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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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In der Sitzung vom !5, November erfolgte die dritte Berathung über
den Antrag des Abg. Laster und Gen., die Gesetzgebung über das gesammte
bürgerliche Recht in die Kompetenz des Reiches aufzunehmen und außerdem
nicht blos das gerichtliche Verfahren, wie die Verfassung jetzt schon bestimmt,
sondern auch die Gerichtsorganisation derselben Kompetenz zu unterstellen.
Der Antrag wurde auch in dritter Lesung mit einer erfreulich großen Majo¬
rität genehmigt. Der bemerkenswertheste Theil der Verhandlung war die Rede,
in welcher der Abg. Windthorst den ganzen Apparat seiner Sophistik aufbot.
Man kann die Waffe der Sophistik nicht überall verpönen, und kunstgerecht
gehandhabt wird sie dazu dienen, das geistige Interesse an den Gegenständen
zu schärfen. Hier freilich wurden Waffen auf die Mensur gebracht, deren
nichts weniger als kunstfertige Arbeit den Stempel der Unechtheit allzu deut¬
lich aufwies. Es war die gewöhnliche Drohung mit dem Einheitsstaat, welche
den Mittelpunkt dieser Rede bildete. Es war namentlich die Aussicht, daß
sämmtliche erste Kammern als Vertheidiger gewisser Privilegien privatrecht'
licher Natur zur Ruhe gesetzt werden würden, in deren Eröffnung der Redner
seine Wirkung suchte. Diese Aussicht aber, anstatt zu schrecken, schien vielmehr
die Anhänger des Antrags zu bestärken. Sehr ergötzlich wurde der Redner,
als er die Gefahren der Reichsgesetzgebung schilderte und darunter die Be¬
drohung des Eigenthums aufzählte. Und wodurch hatten sich dem scharfsich¬
tigen Abgeordneten die kommunistischen Neigungen des Reichstags signalisirt?
Durch den Beschluß des volkswirtschaftlichen Kongresses zu Lübeck, die Besitz¬
titel der todten Hand einer periodischen Revision für bedürftig zu erklären.
Andere Beurtheiler werden diesen Beschluß, für den übrigens unmöglich der
Reichstag verantwortlich gemacht werden kann, wahrscheinlich gerade anti-
communistisch finden. Das Beispiel möge uns genügen, die Rede zu charak-
terisiren.

Am 16. November stand der Etat des auswärtigen Amtes als Theil des
Reichshaushaltes zur zweiten Berathung. Dieselbe wurde durch eine Rede des
Reichskanzlers bemerkenswerth. Es handelte sich um die Gehaltserhöhung
einiger Generalconsuln und Gesandten. Der Abg. Löwe, bei anderen Gelegen¬
heiten unzweifelhaft ein entschiedener Skeptiker, konnte nicht umhin, die mehr
als unverbürgte Anekdote wiederum in's Feld zu führen, daß Friedrich der
'Äroße seinem Gesandten in London geschrieben habe, er möge nur zu Fuße
nach Hofe gehen, hinter ihm gingen hunderttausend Mann. Fürst Bismarck
bemerkte, die Anekdote habe ihn so lange erfreut, bis er selbst Minister des
Auswärtigen geworden. Wenn ein deutscher Gesandter ein Mittagsessen geben
solle, könne er unmöglich sagen: ich gebe kein Diner, es gehen hunderttausend
Mann hinter mir. In der That könnten selbst die Mitglieder der Fort¬
schrittspartei wissen, daß es glücklicherweise die seltenste Aufgabe der Gesandten


In der Sitzung vom !5, November erfolgte die dritte Berathung über
den Antrag des Abg. Laster und Gen., die Gesetzgebung über das gesammte
bürgerliche Recht in die Kompetenz des Reiches aufzunehmen und außerdem
nicht blos das gerichtliche Verfahren, wie die Verfassung jetzt schon bestimmt,
sondern auch die Gerichtsorganisation derselben Kompetenz zu unterstellen.
Der Antrag wurde auch in dritter Lesung mit einer erfreulich großen Majo¬
rität genehmigt. Der bemerkenswertheste Theil der Verhandlung war die Rede,
in welcher der Abg. Windthorst den ganzen Apparat seiner Sophistik aufbot.
Man kann die Waffe der Sophistik nicht überall verpönen, und kunstgerecht
gehandhabt wird sie dazu dienen, das geistige Interesse an den Gegenständen
zu schärfen. Hier freilich wurden Waffen auf die Mensur gebracht, deren
nichts weniger als kunstfertige Arbeit den Stempel der Unechtheit allzu deut¬
lich aufwies. Es war die gewöhnliche Drohung mit dem Einheitsstaat, welche
den Mittelpunkt dieser Rede bildete. Es war namentlich die Aussicht, daß
sämmtliche erste Kammern als Vertheidiger gewisser Privilegien privatrecht'
licher Natur zur Ruhe gesetzt werden würden, in deren Eröffnung der Redner
seine Wirkung suchte. Diese Aussicht aber, anstatt zu schrecken, schien vielmehr
die Anhänger des Antrags zu bestärken. Sehr ergötzlich wurde der Redner,
als er die Gefahren der Reichsgesetzgebung schilderte und darunter die Be¬
drohung des Eigenthums aufzählte. Und wodurch hatten sich dem scharfsich¬
tigen Abgeordneten die kommunistischen Neigungen des Reichstags signalisirt?
Durch den Beschluß des volkswirtschaftlichen Kongresses zu Lübeck, die Besitz¬
titel der todten Hand einer periodischen Revision für bedürftig zu erklären.
Andere Beurtheiler werden diesen Beschluß, für den übrigens unmöglich der
Reichstag verantwortlich gemacht werden kann, wahrscheinlich gerade anti-
communistisch finden. Das Beispiel möge uns genügen, die Rede zu charak-
terisiren.

Am 16. November stand der Etat des auswärtigen Amtes als Theil des
Reichshaushaltes zur zweiten Berathung. Dieselbe wurde durch eine Rede des
Reichskanzlers bemerkenswerth. Es handelte sich um die Gehaltserhöhung
einiger Generalconsuln und Gesandten. Der Abg. Löwe, bei anderen Gelegen¬
heiten unzweifelhaft ein entschiedener Skeptiker, konnte nicht umhin, die mehr
als unverbürgte Anekdote wiederum in's Feld zu führen, daß Friedrich der
'Äroße seinem Gesandten in London geschrieben habe, er möge nur zu Fuße
nach Hofe gehen, hinter ihm gingen hunderttausend Mann. Fürst Bismarck
bemerkte, die Anekdote habe ihn so lange erfreut, bis er selbst Minister des
Auswärtigen geworden. Wenn ein deutscher Gesandter ein Mittagsessen geben
solle, könne er unmöglich sagen: ich gebe kein Diner, es gehen hunderttausend
Mann hinter mir. In der That könnten selbst die Mitglieder der Fort¬
schrittspartei wissen, daß es glücklicherweise die seltenste Aufgabe der Gesandten


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[0397] In der Sitzung vom !5, November erfolgte die dritte Berathung über den Antrag des Abg. Laster und Gen., die Gesetzgebung über das gesammte bürgerliche Recht in die Kompetenz des Reiches aufzunehmen und außerdem nicht blos das gerichtliche Verfahren, wie die Verfassung jetzt schon bestimmt, sondern auch die Gerichtsorganisation derselben Kompetenz zu unterstellen. Der Antrag wurde auch in dritter Lesung mit einer erfreulich großen Majo¬ rität genehmigt. Der bemerkenswertheste Theil der Verhandlung war die Rede, in welcher der Abg. Windthorst den ganzen Apparat seiner Sophistik aufbot. Man kann die Waffe der Sophistik nicht überall verpönen, und kunstgerecht gehandhabt wird sie dazu dienen, das geistige Interesse an den Gegenständen zu schärfen. Hier freilich wurden Waffen auf die Mensur gebracht, deren nichts weniger als kunstfertige Arbeit den Stempel der Unechtheit allzu deut¬ lich aufwies. Es war die gewöhnliche Drohung mit dem Einheitsstaat, welche den Mittelpunkt dieser Rede bildete. Es war namentlich die Aussicht, daß sämmtliche erste Kammern als Vertheidiger gewisser Privilegien privatrecht' licher Natur zur Ruhe gesetzt werden würden, in deren Eröffnung der Redner seine Wirkung suchte. Diese Aussicht aber, anstatt zu schrecken, schien vielmehr die Anhänger des Antrags zu bestärken. Sehr ergötzlich wurde der Redner, als er die Gefahren der Reichsgesetzgebung schilderte und darunter die Be¬ drohung des Eigenthums aufzählte. Und wodurch hatten sich dem scharfsich¬ tigen Abgeordneten die kommunistischen Neigungen des Reichstags signalisirt? Durch den Beschluß des volkswirtschaftlichen Kongresses zu Lübeck, die Besitz¬ titel der todten Hand einer periodischen Revision für bedürftig zu erklären. Andere Beurtheiler werden diesen Beschluß, für den übrigens unmöglich der Reichstag verantwortlich gemacht werden kann, wahrscheinlich gerade anti- communistisch finden. Das Beispiel möge uns genügen, die Rede zu charak- terisiren. Am 16. November stand der Etat des auswärtigen Amtes als Theil des Reichshaushaltes zur zweiten Berathung. Dieselbe wurde durch eine Rede des Reichskanzlers bemerkenswerth. Es handelte sich um die Gehaltserhöhung einiger Generalconsuln und Gesandten. Der Abg. Löwe, bei anderen Gelegen¬ heiten unzweifelhaft ein entschiedener Skeptiker, konnte nicht umhin, die mehr als unverbürgte Anekdote wiederum in's Feld zu führen, daß Friedrich der 'Äroße seinem Gesandten in London geschrieben habe, er möge nur zu Fuße nach Hofe gehen, hinter ihm gingen hunderttausend Mann. Fürst Bismarck bemerkte, die Anekdote habe ihn so lange erfreut, bis er selbst Minister des Auswärtigen geworden. Wenn ein deutscher Gesandter ein Mittagsessen geben solle, könne er unmöglich sagen: ich gebe kein Diner, es gehen hunderttausend Mann hinter mir. In der That könnten selbst die Mitglieder der Fort¬ schrittspartei wissen, daß es glücklicherweise die seltenste Aufgabe der Gesandten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/397>, abgerufen am 05.02.2025.