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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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darzulegen, daß die geistige Niederlage der letzteren fast ebenso groß war, als
die moralische.

Die Richtung, in welcher diese Ereignisse liegen, ward auch in Bayern
selbst und außerhalb des deutschen Parlamentes lebendig bethätigt. Wir er¬
innern nur vorübergehend an die Thatsache, daß eine Reihe von Gesandt¬
schaftsposten, aus welche Bayern noch bei den Versailler Verträgen großes
Gewicht legte, freiwillig aufgegeben wurden, ohne daß von irgendwelcher
Seite nur der leiseste Anstoß hierzu gegeben worden wäre. Aus voller eigener
Initiative hatte der König diesen Entschluß gefaßt, der der Sache selbst nur
dienlich ist und seiner Person die höchste Ehre bringt. Freilich klagten die
Ultramontanen laut, die souveräner sein wollen als der Souverän, und hatten
kein anderes Wort des Dankes als Schmähungen, daß die bayrische Selb¬
ständigkeit mit jedem Tage mehr zerstückelt werde. Die Übertragung deut¬
scher Gesetze in das bayrische Rechtsleben ward mit Eifer betrieben und bei
der Feststellung eigener Entwürfe ward stets das Augenmerk darauf gerichtet,
die möglichste Uebereinstimmung mit den norddeutschen Principien zu erreichen.
Daß Bayern das dort geltende Wehrgesetz völlig acceptirte, ist ebenfalls ein
Zugeständnis welches über das Maß der strengen Verpflichtung hinausging
und das um so höhere Anerkennung verdient, je mehr die Negierung bisher
bestrebt war, in militärischen Dingen ihrer eigenen Disposition zu folgen.

Man mag aus alledem zur Genüge erkennen, welche Strömung in Bayern
herrscht, und unter der Oberherrschaft dieser Strömung werden auch die Ver¬
handlungen des bayrischen Landtags stehen, welcher am 12. d. M. zusammen¬
trat, -- trotz der formalen Majorität, die die Klerikalen noch besitzen. Die
Chancen, mit denen sie auf den Kampfplatz treten, sind ungünstiger als je-
Von allen Seiten häuft sich das Mißgeschick; die Spaltung und Zerfahren¬
heit der einzelnen Elemente, der fanatische Hader zwischen den demagogischen
und den feudalen Frömmlern lodert auf jedem Gebiet empor. Vor allem
aber ist es die klerikale Presse in Bayern, die nach und nach von allen ihren
Anhängern verleugnet wird. Schon der Katholikentag in Mainz hat sich,
wie später zugegeben wurde, mit Anträgen dieser Art befaßt, und das Centrum
des Reichstags acceptirte diese Anschauung, für die Herr von Ketteler un¬
umwunden eintrat. Seinem Beispiel folgte der Bischof von Augsburg und
andere geistliche Würdenträger. Auch in München selbst fand bekanntlich
die Meinungsverschiedenheit, die in der klerikalen Partei besteht, einen drastischen
Ausdruck und zwar bei Gelegenheit einer Volksversammlung deren Tendenz
von den radicalen Katholiken nicht gebilligt ward. Man blieb beim Debat¬
tiren nicht stehen, sondern veröffentlichte Erklärungen, die an gegenseitigem
Widerwillen nichts zu wünschen übrig lassen. Wichtig ist dieser Conflict in¬
sofern, als hinter jedem der beiden Führer eine beträchtliche Vertretung steht.


darzulegen, daß die geistige Niederlage der letzteren fast ebenso groß war, als
die moralische.

Die Richtung, in welcher diese Ereignisse liegen, ward auch in Bayern
selbst und außerhalb des deutschen Parlamentes lebendig bethätigt. Wir er¬
innern nur vorübergehend an die Thatsache, daß eine Reihe von Gesandt¬
schaftsposten, aus welche Bayern noch bei den Versailler Verträgen großes
Gewicht legte, freiwillig aufgegeben wurden, ohne daß von irgendwelcher
Seite nur der leiseste Anstoß hierzu gegeben worden wäre. Aus voller eigener
Initiative hatte der König diesen Entschluß gefaßt, der der Sache selbst nur
dienlich ist und seiner Person die höchste Ehre bringt. Freilich klagten die
Ultramontanen laut, die souveräner sein wollen als der Souverän, und hatten
kein anderes Wort des Dankes als Schmähungen, daß die bayrische Selb¬
ständigkeit mit jedem Tage mehr zerstückelt werde. Die Übertragung deut¬
scher Gesetze in das bayrische Rechtsleben ward mit Eifer betrieben und bei
der Feststellung eigener Entwürfe ward stets das Augenmerk darauf gerichtet,
die möglichste Uebereinstimmung mit den norddeutschen Principien zu erreichen.
Daß Bayern das dort geltende Wehrgesetz völlig acceptirte, ist ebenfalls ein
Zugeständnis welches über das Maß der strengen Verpflichtung hinausging
und das um so höhere Anerkennung verdient, je mehr die Negierung bisher
bestrebt war, in militärischen Dingen ihrer eigenen Disposition zu folgen.

Man mag aus alledem zur Genüge erkennen, welche Strömung in Bayern
herrscht, und unter der Oberherrschaft dieser Strömung werden auch die Ver¬
handlungen des bayrischen Landtags stehen, welcher am 12. d. M. zusammen¬
trat, — trotz der formalen Majorität, die die Klerikalen noch besitzen. Die
Chancen, mit denen sie auf den Kampfplatz treten, sind ungünstiger als je-
Von allen Seiten häuft sich das Mißgeschick; die Spaltung und Zerfahren¬
heit der einzelnen Elemente, der fanatische Hader zwischen den demagogischen
und den feudalen Frömmlern lodert auf jedem Gebiet empor. Vor allem
aber ist es die klerikale Presse in Bayern, die nach und nach von allen ihren
Anhängern verleugnet wird. Schon der Katholikentag in Mainz hat sich,
wie später zugegeben wurde, mit Anträgen dieser Art befaßt, und das Centrum
des Reichstags acceptirte diese Anschauung, für die Herr von Ketteler un¬
umwunden eintrat. Seinem Beispiel folgte der Bischof von Augsburg und
andere geistliche Würdenträger. Auch in München selbst fand bekanntlich
die Meinungsverschiedenheit, die in der klerikalen Partei besteht, einen drastischen
Ausdruck und zwar bei Gelegenheit einer Volksversammlung deren Tendenz
von den radicalen Katholiken nicht gebilligt ward. Man blieb beim Debat¬
tiren nicht stehen, sondern veröffentlichte Erklärungen, die an gegenseitigem
Widerwillen nichts zu wünschen übrig lassen. Wichtig ist dieser Conflict in¬
sofern, als hinter jedem der beiden Führer eine beträchtliche Vertretung steht.


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[0436] darzulegen, daß die geistige Niederlage der letzteren fast ebenso groß war, als die moralische. Die Richtung, in welcher diese Ereignisse liegen, ward auch in Bayern selbst und außerhalb des deutschen Parlamentes lebendig bethätigt. Wir er¬ innern nur vorübergehend an die Thatsache, daß eine Reihe von Gesandt¬ schaftsposten, aus welche Bayern noch bei den Versailler Verträgen großes Gewicht legte, freiwillig aufgegeben wurden, ohne daß von irgendwelcher Seite nur der leiseste Anstoß hierzu gegeben worden wäre. Aus voller eigener Initiative hatte der König diesen Entschluß gefaßt, der der Sache selbst nur dienlich ist und seiner Person die höchste Ehre bringt. Freilich klagten die Ultramontanen laut, die souveräner sein wollen als der Souverän, und hatten kein anderes Wort des Dankes als Schmähungen, daß die bayrische Selb¬ ständigkeit mit jedem Tage mehr zerstückelt werde. Die Übertragung deut¬ scher Gesetze in das bayrische Rechtsleben ward mit Eifer betrieben und bei der Feststellung eigener Entwürfe ward stets das Augenmerk darauf gerichtet, die möglichste Uebereinstimmung mit den norddeutschen Principien zu erreichen. Daß Bayern das dort geltende Wehrgesetz völlig acceptirte, ist ebenfalls ein Zugeständnis welches über das Maß der strengen Verpflichtung hinausging und das um so höhere Anerkennung verdient, je mehr die Negierung bisher bestrebt war, in militärischen Dingen ihrer eigenen Disposition zu folgen. Man mag aus alledem zur Genüge erkennen, welche Strömung in Bayern herrscht, und unter der Oberherrschaft dieser Strömung werden auch die Ver¬ handlungen des bayrischen Landtags stehen, welcher am 12. d. M. zusammen¬ trat, — trotz der formalen Majorität, die die Klerikalen noch besitzen. Die Chancen, mit denen sie auf den Kampfplatz treten, sind ungünstiger als je- Von allen Seiten häuft sich das Mißgeschick; die Spaltung und Zerfahren¬ heit der einzelnen Elemente, der fanatische Hader zwischen den demagogischen und den feudalen Frömmlern lodert auf jedem Gebiet empor. Vor allem aber ist es die klerikale Presse in Bayern, die nach und nach von allen ihren Anhängern verleugnet wird. Schon der Katholikentag in Mainz hat sich, wie später zugegeben wurde, mit Anträgen dieser Art befaßt, und das Centrum des Reichstags acceptirte diese Anschauung, für die Herr von Ketteler un¬ umwunden eintrat. Seinem Beispiel folgte der Bischof von Augsburg und andere geistliche Würdenträger. Auch in München selbst fand bekanntlich die Meinungsverschiedenheit, die in der klerikalen Partei besteht, einen drastischen Ausdruck und zwar bei Gelegenheit einer Volksversammlung deren Tendenz von den radicalen Katholiken nicht gebilligt ward. Man blieb beim Debat¬ tiren nicht stehen, sondern veröffentlichte Erklärungen, die an gegenseitigem Widerwillen nichts zu wünschen übrig lassen. Wichtig ist dieser Conflict in¬ sofern, als hinter jedem der beiden Führer eine beträchtliche Vertretung steht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/436>, abgerufen am 05.02.2025.