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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Gebäude der deutschen Einheit aufrichten würde, welches selbst Schiller in
seinem prophetischen Geiste nur ganz dunkel geahnt haben mochte, zu welchem
er aber durch sein mächtiges Wort in Millionen Herzen Keime gelegt und die
vorhandenen geweckt hatte. Wenn Erfahrungen im Stande wären, Träumer
zu belehren, so hätten es die Nachklänge jener Feier thun können. Wie ein
Paar Monate vorher Alexander v. Humboldt's Begräbniß, so machte sich der
Pöbel Berlins auch die Grundsteinlegung Schiller's zu Nutze, um seine Orgien
zu feiern, und zu zeigen, wie wenig selbst bei uns die sittliche Macht in die
niedern Klassen gedrungen ist. Es war eine .beschämende Lection für alle Die¬
jenigen, welche glaubten, daß Dichterwort und die Begeisterung, welche das¬
selbe erzeugt, gewaltige politische Umwälzungen hervorbringen könne. Die
herben Lehren haben sich seit jenem Tage gezeigt. Auf die blonde Schwär¬
merei, welche der Nationalverein angefacht hatte, der im Sommer jenes Jahres
schon ziemlich den Gipfel seines Ansehens in raschem Laufe erklommen, folgte
ein eisernes Zeitalter: harter Kampf im Innern und bald Krieg aus Krieg,
in welchem mit Blut und Eisen das Gebäude von Deutschlands Einheit und
Größe gekittet wurde, dessen Aufführung sich die Phantasie so leicht vorgestellt
hatte.

Ohne gewaltigen Eindruck sind die Lehren dieser Zeit allerdings nicht
vorübergegangen und die Zahl Derjenigen, welche glauben oder zu glauben vor¬
geben, daß der politische Baumeister ganz unnöthige Anstrengungen gemacht
habe, ist sehr zusammengeschmolzen. Dafür fehlt es nicht an ängstlichen Ge-
müthern, welche Deutschland nun auf einen Gipfel der Macht angelangt sehen
und mit der klugen Voraussicht Eulenspiegel's den bevorstehenden Niedergang
bejammern. Wenn man diesen Leuten glauben soll, so wäre die deutsche
Nation in die bunteste Machtanbetung versunken, der Chauvinismus grassire
in viel schlimmerer Weise, als jemals in Frankreich, und der Idealismus
wäre gänzlich aus den Herzen ausgerottet. In Wirklichkeit verhält sich die
Sache wohl anders. Allerdings wird es nur noch Wenige geben, welche
glauben, daß der Idealismus in Deutschland mehr als bisher gepflegt wer¬
den müsst, denn er ist eine Pflanze, die in unserm Klima selbst ohne große
Aufmerksamkeit vortrefflich fortkommt, aber, wenn man nicht verkennt, wie es
vor Allem darauf ankommen mußte, die Nation aus praktische Ziele zu rich¬
ten, so will auch Niemand das aufgeben, was lange Zeit hindurch die Quelle
unserer Schwäche, aber auch unserer Stärke war und was vor Allem unsere
Eigenthümlichkeit allen andern Völkern gegenüber ausmacht, die Pflege des
Idealen. Daß dieser Gedanke noch lebendig ist, zeigte die gestrige Schiller¬
feier. Ihr fehlte freilich die Ueberschwänglichkeit, mit welcher man die
Grundsteinlegung begangen hatte, aber gerade darum hatte die Feier den ge¬
bührenden Charakter und wie aus allerlei Sturm und Drang das Marmor-


Gebäude der deutschen Einheit aufrichten würde, welches selbst Schiller in
seinem prophetischen Geiste nur ganz dunkel geahnt haben mochte, zu welchem
er aber durch sein mächtiges Wort in Millionen Herzen Keime gelegt und die
vorhandenen geweckt hatte. Wenn Erfahrungen im Stande wären, Träumer
zu belehren, so hätten es die Nachklänge jener Feier thun können. Wie ein
Paar Monate vorher Alexander v. Humboldt's Begräbniß, so machte sich der
Pöbel Berlins auch die Grundsteinlegung Schiller's zu Nutze, um seine Orgien
zu feiern, und zu zeigen, wie wenig selbst bei uns die sittliche Macht in die
niedern Klassen gedrungen ist. Es war eine .beschämende Lection für alle Die¬
jenigen, welche glaubten, daß Dichterwort und die Begeisterung, welche das¬
selbe erzeugt, gewaltige politische Umwälzungen hervorbringen könne. Die
herben Lehren haben sich seit jenem Tage gezeigt. Auf die blonde Schwär¬
merei, welche der Nationalverein angefacht hatte, der im Sommer jenes Jahres
schon ziemlich den Gipfel seines Ansehens in raschem Laufe erklommen, folgte
ein eisernes Zeitalter: harter Kampf im Innern und bald Krieg aus Krieg,
in welchem mit Blut und Eisen das Gebäude von Deutschlands Einheit und
Größe gekittet wurde, dessen Aufführung sich die Phantasie so leicht vorgestellt
hatte.

Ohne gewaltigen Eindruck sind die Lehren dieser Zeit allerdings nicht
vorübergegangen und die Zahl Derjenigen, welche glauben oder zu glauben vor¬
geben, daß der politische Baumeister ganz unnöthige Anstrengungen gemacht
habe, ist sehr zusammengeschmolzen. Dafür fehlt es nicht an ängstlichen Ge-
müthern, welche Deutschland nun auf einen Gipfel der Macht angelangt sehen
und mit der klugen Voraussicht Eulenspiegel's den bevorstehenden Niedergang
bejammern. Wenn man diesen Leuten glauben soll, so wäre die deutsche
Nation in die bunteste Machtanbetung versunken, der Chauvinismus grassire
in viel schlimmerer Weise, als jemals in Frankreich, und der Idealismus
wäre gänzlich aus den Herzen ausgerottet. In Wirklichkeit verhält sich die
Sache wohl anders. Allerdings wird es nur noch Wenige geben, welche
glauben, daß der Idealismus in Deutschland mehr als bisher gepflegt wer¬
den müsst, denn er ist eine Pflanze, die in unserm Klima selbst ohne große
Aufmerksamkeit vortrefflich fortkommt, aber, wenn man nicht verkennt, wie es
vor Allem darauf ankommen mußte, die Nation aus praktische Ziele zu rich¬
ten, so will auch Niemand das aufgeben, was lange Zeit hindurch die Quelle
unserer Schwäche, aber auch unserer Stärke war und was vor Allem unsere
Eigenthümlichkeit allen andern Völkern gegenüber ausmacht, die Pflege des
Idealen. Daß dieser Gedanke noch lebendig ist, zeigte die gestrige Schiller¬
feier. Ihr fehlte freilich die Ueberschwänglichkeit, mit welcher man die
Grundsteinlegung begangen hatte, aber gerade darum hatte die Feier den ge¬
bührenden Charakter und wie aus allerlei Sturm und Drang das Marmor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/279>, abgerufen am 05.02.2025.