Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.Seele geschöpft, von keinem seiner zahlreichen Nachahmer aus der "jungen Bei uns Deutschen hat Jeremias Gotthelf längst das Ehrenbürgerrecht Diese Auswahl liegt nun abgeschlossen vor unter dem Titel "Aus dem Seele geschöpft, von keinem seiner zahlreichen Nachahmer aus der „jungen Bei uns Deutschen hat Jeremias Gotthelf längst das Ehrenbürgerrecht Diese Auswahl liegt nun abgeschlossen vor unter dem Titel „Aus dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127563"/> <p xml:id="ID_541" prev="#ID_540"> Seele geschöpft, von keinem seiner zahlreichen Nachahmer aus der „jungen<lb/> Schweiz" je erreicht worden, und der Richtigkeit, Treue und Originalität<lb/> seiner Charakterzeichnung sind unter den Werken deutscher Dialektschriftsteller<lb/> nur die besten Schriften Fritz Reuter's an die Seite zu setzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_542"> Bei uns Deutschen hat Jeremias Gotthelf längst das Ehrenbürgerrecht<lb/> erworben. Der Verleger seiner Werke ist ein Deutscher, Julius Springer<lb/> in Berlin. Wir besitzen aus diesem Verlage längst eine würdige Gesammt-<lb/> ausgabe seiner Werke. Aber mit besonderer Freude ist das neue, nun voll¬<lb/> endete Unternehmen des Verlegers zu begrüßen, eine Auswahl der Werke<lb/> von Jeremias Gotthelf in reichillustrirter Ausgabe erscheinen zu<lb/> lassen (10 Lieferungen ü. 10 Gr).</p><lb/> <p xml:id="ID_543" next="#ID_544"> Diese Auswahl liegt nun abgeschlossen vor unter dem Titel „Aus dem<lb/> Bernerland. Sechs Erzählungen aus dem Emmenthal von Jere¬<lb/> mias Gott helf." Die Illustrationen sind in Zeichnung und Schnitt sehr<lb/> gelungen, und zwar ausschließlich von Schweizern (den Künstlern G. Roux,<lb/> F. Walthard, A. Anker, den Xylographen Buri Jecker) hergestellt. Die Aus¬<lb/> wahl der Erzählungen vermeidet geschickt die Gotthelf'schen Tendenzschriften,<lb/> in denen die Freude an der Darstellung des Volkslebens durch politische Lei¬<lb/> denschaften und Pastoralen Eifer getrübt wird. Aber wir hoffen, daß mit<lb/> diesen sechs Erzählungen die Auswahl keineswegs erschöpft ist. Noch fehlen<lb/> ganz in dieser illustrirten Ausgabe gerade die bedeutendsten und besten Schöp¬<lb/> fungen Gotthelfs: „Aus dem Leben eines Schulmeisters", „Ali der Pächter"<lb/> und „Ali der Knecht", „Die Käserei auf der Vehf^ende" u. f. w, und von<lb/> den kleineren, „Michels Brautschau", „Der Besuch aus dem Lande", „Schreiber<lb/> und Amtmann", „Der Notar in der Falle" u. s. w. und einige der Schwei¬<lb/> zersagen. Die Beschränkung der bisherigen Auswahl war gewiß nur ein<lb/> Fühler, inwieweit die Theilnahme des deutschen Publicums dem Unternehmen<lb/> sicher sei. Und wir zweifeln nicht daran, daß dieser Versuch vollständig ge¬<lb/> lungen ist. Wenn aber das Bedenken von weiterer Auswahl abhalten sollte,<lb/> daß man die größeren Erzählungen in der ursprünglichen Vermischung mit<lb/> überlebten politischen Anspielungen nicht zu drucken, und dennoch die Hemm¬<lb/> nisse der Erzählung aus Pietät nicht zu beseitigen wagt, so ist wohl unbe¬<lb/> denklich an den Vorgang zu erinnern, wie man Immermanns Münchhausen<lb/> in unsern Tagen salonfähig gemacht hat. Dem Literarhistoriker ist ein sol¬<lb/> ches Verfahren vielleicht mit Recht ein Greuel. Indessen niemand hindert ihn,<lb/> den ganzen Gotthelf zu lesen. Für die große Mehrzahl des deutschen Lese-<lb/> Publieums aber kann aus solcher Sichtung nur Gewinn erwachsen. Sie wird<lb/> Jeremias Gotthelf in diesem Gewände lieber lesen, gründlicher kennen lernen,<lb/> als bisher. Denn so wird er dem Leser geboten als das, was er wirklich<lb/> ist, als der treueste Schilderer der Sitten und des Lebens seines Volkes. Die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0167]
Seele geschöpft, von keinem seiner zahlreichen Nachahmer aus der „jungen
Schweiz" je erreicht worden, und der Richtigkeit, Treue und Originalität
seiner Charakterzeichnung sind unter den Werken deutscher Dialektschriftsteller
nur die besten Schriften Fritz Reuter's an die Seite zu setzen.
Bei uns Deutschen hat Jeremias Gotthelf längst das Ehrenbürgerrecht
erworben. Der Verleger seiner Werke ist ein Deutscher, Julius Springer
in Berlin. Wir besitzen aus diesem Verlage längst eine würdige Gesammt-
ausgabe seiner Werke. Aber mit besonderer Freude ist das neue, nun voll¬
endete Unternehmen des Verlegers zu begrüßen, eine Auswahl der Werke
von Jeremias Gotthelf in reichillustrirter Ausgabe erscheinen zu
lassen (10 Lieferungen ü. 10 Gr).
Diese Auswahl liegt nun abgeschlossen vor unter dem Titel „Aus dem
Bernerland. Sechs Erzählungen aus dem Emmenthal von Jere¬
mias Gott helf." Die Illustrationen sind in Zeichnung und Schnitt sehr
gelungen, und zwar ausschließlich von Schweizern (den Künstlern G. Roux,
F. Walthard, A. Anker, den Xylographen Buri Jecker) hergestellt. Die Aus¬
wahl der Erzählungen vermeidet geschickt die Gotthelf'schen Tendenzschriften,
in denen die Freude an der Darstellung des Volkslebens durch politische Lei¬
denschaften und Pastoralen Eifer getrübt wird. Aber wir hoffen, daß mit
diesen sechs Erzählungen die Auswahl keineswegs erschöpft ist. Noch fehlen
ganz in dieser illustrirten Ausgabe gerade die bedeutendsten und besten Schöp¬
fungen Gotthelfs: „Aus dem Leben eines Schulmeisters", „Ali der Pächter"
und „Ali der Knecht", „Die Käserei auf der Vehf^ende" u. f. w, und von
den kleineren, „Michels Brautschau", „Der Besuch aus dem Lande", „Schreiber
und Amtmann", „Der Notar in der Falle" u. s. w. und einige der Schwei¬
zersagen. Die Beschränkung der bisherigen Auswahl war gewiß nur ein
Fühler, inwieweit die Theilnahme des deutschen Publicums dem Unternehmen
sicher sei. Und wir zweifeln nicht daran, daß dieser Versuch vollständig ge¬
lungen ist. Wenn aber das Bedenken von weiterer Auswahl abhalten sollte,
daß man die größeren Erzählungen in der ursprünglichen Vermischung mit
überlebten politischen Anspielungen nicht zu drucken, und dennoch die Hemm¬
nisse der Erzählung aus Pietät nicht zu beseitigen wagt, so ist wohl unbe¬
denklich an den Vorgang zu erinnern, wie man Immermanns Münchhausen
in unsern Tagen salonfähig gemacht hat. Dem Literarhistoriker ist ein sol¬
ches Verfahren vielleicht mit Recht ein Greuel. Indessen niemand hindert ihn,
den ganzen Gotthelf zu lesen. Für die große Mehrzahl des deutschen Lese-
Publieums aber kann aus solcher Sichtung nur Gewinn erwachsen. Sie wird
Jeremias Gotthelf in diesem Gewände lieber lesen, gründlicher kennen lernen,
als bisher. Denn so wird er dem Leser geboten als das, was er wirklich
ist, als der treueste Schilderer der Sitten und des Lebens seines Volkes. Die
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