Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einer zahlreichen Katholikenversammlung in einem Toast auf Plus IX. den
Ausspruch gethan, "daß der Papst die Sympathien aller Katholiken für sich
habe." Diese Aeußerung -- in Gegenwart des Landesbischofs und der Kory¬
phäen der Stuttgarter Katholiken -- konnte unter den obwaltenden Verhält¬
nissen kaum anders, denn als Parteinahme für die Jnfallibilisten aufge¬
faßt werden, und man erkannte damals allgemein den grellen Gegensah, in
welchem diese Aeußerung zu der von der Regierung proclamirten zuwarten¬
den Haltung stand, um so mehr, als Mittnacht, der einzige Katholik im
Ministerium, in Stuttgart als der Ton angehende Minister betrachtet wird.

Dennoch möchten wir dieses Verhalten des Justizministers, den Niemand
ultramontaner Neigungen bezüchtigt, nur als einen Beweis dafür ansehen,
daß man in Stuttgart, zumal mit Rücksicht auf die in der Umgebung des
Hofes herrschenden Einflüsse, für vortheilhaft hält, sich das Wohlwollen der
Ultramontanen zu sichern. Wir werden hierauf ein anderes Mal zurückkom¬
men und begnügen uns für jetzt mit der Bemerkung, daß die württembergische
Regierung nichts lieber sehen kann, als wenn die bayrische Regierung und
das deutsche Reich ihr in der Kirchenfrage, wie man zu sagen pflegt, die
Kastanien aus dem Feuer holt! man kann dann nebenher noch die Lobeser¬
hebungen der Ultramontanen und Demokraten in die Tasche stecken.

Die erste Aufgabe unserer am 1. December zusammengetretenen Stände¬
kammer wird die Berathung des Etatsgesetzes sein. So glänzend, wie nach
der letzten Thronrede in Preußen, steht es freilich in Schwaben nicht; doch
schließt der vorgelegte Etat nur mit einem jährlichen Mehrbedarf von ca.
-!00,000 si., und einer Steuererhöhung bedarf es vorerst nicht. Dabei gesteht
der Finanzminister jetzt zum ersten Male offen ein, daß das Deficit der
Staatseisenbahnverwaltung einen jährlichen Zuschuß aus Steuermitteln von
Millionen (wir hatten in einer unserer letzten Correspondenzen es rund
auf drei Millionen berechnet!) erfordert, was bei einem künftigen Gesammt-
ertrag der Steuern von 8--9 Millionen nicht wenig in's Gewicht fällt. Es
wird sich nun fragen, ob, nachdem für die Regierung fernerhin jeder Grund
für die Ausnutzung der Kirchthurmsinterefsen zu Wahlzwecken weggefallen ist.
dieselbe endlich mit dem bisherigen System des Staatsbaues, das so schwer
auf den Steuerpflichtigen lastet, brechen wird. Die Entscheidung wird wesent¬
lich auch davon abhängen, ob in der Ständekammer die Interessen des Landes
oder -- bei der großen Zahl der in Stuttgart domicilirten Abgeordneten
"~ die Interessen der Residenz und der Stuttgarter Bauplatz-Speculanten den
Ausschlag geben werden.

Neben dem Etat wird die Berathung des Eid en'sehen Antrags aus
Revision der Geschäftsordnung eine der brennendsten Debatten veranlassen.
Gegenüber den ebenso raschen als großartigen Leistungen des deutschen Reichs-


einer zahlreichen Katholikenversammlung in einem Toast auf Plus IX. den
Ausspruch gethan, „daß der Papst die Sympathien aller Katholiken für sich
habe." Diese Aeußerung — in Gegenwart des Landesbischofs und der Kory¬
phäen der Stuttgarter Katholiken — konnte unter den obwaltenden Verhält¬
nissen kaum anders, denn als Parteinahme für die Jnfallibilisten aufge¬
faßt werden, und man erkannte damals allgemein den grellen Gegensah, in
welchem diese Aeußerung zu der von der Regierung proclamirten zuwarten¬
den Haltung stand, um so mehr, als Mittnacht, der einzige Katholik im
Ministerium, in Stuttgart als der Ton angehende Minister betrachtet wird.

Dennoch möchten wir dieses Verhalten des Justizministers, den Niemand
ultramontaner Neigungen bezüchtigt, nur als einen Beweis dafür ansehen,
daß man in Stuttgart, zumal mit Rücksicht auf die in der Umgebung des
Hofes herrschenden Einflüsse, für vortheilhaft hält, sich das Wohlwollen der
Ultramontanen zu sichern. Wir werden hierauf ein anderes Mal zurückkom¬
men und begnügen uns für jetzt mit der Bemerkung, daß die württembergische
Regierung nichts lieber sehen kann, als wenn die bayrische Regierung und
das deutsche Reich ihr in der Kirchenfrage, wie man zu sagen pflegt, die
Kastanien aus dem Feuer holt! man kann dann nebenher noch die Lobeser¬
hebungen der Ultramontanen und Demokraten in die Tasche stecken.

Die erste Aufgabe unserer am 1. December zusammengetretenen Stände¬
kammer wird die Berathung des Etatsgesetzes sein. So glänzend, wie nach
der letzten Thronrede in Preußen, steht es freilich in Schwaben nicht; doch
schließt der vorgelegte Etat nur mit einem jährlichen Mehrbedarf von ca.
-!00,000 si., und einer Steuererhöhung bedarf es vorerst nicht. Dabei gesteht
der Finanzminister jetzt zum ersten Male offen ein, daß das Deficit der
Staatseisenbahnverwaltung einen jährlichen Zuschuß aus Steuermitteln von
Millionen (wir hatten in einer unserer letzten Correspondenzen es rund
auf drei Millionen berechnet!) erfordert, was bei einem künftigen Gesammt-
ertrag der Steuern von 8—9 Millionen nicht wenig in's Gewicht fällt. Es
wird sich nun fragen, ob, nachdem für die Regierung fernerhin jeder Grund
für die Ausnutzung der Kirchthurmsinterefsen zu Wahlzwecken weggefallen ist.
dieselbe endlich mit dem bisherigen System des Staatsbaues, das so schwer
auf den Steuerpflichtigen lastet, brechen wird. Die Entscheidung wird wesent¬
lich auch davon abhängen, ob in der Ständekammer die Interessen des Landes
oder — bei der großen Zahl der in Stuttgart domicilirten Abgeordneten
"~ die Interessen der Residenz und der Stuttgarter Bauplatz-Speculanten den
Ausschlag geben werden.

Neben dem Etat wird die Berathung des Eid en'sehen Antrags aus
Revision der Geschäftsordnung eine der brennendsten Debatten veranlassen.
Gegenüber den ebenso raschen als großartigen Leistungen des deutschen Reichs-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192696"/>
          <p xml:id="ID_1442" prev="#ID_1441"> einer zahlreichen Katholikenversammlung in einem Toast auf Plus IX. den<lb/>
Ausspruch gethan, &#x201E;daß der Papst die Sympathien aller Katholiken für sich<lb/>
habe." Diese Aeußerung &#x2014; in Gegenwart des Landesbischofs und der Kory¬<lb/>
phäen der Stuttgarter Katholiken &#x2014; konnte unter den obwaltenden Verhält¬<lb/>
nissen kaum anders, denn als Parteinahme für die Jnfallibilisten aufge¬<lb/>
faßt werden, und man erkannte damals allgemein den grellen Gegensah, in<lb/>
welchem diese Aeußerung zu der von der Regierung proclamirten zuwarten¬<lb/>
den Haltung stand, um so mehr, als Mittnacht, der einzige Katholik im<lb/>
Ministerium, in Stuttgart als der Ton angehende Minister betrachtet wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1443"> Dennoch möchten wir dieses Verhalten des Justizministers, den Niemand<lb/>
ultramontaner Neigungen bezüchtigt, nur als einen Beweis dafür ansehen,<lb/>
daß man in Stuttgart, zumal mit Rücksicht auf die in der Umgebung des<lb/>
Hofes herrschenden Einflüsse, für vortheilhaft hält, sich das Wohlwollen der<lb/>
Ultramontanen zu sichern. Wir werden hierauf ein anderes Mal zurückkom¬<lb/>
men und begnügen uns für jetzt mit der Bemerkung, daß die württembergische<lb/>
Regierung nichts lieber sehen kann, als wenn die bayrische Regierung und<lb/>
das deutsche Reich ihr in der Kirchenfrage, wie man zu sagen pflegt, die<lb/>
Kastanien aus dem Feuer holt! man kann dann nebenher noch die Lobeser¬<lb/>
hebungen der Ultramontanen und Demokraten in die Tasche stecken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1444"> Die erste Aufgabe unserer am 1. December zusammengetretenen Stände¬<lb/>
kammer wird die Berathung des Etatsgesetzes sein. So glänzend, wie nach<lb/>
der letzten Thronrede in Preußen, steht es freilich in Schwaben nicht; doch<lb/>
schließt der vorgelegte Etat nur mit einem jährlichen Mehrbedarf von ca.<lb/>
-!00,000 si., und einer Steuererhöhung bedarf es vorerst nicht. Dabei gesteht<lb/>
der Finanzminister jetzt zum ersten Male offen ein, daß das Deficit der<lb/>
Staatseisenbahnverwaltung einen jährlichen Zuschuß aus Steuermitteln von<lb/>
Millionen (wir hatten in einer unserer letzten Correspondenzen es rund<lb/>
auf drei Millionen berechnet!) erfordert, was bei einem künftigen Gesammt-<lb/>
ertrag der Steuern von 8&#x2014;9 Millionen nicht wenig in's Gewicht fällt. Es<lb/>
wird sich nun fragen, ob, nachdem für die Regierung fernerhin jeder Grund<lb/>
für die Ausnutzung der Kirchthurmsinterefsen zu Wahlzwecken weggefallen ist.<lb/>
dieselbe endlich mit dem bisherigen System des Staatsbaues, das so schwer<lb/>
auf den Steuerpflichtigen lastet, brechen wird. Die Entscheidung wird wesent¬<lb/>
lich auch davon abhängen, ob in der Ständekammer die Interessen des Landes<lb/>
oder &#x2014; bei der großen Zahl der in Stuttgart domicilirten Abgeordneten<lb/>
"~ die Interessen der Residenz und der Stuttgarter Bauplatz-Speculanten den<lb/>
Ausschlag geben werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1445" next="#ID_1446"> Neben dem Etat wird die Berathung des Eid en'sehen Antrags aus<lb/>
Revision der Geschäftsordnung eine der brennendsten Debatten veranlassen.<lb/>
Gegenüber den ebenso raschen als großartigen Leistungen des deutschen Reichs-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0395] einer zahlreichen Katholikenversammlung in einem Toast auf Plus IX. den Ausspruch gethan, „daß der Papst die Sympathien aller Katholiken für sich habe." Diese Aeußerung — in Gegenwart des Landesbischofs und der Kory¬ phäen der Stuttgarter Katholiken — konnte unter den obwaltenden Verhält¬ nissen kaum anders, denn als Parteinahme für die Jnfallibilisten aufge¬ faßt werden, und man erkannte damals allgemein den grellen Gegensah, in welchem diese Aeußerung zu der von der Regierung proclamirten zuwarten¬ den Haltung stand, um so mehr, als Mittnacht, der einzige Katholik im Ministerium, in Stuttgart als der Ton angehende Minister betrachtet wird. Dennoch möchten wir dieses Verhalten des Justizministers, den Niemand ultramontaner Neigungen bezüchtigt, nur als einen Beweis dafür ansehen, daß man in Stuttgart, zumal mit Rücksicht auf die in der Umgebung des Hofes herrschenden Einflüsse, für vortheilhaft hält, sich das Wohlwollen der Ultramontanen zu sichern. Wir werden hierauf ein anderes Mal zurückkom¬ men und begnügen uns für jetzt mit der Bemerkung, daß die württembergische Regierung nichts lieber sehen kann, als wenn die bayrische Regierung und das deutsche Reich ihr in der Kirchenfrage, wie man zu sagen pflegt, die Kastanien aus dem Feuer holt! man kann dann nebenher noch die Lobeser¬ hebungen der Ultramontanen und Demokraten in die Tasche stecken. Die erste Aufgabe unserer am 1. December zusammengetretenen Stände¬ kammer wird die Berathung des Etatsgesetzes sein. So glänzend, wie nach der letzten Thronrede in Preußen, steht es freilich in Schwaben nicht; doch schließt der vorgelegte Etat nur mit einem jährlichen Mehrbedarf von ca. -!00,000 si., und einer Steuererhöhung bedarf es vorerst nicht. Dabei gesteht der Finanzminister jetzt zum ersten Male offen ein, daß das Deficit der Staatseisenbahnverwaltung einen jährlichen Zuschuß aus Steuermitteln von Millionen (wir hatten in einer unserer letzten Correspondenzen es rund auf drei Millionen berechnet!) erfordert, was bei einem künftigen Gesammt- ertrag der Steuern von 8—9 Millionen nicht wenig in's Gewicht fällt. Es wird sich nun fragen, ob, nachdem für die Regierung fernerhin jeder Grund für die Ausnutzung der Kirchthurmsinterefsen zu Wahlzwecken weggefallen ist. dieselbe endlich mit dem bisherigen System des Staatsbaues, das so schwer auf den Steuerpflichtigen lastet, brechen wird. Die Entscheidung wird wesent¬ lich auch davon abhängen, ob in der Ständekammer die Interessen des Landes oder — bei der großen Zahl der in Stuttgart domicilirten Abgeordneten "~ die Interessen der Residenz und der Stuttgarter Bauplatz-Speculanten den Ausschlag geben werden. Neben dem Etat wird die Berathung des Eid en'sehen Antrags aus Revision der Geschäftsordnung eine der brennendsten Debatten veranlassen. Gegenüber den ebenso raschen als großartigen Leistungen des deutschen Reichs-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/395
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/395>, abgerufen am 05.02.2025.