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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Todten stattfinden. Doch gehört dazu ebenso wie bei der gewöhnlichen Ehe,
daß die Verbindung von dem Propheten oder einem Stellvertreter gut ge¬
heißen und in aller Form geschlossen wird. Auch muß es eine vollständige Hei¬
rath sein, nicht ein platonischer Ritus, nicht eine Vereinigung der Seelen,
welche zwei Personen durch ein mystisches Band verknüpft. Wie aber kann
ein Weib sich in fleischlicher Weise mit einem Mann verbinden, der im
Grabe liegt? Durch Stellvertretung, antworten die Mormonen, die ja auch
ein stellvertretendes Getauftwerden für die Verstorbenen kennen. Aber wie?
Ist es denn in der Ehe möglich, daß ein Mann oder eine Frau in Betreff
der Pflichten derselben die Stelle eines Andern versieht? Brigham Uoung er¬
wiederte darauf nach Dixon mit einem Hinweis auf die Leviratsehe der
Hebräer. Dieselben hatten, sagte er. eine Ahnung von derartigen Dingen,
als sie den jüngern Bruder die Pflicht des älteren zu erfüllen nöthigten,
und sind nicht alle Heiligen eine Familie von Brüdern vor dem Angesichts
Gottes? Angenommen also den Fall, daß ein Fräulein mit verirrter Ein¬
bildungskraft sich in den Kopf gesetzt hat, eine von den himmlischen Ge¬
mahlinnen eines verstorbenen und nun zu einem König und Gott auf dem
Saturn oder Sirius verklärten Heiligen zu werden, so ist nichts leichter als
das, vorausgesetzt, daß ihre Schrulle mit der Neigung des Propheten oder
eines andern noch diesseits wandelnden Großen in Israel übereinstimmt.
Aoung ist ihr alleiniger Vermittler, sein Ja oder Nein ihr einziger Maßstab
für Recht und Unrecht. Durch einen religiösen Act kann er sie dem todten
Mann "ansiegeln," den sie sich zu ihrem Herrn und König im Himmel ge¬
wählt hat, und durch einen gleichen Act kann er dem Todten aus seinen
Aposteln oder nettesten einen Stellvertreter bei ihr geben. Sollte ihre Schön¬
heit sein Auge versuchen, so kann er auch selber bei ihr die Pflichten des ver¬
lebten Heiligen als substitue besorgen.

Im Tabernakel der Salzseestadt zeigte man Dixon zwei Damen, welche
dem Propheten Joseph in der Weise angesiegelt waren, daß der Prophet
Brigham denselben zu vertreten hatte. Uoung selbst sagte dem Reisenden,
daß es deren noch viele andere giebt, und von jenen zweien bezeugt Dixon,
daß ihre Beziehungen zu Joung dieselben waren wie die jeder andern sterb¬
lichen Frau zu ihrem Ehemann. Sie waren Mütter von Kindern, welche
Boungs Namen trugen. Ueber der Geschichte aller dieser Damm schwebt
ein Nebelschleier von Zweideutigkeit und Geheimniß. "Gewiß ist", so bemerkt
Dixon nach seinen Erfahrungen, "daß viele Mormonendamen sich nach dem
Schooße Josephs sehnen, und zwar keineswegs in dem poetischen Sinne, in
welchem ihre christlichen Schwestern davon sprechen, daß sie dereinst in Abrahams
Schooß sein werden, sondern liebesbrünstig, wie das zu Krischna sich be¬
kennende Hinduweib nach ihrem geliebten Gotte lechzt." Oder, setzen wir hin-


Todten stattfinden. Doch gehört dazu ebenso wie bei der gewöhnlichen Ehe,
daß die Verbindung von dem Propheten oder einem Stellvertreter gut ge¬
heißen und in aller Form geschlossen wird. Auch muß es eine vollständige Hei¬
rath sein, nicht ein platonischer Ritus, nicht eine Vereinigung der Seelen,
welche zwei Personen durch ein mystisches Band verknüpft. Wie aber kann
ein Weib sich in fleischlicher Weise mit einem Mann verbinden, der im
Grabe liegt? Durch Stellvertretung, antworten die Mormonen, die ja auch
ein stellvertretendes Getauftwerden für die Verstorbenen kennen. Aber wie?
Ist es denn in der Ehe möglich, daß ein Mann oder eine Frau in Betreff
der Pflichten derselben die Stelle eines Andern versieht? Brigham Uoung er¬
wiederte darauf nach Dixon mit einem Hinweis auf die Leviratsehe der
Hebräer. Dieselben hatten, sagte er. eine Ahnung von derartigen Dingen,
als sie den jüngern Bruder die Pflicht des älteren zu erfüllen nöthigten,
und sind nicht alle Heiligen eine Familie von Brüdern vor dem Angesichts
Gottes? Angenommen also den Fall, daß ein Fräulein mit verirrter Ein¬
bildungskraft sich in den Kopf gesetzt hat, eine von den himmlischen Ge¬
mahlinnen eines verstorbenen und nun zu einem König und Gott auf dem
Saturn oder Sirius verklärten Heiligen zu werden, so ist nichts leichter als
das, vorausgesetzt, daß ihre Schrulle mit der Neigung des Propheten oder
eines andern noch diesseits wandelnden Großen in Israel übereinstimmt.
Aoung ist ihr alleiniger Vermittler, sein Ja oder Nein ihr einziger Maßstab
für Recht und Unrecht. Durch einen religiösen Act kann er sie dem todten
Mann „ansiegeln," den sie sich zu ihrem Herrn und König im Himmel ge¬
wählt hat, und durch einen gleichen Act kann er dem Todten aus seinen
Aposteln oder nettesten einen Stellvertreter bei ihr geben. Sollte ihre Schön¬
heit sein Auge versuchen, so kann er auch selber bei ihr die Pflichten des ver¬
lebten Heiligen als substitue besorgen.

Im Tabernakel der Salzseestadt zeigte man Dixon zwei Damen, welche
dem Propheten Joseph in der Weise angesiegelt waren, daß der Prophet
Brigham denselben zu vertreten hatte. Uoung selbst sagte dem Reisenden,
daß es deren noch viele andere giebt, und von jenen zweien bezeugt Dixon,
daß ihre Beziehungen zu Joung dieselben waren wie die jeder andern sterb¬
lichen Frau zu ihrem Ehemann. Sie waren Mütter von Kindern, welche
Boungs Namen trugen. Ueber der Geschichte aller dieser Damm schwebt
ein Nebelschleier von Zweideutigkeit und Geheimniß. „Gewiß ist", so bemerkt
Dixon nach seinen Erfahrungen, „daß viele Mormonendamen sich nach dem
Schooße Josephs sehnen, und zwar keineswegs in dem poetischen Sinne, in
welchem ihre christlichen Schwestern davon sprechen, daß sie dereinst in Abrahams
Schooß sein werden, sondern liebesbrünstig, wie das zu Krischna sich be¬
kennende Hinduweib nach ihrem geliebten Gotte lechzt." Oder, setzen wir hin-


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[0339] Todten stattfinden. Doch gehört dazu ebenso wie bei der gewöhnlichen Ehe, daß die Verbindung von dem Propheten oder einem Stellvertreter gut ge¬ heißen und in aller Form geschlossen wird. Auch muß es eine vollständige Hei¬ rath sein, nicht ein platonischer Ritus, nicht eine Vereinigung der Seelen, welche zwei Personen durch ein mystisches Band verknüpft. Wie aber kann ein Weib sich in fleischlicher Weise mit einem Mann verbinden, der im Grabe liegt? Durch Stellvertretung, antworten die Mormonen, die ja auch ein stellvertretendes Getauftwerden für die Verstorbenen kennen. Aber wie? Ist es denn in der Ehe möglich, daß ein Mann oder eine Frau in Betreff der Pflichten derselben die Stelle eines Andern versieht? Brigham Uoung er¬ wiederte darauf nach Dixon mit einem Hinweis auf die Leviratsehe der Hebräer. Dieselben hatten, sagte er. eine Ahnung von derartigen Dingen, als sie den jüngern Bruder die Pflicht des älteren zu erfüllen nöthigten, und sind nicht alle Heiligen eine Familie von Brüdern vor dem Angesichts Gottes? Angenommen also den Fall, daß ein Fräulein mit verirrter Ein¬ bildungskraft sich in den Kopf gesetzt hat, eine von den himmlischen Ge¬ mahlinnen eines verstorbenen und nun zu einem König und Gott auf dem Saturn oder Sirius verklärten Heiligen zu werden, so ist nichts leichter als das, vorausgesetzt, daß ihre Schrulle mit der Neigung des Propheten oder eines andern noch diesseits wandelnden Großen in Israel übereinstimmt. Aoung ist ihr alleiniger Vermittler, sein Ja oder Nein ihr einziger Maßstab für Recht und Unrecht. Durch einen religiösen Act kann er sie dem todten Mann „ansiegeln," den sie sich zu ihrem Herrn und König im Himmel ge¬ wählt hat, und durch einen gleichen Act kann er dem Todten aus seinen Aposteln oder nettesten einen Stellvertreter bei ihr geben. Sollte ihre Schön¬ heit sein Auge versuchen, so kann er auch selber bei ihr die Pflichten des ver¬ lebten Heiligen als substitue besorgen. Im Tabernakel der Salzseestadt zeigte man Dixon zwei Damen, welche dem Propheten Joseph in der Weise angesiegelt waren, daß der Prophet Brigham denselben zu vertreten hatte. Uoung selbst sagte dem Reisenden, daß es deren noch viele andere giebt, und von jenen zweien bezeugt Dixon, daß ihre Beziehungen zu Joung dieselben waren wie die jeder andern sterb¬ lichen Frau zu ihrem Ehemann. Sie waren Mütter von Kindern, welche Boungs Namen trugen. Ueber der Geschichte aller dieser Damm schwebt ein Nebelschleier von Zweideutigkeit und Geheimniß. „Gewiß ist", so bemerkt Dixon nach seinen Erfahrungen, „daß viele Mormonendamen sich nach dem Schooße Josephs sehnen, und zwar keineswegs in dem poetischen Sinne, in welchem ihre christlichen Schwestern davon sprechen, daß sie dereinst in Abrahams Schooß sein werden, sondern liebesbrünstig, wie das zu Krischna sich be¬ kennende Hinduweib nach ihrem geliebten Gotte lechzt." Oder, setzen wir hin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/339>, abgerufen am 06.02.2025.