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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Vorberathung des Regierungsentwurfes gewählte Commission hat inzwischen
die Amtsvertretung in Gestalt eines Amtsausschusses wieder eingeführt. Der
doctrionelle Liberalismus hat wenigstens auf die allgemeinen Wahlen verzichtet.
Der Amtsausschuß wird für diejenigen Zwecke, welche die Gemeinden inner¬
halb des Amtsbezirkes gemeinschaftlich haben wollen, aus den Gemeindevor¬
ständen gebildet. Das Abgeordnetenhaus hat diesen Commissionsvorschlag
genehmigt und die Regierung hat zugestimmt mit dem Bemerken, daß der
Amtsausschuß wahrscheinlich ein todter Buchstabe bleibt, bei der Abneigung
der Gemeinden, ihre Angelegenheiten, was kostenbringende Anstalten betrifft,
zu verschmelzen. -- Was die Berufung des Amtsvorstehers anlangt, die auf
drei Jahre erfolgen soll, so wurde von dem doctrinellen Liberalismus großer
Werth darauf gelegt, den Posten durch Wahl zu besetzen. Löblicherweise
hatten die Vertreter dieses Liberalismus schon in der Commission auf die
Wahlernennung verzichtet. Die Regierungsvorlage hatte bestimmt, daß die
Amtsvorsteher durch den Oberpräsidenten der Provinz ernannt werden und
daß der Kreistag jährlich eine Liste der zu diesem Posten geeigneten Personen
aufstellt, an welche jedoch der Oberpräsident nicht gebunden ist. Die Com¬
mission hatte die Ernennung durch den Oberpräsidenten beibehalten, den leh¬
ren jedoch an die vom Kreistag aufzustellende Liste gebunden, welche aus
allen Kreisangehörigen ohne Unterschied der Amtsbezirke ihre Auswahl treffen
" sollte. In der Plenarberathung brachten die Abgeordneten Hänel und
Miquel wiederum Anträge auf Wahlberufung des Amtsvorstehers ein. Doch
zogen die Antragsteller diesen Vorschlag alsbald zurück, um nicht etwa das
Zustandekommen des Gesetzes zu gefährden. Charakteristischer Weise nahm
der ultramontane Abgeordnete von Mallinkrodt den von seinen Urhebern zu¬
rückgezogenen Vorschlag wieder auf, offenbar in der Hoffnung, mit Hülfe des
Liberalismus das Gesetz unmöglich zu machen. Glücklicherweise ging keine
einzige Fraction des Liberalismus, auch nicht die der Fortschrittspartei, in
diese plumpe Falle. Dagegen wurde eine Abänderung Lasters angenommen,
wonach der Oberpräsident den Amtsvorsteher nicht aus der Liste der befähig¬
ten Personen des ganzen Kreises, sondern nur aus den nach dem Ausspruch
des Kreistages befähigten Personen des betreffenden Amtes nehmen darf.

An der Spitze des Kreises steht nach wie vor der Landrath. Während
derselbe nach der bisherigen Kreisverfassung vom König aus drei Gutsbesitzern
des Kreises, welche der Kreistag präsentirte, ernannt wurde, so legt die neue
Kreisordnung dem König das Ernennungsrecht ohne Beschränkung durch eine
Präsentationsliste bei, obwohl dem Kreistag die Befugniß bleibt, für die
Besetzung einer erledigten Landrathsstelle geeignete Personen in Vorschlag zu
bringen. Die Regierungsvorlage hatte die Auswahl dieses Vmschlagsrechtes
auf die größeren Grundbesitzer und die Amtsvorsteher beschränkt; das Ab-


Vorberathung des Regierungsentwurfes gewählte Commission hat inzwischen
die Amtsvertretung in Gestalt eines Amtsausschusses wieder eingeführt. Der
doctrionelle Liberalismus hat wenigstens auf die allgemeinen Wahlen verzichtet.
Der Amtsausschuß wird für diejenigen Zwecke, welche die Gemeinden inner¬
halb des Amtsbezirkes gemeinschaftlich haben wollen, aus den Gemeindevor¬
ständen gebildet. Das Abgeordnetenhaus hat diesen Commissionsvorschlag
genehmigt und die Regierung hat zugestimmt mit dem Bemerken, daß der
Amtsausschuß wahrscheinlich ein todter Buchstabe bleibt, bei der Abneigung
der Gemeinden, ihre Angelegenheiten, was kostenbringende Anstalten betrifft,
zu verschmelzen. — Was die Berufung des Amtsvorstehers anlangt, die auf
drei Jahre erfolgen soll, so wurde von dem doctrinellen Liberalismus großer
Werth darauf gelegt, den Posten durch Wahl zu besetzen. Löblicherweise
hatten die Vertreter dieses Liberalismus schon in der Commission auf die
Wahlernennung verzichtet. Die Regierungsvorlage hatte bestimmt, daß die
Amtsvorsteher durch den Oberpräsidenten der Provinz ernannt werden und
daß der Kreistag jährlich eine Liste der zu diesem Posten geeigneten Personen
aufstellt, an welche jedoch der Oberpräsident nicht gebunden ist. Die Com¬
mission hatte die Ernennung durch den Oberpräsidenten beibehalten, den leh¬
ren jedoch an die vom Kreistag aufzustellende Liste gebunden, welche aus
allen Kreisangehörigen ohne Unterschied der Amtsbezirke ihre Auswahl treffen
„ sollte. In der Plenarberathung brachten die Abgeordneten Hänel und
Miquel wiederum Anträge auf Wahlberufung des Amtsvorstehers ein. Doch
zogen die Antragsteller diesen Vorschlag alsbald zurück, um nicht etwa das
Zustandekommen des Gesetzes zu gefährden. Charakteristischer Weise nahm
der ultramontane Abgeordnete von Mallinkrodt den von seinen Urhebern zu¬
rückgezogenen Vorschlag wieder auf, offenbar in der Hoffnung, mit Hülfe des
Liberalismus das Gesetz unmöglich zu machen. Glücklicherweise ging keine
einzige Fraction des Liberalismus, auch nicht die der Fortschrittspartei, in
diese plumpe Falle. Dagegen wurde eine Abänderung Lasters angenommen,
wonach der Oberpräsident den Amtsvorsteher nicht aus der Liste der befähig¬
ten Personen des ganzen Kreises, sondern nur aus den nach dem Ausspruch
des Kreistages befähigten Personen des betreffenden Amtes nehmen darf.

An der Spitze des Kreises steht nach wie vor der Landrath. Während
derselbe nach der bisherigen Kreisverfassung vom König aus drei Gutsbesitzern
des Kreises, welche der Kreistag präsentirte, ernannt wurde, so legt die neue
Kreisordnung dem König das Ernennungsrecht ohne Beschränkung durch eine
Präsentationsliste bei, obwohl dem Kreistag die Befugniß bleibt, für die
Besetzung einer erledigten Landrathsstelle geeignete Personen in Vorschlag zu
bringen. Die Regierungsvorlage hatte die Auswahl dieses Vmschlagsrechtes
auf die größeren Grundbesitzer und die Amtsvorsteher beschränkt; das Ab-


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[0116] Vorberathung des Regierungsentwurfes gewählte Commission hat inzwischen die Amtsvertretung in Gestalt eines Amtsausschusses wieder eingeführt. Der doctrionelle Liberalismus hat wenigstens auf die allgemeinen Wahlen verzichtet. Der Amtsausschuß wird für diejenigen Zwecke, welche die Gemeinden inner¬ halb des Amtsbezirkes gemeinschaftlich haben wollen, aus den Gemeindevor¬ ständen gebildet. Das Abgeordnetenhaus hat diesen Commissionsvorschlag genehmigt und die Regierung hat zugestimmt mit dem Bemerken, daß der Amtsausschuß wahrscheinlich ein todter Buchstabe bleibt, bei der Abneigung der Gemeinden, ihre Angelegenheiten, was kostenbringende Anstalten betrifft, zu verschmelzen. — Was die Berufung des Amtsvorstehers anlangt, die auf drei Jahre erfolgen soll, so wurde von dem doctrinellen Liberalismus großer Werth darauf gelegt, den Posten durch Wahl zu besetzen. Löblicherweise hatten die Vertreter dieses Liberalismus schon in der Commission auf die Wahlernennung verzichtet. Die Regierungsvorlage hatte bestimmt, daß die Amtsvorsteher durch den Oberpräsidenten der Provinz ernannt werden und daß der Kreistag jährlich eine Liste der zu diesem Posten geeigneten Personen aufstellt, an welche jedoch der Oberpräsident nicht gebunden ist. Die Com¬ mission hatte die Ernennung durch den Oberpräsidenten beibehalten, den leh¬ ren jedoch an die vom Kreistag aufzustellende Liste gebunden, welche aus allen Kreisangehörigen ohne Unterschied der Amtsbezirke ihre Auswahl treffen „ sollte. In der Plenarberathung brachten die Abgeordneten Hänel und Miquel wiederum Anträge auf Wahlberufung des Amtsvorstehers ein. Doch zogen die Antragsteller diesen Vorschlag alsbald zurück, um nicht etwa das Zustandekommen des Gesetzes zu gefährden. Charakteristischer Weise nahm der ultramontane Abgeordnete von Mallinkrodt den von seinen Urhebern zu¬ rückgezogenen Vorschlag wieder auf, offenbar in der Hoffnung, mit Hülfe des Liberalismus das Gesetz unmöglich zu machen. Glücklicherweise ging keine einzige Fraction des Liberalismus, auch nicht die der Fortschrittspartei, in diese plumpe Falle. Dagegen wurde eine Abänderung Lasters angenommen, wonach der Oberpräsident den Amtsvorsteher nicht aus der Liste der befähig¬ ten Personen des ganzen Kreises, sondern nur aus den nach dem Ausspruch des Kreistages befähigten Personen des betreffenden Amtes nehmen darf. An der Spitze des Kreises steht nach wie vor der Landrath. Während derselbe nach der bisherigen Kreisverfassung vom König aus drei Gutsbesitzern des Kreises, welche der Kreistag präsentirte, ernannt wurde, so legt die neue Kreisordnung dem König das Ernennungsrecht ohne Beschränkung durch eine Präsentationsliste bei, obwohl dem Kreistag die Befugniß bleibt, für die Besetzung einer erledigten Landrathsstelle geeignete Personen in Vorschlag zu bringen. Die Regierungsvorlage hatte die Auswahl dieses Vmschlagsrechtes auf die größeren Grundbesitzer und die Amtsvorsteher beschränkt; das Ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/116>, abgerufen am 22.07.2024.