sturm, die heftigen Gegner der Union, hatten es verstanden, durch ihre kluge Politik einen Theil des Adels auf ihre Seite zu ziehen, geriethen aber auf diesem Wege in schwere Conflicte 1512—20 mit den Prälaten und als der jüngere Seen Sture den ihm feindlich gesinnten Erzbischof von Upsala aus dem Hause Troile wegen Hochverraths absetzte, erlangte dieser vom Papst Leo X. Bann und Interdict über Sture und das Land. Obgleich sich nun „die Schweden an solchen Bann gar nicht kehrten", wie der Chronist sagt, so ließ sich doch Christian II., König von Dänemark und Norwegen, die Execution übertragen, welche en¬ digte mit dem Blutbad von Stockholm, in welchem die Macht des schwe¬ dischen Adels gebrochen wurde; in den beiden letzten Monaten des Jahres 1520 kamen sechshundert, meist Edelleute, durch den Henker oder wüthende Landsknechte um. Aber die Unmöglichkeit der Sturm war jedem guten Schweden klar ge¬ worden; das nationale Gefühl war auch nicht in Strömen Blutes zu er¬ tränken. Nach dreijährigem Hin- und Herwogen des Kampfes wurde Gustav Erichsson, aus dem alten Geschlecht der Wasa, König von Schweden. Nur einem Theil seiner alles umfassenden Regententhätigkeit wollen wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/170>, abgerufen am 22.12.2024.