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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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vollmächtigten zum Bundesrath blos den Willen der Regierungen ohne Rück¬
sicht auf ihre betreffenden Stände ausdrücke. Es ist die Sache der Einzel-
Regierungen, für ihre Erklärungen im Bundesrath die Zustimmung ihrer
Stände einzuholen, vorher oder nachher. Unmöglich kann dies Sache des Reiches
sein, welches vielmehr in jedem Bundesrathsbevollmächtigten bis auf Weiteres
den Vertreter eines ungetheilten Landeswillens sehen muß.

In der Sitzung vom 21, November stand aus dem Bundeshaushalt der
Marineetat zur zweiten Berathung. Die Reichstagscommission zur Begut¬
achtung dieses Etats beantragte die Vorlegung einer Denkschrift Seitens des
Reichskanzlers, worin zu erörtern sei, ob die für die deutsche Kriegsflotte nach
dem Plane von 1867 in Aussicht genommene Gründungsperiode sich nicht
abkürzen lasse, bezüglich mittelst Aufwendung eines Theiles der französischen
Kriegsentschädigungsgelder. Dagegen beantragten die Abg. Freeden und
Wehrenpfennig, daß in der vorzulegenden Denkschrift lediglich Rechenschaft
gegeben werde über die bisherige Ausführung des Gründungsplanes von
1867. Der Abg. Wehrenpfennig wies zu Gunsten der von ihm befürworteten
Enthaltsamkeit in Sachen der Flotte auf zweierlei hin. Erstlich auf die ge¬
ringe offensive Bedeutung, welche nach den Erfahrungen des letzten Krieges
selbst einer der größten Kriegsflotten, wie die französische unbestreitbar ist,
Zukomme. Zweitens auf die ebenso mannigfaltigen als umfangreichen An¬
forderungen, welche an die Finanzen des deutschen Reiches voraussichtlich in
nächster Zukunft gemacht werden müssen. Wir wüßten nicht, wie sich diese
Ausführungen sollten entkräften lassen. Die Flotte ist aber ein populärer
Gegenstand für den liberalen Durchschnitt. Es wird nicht bedacht, daß gar
kein unweiseres Verfahren denkbar wäre, als die Armee ungenügend auszu¬
statten, um das dem Landheer Entzogene der Flotte! zuzuwenden. Selbst
eine Flotte ersten Ranges, die zu schaffen wir niemals denken können, ersetzt
uns nicht den Schutz der Binnengrenzen, der in der offensiven Fähigkeit unseres
^andheeres liegt. Der Abg. Forkenbeck trat als landschaftlicher Particularist
auf, indem er die wiederholten Blocaden beklagte, denen namentlich die Ost-
seeküste ausgesetzt gewesen sei. Nun, es wäre sehr schön, wenn wir eine aus¬
pichende Flotte hätten, dergleichen Blocaden zu durchbrechen. Noch schöner
5pare, wenn wir die völkerrechtliche Beseitigung des Kapereiwesens erlangen
könnten. Was lassen sich nicht überhaupt für fromme Wünsche hegen! Vor
allem aber muß man dem Nothwendigen genügen und die erste Nothwendig¬
st ist, daß der Feind uns nicht ins Land kommt. Daß er zu Schiffe nicht
^hin kommt, dafür haben wir gesorgt. Fahren wir damit fort und vor
Allem damit, daß kein Feind unsere langgezogenen Bmnengrenzen so leicht
überschreiten kann. Das Weitere wird sich finden, wenn wir Geld übrig
haben. Es versteht sich, daß Niemand mit der Errichtung einer deutschen


vollmächtigten zum Bundesrath blos den Willen der Regierungen ohne Rück¬
sicht auf ihre betreffenden Stände ausdrücke. Es ist die Sache der Einzel-
Regierungen, für ihre Erklärungen im Bundesrath die Zustimmung ihrer
Stände einzuholen, vorher oder nachher. Unmöglich kann dies Sache des Reiches
sein, welches vielmehr in jedem Bundesrathsbevollmächtigten bis auf Weiteres
den Vertreter eines ungetheilten Landeswillens sehen muß.

In der Sitzung vom 21, November stand aus dem Bundeshaushalt der
Marineetat zur zweiten Berathung. Die Reichstagscommission zur Begut¬
achtung dieses Etats beantragte die Vorlegung einer Denkschrift Seitens des
Reichskanzlers, worin zu erörtern sei, ob die für die deutsche Kriegsflotte nach
dem Plane von 1867 in Aussicht genommene Gründungsperiode sich nicht
abkürzen lasse, bezüglich mittelst Aufwendung eines Theiles der französischen
Kriegsentschädigungsgelder. Dagegen beantragten die Abg. Freeden und
Wehrenpfennig, daß in der vorzulegenden Denkschrift lediglich Rechenschaft
gegeben werde über die bisherige Ausführung des Gründungsplanes von
1867. Der Abg. Wehrenpfennig wies zu Gunsten der von ihm befürworteten
Enthaltsamkeit in Sachen der Flotte auf zweierlei hin. Erstlich auf die ge¬
ringe offensive Bedeutung, welche nach den Erfahrungen des letzten Krieges
selbst einer der größten Kriegsflotten, wie die französische unbestreitbar ist,
Zukomme. Zweitens auf die ebenso mannigfaltigen als umfangreichen An¬
forderungen, welche an die Finanzen des deutschen Reiches voraussichtlich in
nächster Zukunft gemacht werden müssen. Wir wüßten nicht, wie sich diese
Ausführungen sollten entkräften lassen. Die Flotte ist aber ein populärer
Gegenstand für den liberalen Durchschnitt. Es wird nicht bedacht, daß gar
kein unweiseres Verfahren denkbar wäre, als die Armee ungenügend auszu¬
statten, um das dem Landheer Entzogene der Flotte! zuzuwenden. Selbst
eine Flotte ersten Ranges, die zu schaffen wir niemals denken können, ersetzt
uns nicht den Schutz der Binnengrenzen, der in der offensiven Fähigkeit unseres
^andheeres liegt. Der Abg. Forkenbeck trat als landschaftlicher Particularist
auf, indem er die wiederholten Blocaden beklagte, denen namentlich die Ost-
seeküste ausgesetzt gewesen sei. Nun, es wäre sehr schön, wenn wir eine aus¬
pichende Flotte hätten, dergleichen Blocaden zu durchbrechen. Noch schöner
5pare, wenn wir die völkerrechtliche Beseitigung des Kapereiwesens erlangen
könnten. Was lassen sich nicht überhaupt für fromme Wünsche hegen! Vor
allem aber muß man dem Nothwendigen genügen und die erste Nothwendig¬
st ist, daß der Feind uns nicht ins Land kommt. Daß er zu Schiffe nicht
^hin kommt, dafür haben wir gesorgt. Fahren wir damit fort und vor
Allem damit, daß kein Feind unsere langgezogenen Bmnengrenzen so leicht
überschreiten kann. Das Weitere wird sich finden, wenn wir Geld übrig
haben. Es versteht sich, daß Niemand mit der Errichtung einer deutschen


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[0399] vollmächtigten zum Bundesrath blos den Willen der Regierungen ohne Rück¬ sicht auf ihre betreffenden Stände ausdrücke. Es ist die Sache der Einzel- Regierungen, für ihre Erklärungen im Bundesrath die Zustimmung ihrer Stände einzuholen, vorher oder nachher. Unmöglich kann dies Sache des Reiches sein, welches vielmehr in jedem Bundesrathsbevollmächtigten bis auf Weiteres den Vertreter eines ungetheilten Landeswillens sehen muß. In der Sitzung vom 21, November stand aus dem Bundeshaushalt der Marineetat zur zweiten Berathung. Die Reichstagscommission zur Begut¬ achtung dieses Etats beantragte die Vorlegung einer Denkschrift Seitens des Reichskanzlers, worin zu erörtern sei, ob die für die deutsche Kriegsflotte nach dem Plane von 1867 in Aussicht genommene Gründungsperiode sich nicht abkürzen lasse, bezüglich mittelst Aufwendung eines Theiles der französischen Kriegsentschädigungsgelder. Dagegen beantragten die Abg. Freeden und Wehrenpfennig, daß in der vorzulegenden Denkschrift lediglich Rechenschaft gegeben werde über die bisherige Ausführung des Gründungsplanes von 1867. Der Abg. Wehrenpfennig wies zu Gunsten der von ihm befürworteten Enthaltsamkeit in Sachen der Flotte auf zweierlei hin. Erstlich auf die ge¬ ringe offensive Bedeutung, welche nach den Erfahrungen des letzten Krieges selbst einer der größten Kriegsflotten, wie die französische unbestreitbar ist, Zukomme. Zweitens auf die ebenso mannigfaltigen als umfangreichen An¬ forderungen, welche an die Finanzen des deutschen Reiches voraussichtlich in nächster Zukunft gemacht werden müssen. Wir wüßten nicht, wie sich diese Ausführungen sollten entkräften lassen. Die Flotte ist aber ein populärer Gegenstand für den liberalen Durchschnitt. Es wird nicht bedacht, daß gar kein unweiseres Verfahren denkbar wäre, als die Armee ungenügend auszu¬ statten, um das dem Landheer Entzogene der Flotte! zuzuwenden. Selbst eine Flotte ersten Ranges, die zu schaffen wir niemals denken können, ersetzt uns nicht den Schutz der Binnengrenzen, der in der offensiven Fähigkeit unseres ^andheeres liegt. Der Abg. Forkenbeck trat als landschaftlicher Particularist auf, indem er die wiederholten Blocaden beklagte, denen namentlich die Ost- seeküste ausgesetzt gewesen sei. Nun, es wäre sehr schön, wenn wir eine aus¬ pichende Flotte hätten, dergleichen Blocaden zu durchbrechen. Noch schöner 5pare, wenn wir die völkerrechtliche Beseitigung des Kapereiwesens erlangen könnten. Was lassen sich nicht überhaupt für fromme Wünsche hegen! Vor allem aber muß man dem Nothwendigen genügen und die erste Nothwendig¬ st ist, daß der Feind uns nicht ins Land kommt. Daß er zu Schiffe nicht ^hin kommt, dafür haben wir gesorgt. Fahren wir damit fort und vor Allem damit, daß kein Feind unsere langgezogenen Bmnengrenzen so leicht überschreiten kann. Das Weitere wird sich finden, wenn wir Geld übrig haben. Es versteht sich, daß Niemand mit der Errichtung einer deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/399>, abgerufen am 05.02.2025.