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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Mit allen Mitteln versuchte man, das Volk für die Sache zu gewinnen.
Reden und Gedichte priesen sie an. Jesus selbst sollte drei Frauen gehabt
haben. Martha und Maria, die Schwester des Lazarus, sowie Maria Mag-
dalena, die er alle drei auf der Hochzeit zu Cana geheirathet hätte. Weib¬
liche Prediger forderten die Gemeinde auf, "Buße zu thun und zu den Grund¬
sätzen des Lebens der Patriarchen zurückzukehren." Diese Manöver wirkten.
Eine große Versammlung von zweitausend Aeltesten nahm am 29. August
1852 die Anträge Aoung's an, die Vielweiberei wurde auf diese Weise ein
Theil des religiösen Glaubens der Seete, und allmälig ließen sich nach dem
Beispiele des Propheten selbst und seiner Vertrauten Heber Klubalk, Hyde und
Orson Pratt, die schon um das Jahr 18S0 dem "System der Pluralität".
wie man die Polygamie nannte, praktisch gehuldigt hatten, mehrere Hundert
Aelteste neben ihrer ersten Frau zwei, drei und mehr andere Gattinnen
"anflegeln."

Indeß gab es auch Mormonen, welche nichts von der Hühnerehe wissen
wollten. Mehrere angesehene Leute konnten sich nie mit ihr befreunden, und
einige hatten den Muth, offen dagegen aufzutreten. Zunächst machte ein ge¬
wisser Bishop mit Eifer dagegen Opposition. Dann erklärte sich die Familie
des Propheten Smith, dessen Wittwe mit ihren Söhnen, entschieden gegen
die Echtheit der Offenbarung von 1843 und gegen die ganze Lehre von den
"geistlichen Frauen", und als dieß nichts half, trennte sie sich von den
Heiligen in Utah und kehrte nach Illinois zurück. Endlich stellte sich Georg
A. Smith, ein Vetter Josephs, Mitglied des Apostelcollegiums und Geschicht¬
schreiber der Kirche, an die Spitze der Anhänger Bishops, der inzwischen ge¬
storben war, und predigte in so heftigem Tone gegen Bruder Brighams "pa¬
triarchalisches Leben", daß dieser ernstlich besorgt wurde, und mit Verhaf¬
tung gegen ihn einschritt. Später scheint Smith in seinem Eiser nachgelassen
zu haben, und zuletzt finden wir ihn selbst als Vorstand einer Haushaltung
mit mehreren Frauen. Dagegen gab es bis auf die neueste Zeit zahlreiche
Mormonen, welche, ohne gerade aus der Kirche zu treten, sich doch entschie¬
den von Uoung und den Polygamisten lossagten, und nach Dixons Bericht,
der indeß die Zahl der Mormonen überhaupt viel zu groß angibt, lebten
deren allein in Kalifornien an zwanzigtausend.

Mit der Bundesregierung in Washington haben die Mormonen sich bis
zu Anfang dieses Jahres leidlich vertragen. Man nahm die im Jahre 18S1
anlangenden Richter, die der Präsident geschickt, höflich auf, brachte seine
Processe aber nicht vor sie, sondern vor die Bischöfe der Kirche, und gab den
Herren aus dem Osten später ausdrücklich zu verstehen, daß sie als "Heiden"
nur geduldet und eigentlich überflüssig seien. Sie sahen dieß und reisten nach
Hause, worauf der Präsident andere Richter ernannte. Auch diese hielten es


Mit allen Mitteln versuchte man, das Volk für die Sache zu gewinnen.
Reden und Gedichte priesen sie an. Jesus selbst sollte drei Frauen gehabt
haben. Martha und Maria, die Schwester des Lazarus, sowie Maria Mag-
dalena, die er alle drei auf der Hochzeit zu Cana geheirathet hätte. Weib¬
liche Prediger forderten die Gemeinde auf, „Buße zu thun und zu den Grund¬
sätzen des Lebens der Patriarchen zurückzukehren." Diese Manöver wirkten.
Eine große Versammlung von zweitausend Aeltesten nahm am 29. August
1852 die Anträge Aoung's an, die Vielweiberei wurde auf diese Weise ein
Theil des religiösen Glaubens der Seete, und allmälig ließen sich nach dem
Beispiele des Propheten selbst und seiner Vertrauten Heber Klubalk, Hyde und
Orson Pratt, die schon um das Jahr 18S0 dem „System der Pluralität".
wie man die Polygamie nannte, praktisch gehuldigt hatten, mehrere Hundert
Aelteste neben ihrer ersten Frau zwei, drei und mehr andere Gattinnen
„anflegeln."

Indeß gab es auch Mormonen, welche nichts von der Hühnerehe wissen
wollten. Mehrere angesehene Leute konnten sich nie mit ihr befreunden, und
einige hatten den Muth, offen dagegen aufzutreten. Zunächst machte ein ge¬
wisser Bishop mit Eifer dagegen Opposition. Dann erklärte sich die Familie
des Propheten Smith, dessen Wittwe mit ihren Söhnen, entschieden gegen
die Echtheit der Offenbarung von 1843 und gegen die ganze Lehre von den
„geistlichen Frauen", und als dieß nichts half, trennte sie sich von den
Heiligen in Utah und kehrte nach Illinois zurück. Endlich stellte sich Georg
A. Smith, ein Vetter Josephs, Mitglied des Apostelcollegiums und Geschicht¬
schreiber der Kirche, an die Spitze der Anhänger Bishops, der inzwischen ge¬
storben war, und predigte in so heftigem Tone gegen Bruder Brighams „pa¬
triarchalisches Leben", daß dieser ernstlich besorgt wurde, und mit Verhaf¬
tung gegen ihn einschritt. Später scheint Smith in seinem Eiser nachgelassen
zu haben, und zuletzt finden wir ihn selbst als Vorstand einer Haushaltung
mit mehreren Frauen. Dagegen gab es bis auf die neueste Zeit zahlreiche
Mormonen, welche, ohne gerade aus der Kirche zu treten, sich doch entschie¬
den von Uoung und den Polygamisten lossagten, und nach Dixons Bericht,
der indeß die Zahl der Mormonen überhaupt viel zu groß angibt, lebten
deren allein in Kalifornien an zwanzigtausend.

Mit der Bundesregierung in Washington haben die Mormonen sich bis
zu Anfang dieses Jahres leidlich vertragen. Man nahm die im Jahre 18S1
anlangenden Richter, die der Präsident geschickt, höflich auf, brachte seine
Processe aber nicht vor sie, sondern vor die Bischöfe der Kirche, und gab den
Herren aus dem Osten später ausdrücklich zu verstehen, daß sie als „Heiden"
nur geduldet und eigentlich überflüssig seien. Sie sahen dieß und reisten nach
Hause, worauf der Präsident andere Richter ernannte. Auch diese hielten es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/300>, abgerufen am 06.02.2025.