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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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und als einst das Alarmzeichen gegeben wurde, war diese Zahl wirklich unter
den Waffen. Doch scheint Uoung, der sich hiermit offenbar gegen ein Ein¬
schreiten der Centralregierung gegen seine Willkürherrschaft sicher zu stellen ge¬
dacht hat, jetzt, wo dieses Einschreiten erfolgt ist. nicht den Muth gefunden
oder zu viel Verstand und Ueberlegung besessen zu haben, um von seiner
Garde Gebrauch zu machen und es auf einen Kampf ankommen zu lassen.

Im vorigen Capitel sahen wir, daß eine der wichtigsten Pflichten des
Mormonen die ist, sich zu verehlichen. "Ein unverheiratheter Mann ist ein
Widerspruch, ein Vogel ohne Flügel, ein Körper ohne Seele." Ein Mann
sein, heißt im Stande sein, Kinder zu erzeugen, die Sehnsucht der unzähl¬
baren, im Himmel auf ihre Geburt wartenden Geister nach Existenz in fleisch¬
lichen Tabernakeln an seinem Theil zu erfüllen. Ein Unverheiratheter kann
Weder Priester noch Aeltester werden. Und weiter, wenn ein solcher eigentlich
gar kein Mormone ist, so ist der, welcher sich mit einer einzigen Frau begnügt,
nur ein halber Mormone, und die Folge ist, daß er nicht in die Ordnungen
der Oberpriesterschaft aufgenommen werden kann. Darnach haben sich in den
ätzten zwanzig Jahren die Verhältnisse und Gewohnheiten in Neujerusalem
nach dieser Richtung folgendermaßen gestaltet.

Ungefähr fünfhundert Aelteste und Oberpriester der in Utah angesiedelten
Mormonen leben in Polygamie, und davon hat jeder durchschnittlich vier
Frauen und ungefähr fünfzehn Kinder. Der Prophet und die beiden andern
Mitglieder der ersten Präsidentschaft gehen weit über diesen Durchschnitt hin¬
aus. Doch ist zu bemerken, daß unter ihren Gemahlinnen viele alte Wittwen
sind, die sich ihnen bloß der Ehre wegen und um im Himmel ihre Herrlichkeit
als Königinnen zu theilen, ansiegeln ließen. Der wirklichen Frauen Uoung's
gab es im Jahre 1868 zwölf, und von diesen hatte er damals achtundvierzig
Binder. Die vornehmste von allen war in dieser Zeit die erste Frau des
Propheten, Mary Ann Angell, eine alte Dame, deren Kinder, drei Söhne
und zwei Töchter, schon erwachsen sind. Sie wohnt in der "Weißen Villa",
dem ersten Hause, welches je im Salzseethale erbaut wurde. An Ansehen die
nächste nach ihr ist Eliza Snow. die Hymnendichterin der Mormonen. Sie
'se eine angehende Fünfzigerin, hat bei schneeweißem Haar dunkle Augen und
ünponirt durch würdevolle, etwas kalte Haltung. Man titulirt sie Fräulein,
und es ist möglich, daß sie zu Young nur in einem platonischen Verhältniß
^'e jene Wittwen steht. Ihre Wohnung ist im zweiten Stock eines statt-
i'chen Hauses, welches nach den zwei steinernen Löwen, die seinen Eingang
^erer (in Anspielung an den Ehrenbeinamen des Propheten "tus lion ot tke
^ra") das "Löwenhaus" heißt. Als die Favoritsultanin des Doung'schen
Harems gilt Schwester Emiline, die eine Schönheit gewesen sein muß und
^it acht Kindern gesegnet ist. Weniger hervorragende Frauen des Mor-


und als einst das Alarmzeichen gegeben wurde, war diese Zahl wirklich unter
den Waffen. Doch scheint Uoung, der sich hiermit offenbar gegen ein Ein¬
schreiten der Centralregierung gegen seine Willkürherrschaft sicher zu stellen ge¬
dacht hat, jetzt, wo dieses Einschreiten erfolgt ist. nicht den Muth gefunden
oder zu viel Verstand und Ueberlegung besessen zu haben, um von seiner
Garde Gebrauch zu machen und es auf einen Kampf ankommen zu lassen.

Im vorigen Capitel sahen wir, daß eine der wichtigsten Pflichten des
Mormonen die ist, sich zu verehlichen. „Ein unverheiratheter Mann ist ein
Widerspruch, ein Vogel ohne Flügel, ein Körper ohne Seele." Ein Mann
sein, heißt im Stande sein, Kinder zu erzeugen, die Sehnsucht der unzähl¬
baren, im Himmel auf ihre Geburt wartenden Geister nach Existenz in fleisch¬
lichen Tabernakeln an seinem Theil zu erfüllen. Ein Unverheiratheter kann
Weder Priester noch Aeltester werden. Und weiter, wenn ein solcher eigentlich
gar kein Mormone ist, so ist der, welcher sich mit einer einzigen Frau begnügt,
nur ein halber Mormone, und die Folge ist, daß er nicht in die Ordnungen
der Oberpriesterschaft aufgenommen werden kann. Darnach haben sich in den
ätzten zwanzig Jahren die Verhältnisse und Gewohnheiten in Neujerusalem
nach dieser Richtung folgendermaßen gestaltet.

Ungefähr fünfhundert Aelteste und Oberpriester der in Utah angesiedelten
Mormonen leben in Polygamie, und davon hat jeder durchschnittlich vier
Frauen und ungefähr fünfzehn Kinder. Der Prophet und die beiden andern
Mitglieder der ersten Präsidentschaft gehen weit über diesen Durchschnitt hin¬
aus. Doch ist zu bemerken, daß unter ihren Gemahlinnen viele alte Wittwen
sind, die sich ihnen bloß der Ehre wegen und um im Himmel ihre Herrlichkeit
als Königinnen zu theilen, ansiegeln ließen. Der wirklichen Frauen Uoung's
gab es im Jahre 1868 zwölf, und von diesen hatte er damals achtundvierzig
Binder. Die vornehmste von allen war in dieser Zeit die erste Frau des
Propheten, Mary Ann Angell, eine alte Dame, deren Kinder, drei Söhne
und zwei Töchter, schon erwachsen sind. Sie wohnt in der „Weißen Villa",
dem ersten Hause, welches je im Salzseethale erbaut wurde. An Ansehen die
nächste nach ihr ist Eliza Snow. die Hymnendichterin der Mormonen. Sie
'se eine angehende Fünfzigerin, hat bei schneeweißem Haar dunkle Augen und
ünponirt durch würdevolle, etwas kalte Haltung. Man titulirt sie Fräulein,
und es ist möglich, daß sie zu Young nur in einem platonischen Verhältniß
^'e jene Wittwen steht. Ihre Wohnung ist im zweiten Stock eines statt-
i'chen Hauses, welches nach den zwei steinernen Löwen, die seinen Eingang
^erer (in Anspielung an den Ehrenbeinamen des Propheten „tus lion ot tke
^ra«) das „Löwenhaus" heißt. Als die Favoritsultanin des Doung'schen
Harems gilt Schwester Emiline, die eine Schönheit gewesen sein muß und
^it acht Kindern gesegnet ist. Weniger hervorragende Frauen des Mor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/379>, abgerufen am 06.02.2025.