Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.reichen aber ganz und gar nicht aus gegen ein Individuum, das mit der Ver¬ Die Sitzung vom 9. November brachte die erste Berathung des von den reichen aber ganz und gar nicht aus gegen ein Individuum, das mit der Ver¬ Die Sitzung vom 9. November brachte die erste Berathung des von den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192578"/> <p xml:id="ID_1065" prev="#ID_1064"> reichen aber ganz und gar nicht aus gegen ein Individuum, das mit der Ver¬<lb/> sammlung, zu der zu reden es den Schein annimmt, nicht das Geringste ge¬<lb/> mein hat, das nur in derselben erscheint, um sie mit einer fremden Atmosphäre<lb/> zu verunreinigen und zu beleidigen, Unseres Erachtens würde die Mitglied¬<lb/> schaft des Herrn Bebel im Reichstag einen wesentlichen Vortheil haben, wenn<lb/> sie dem allgemeinen Bewußtsein die Nothwendigkeit klar machte, daß der<lb/> Reichstag das verfassungsmäßige Recht erhalten muß, unwürdige Mitglieder<lb/> auszuschließen, und dem betreffenden Wahlkreis, wenn er auf der Wiederwahl<lb/> solcher Mitglieder beharrt, periodisch die Vertretung zu entziehen. Man kann<lb/> immerhin solche Beschlüsse an eine ^/z Majorität binden, aber das Recht, sie<lb/> zu fassen, ist dem Reichstag unentbehrlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1066" next="#ID_1067"> Die Sitzung vom 9. November brachte die erste Berathung des von den<lb/> Abgeordneten Laster und Genossen eingebrachten Gesetzentwurfes über die<lb/> Ausdehnung der Reichsgesetzgebung auf das bürgerliche Recht und die Ge-<lb/> richts-Organisation. Es wurden vortreffliche und beherzigenswerthe Worte<lb/> gesagt. So von Miquel, dessen Rede schloß: „Ohne gleiches Recht kein deut¬<lb/> sches Recht; ohne deutsches Recht keinen deutschen Staat!" Der ultramontane<lb/> Führer Herr August Reichensperger setzte sich natürlich dem Antrage entgegen,<lb/> aber in würdiger Form. Die Gegengründe freilich entlehnte er der alten er¬<lb/> staunlichen Fabel, daß die deutschen Particularstaaten den sogenannten deut¬<lb/> schen Stämmen entsprechen, und daß die Rechtsbuntheit in Deutschland auf<lb/> der Stammesverschiedenheit beruht. Abgeordneter Friedenthal entgegnete vor¬<lb/> trefflich, daß der Rechtszustand, welchen Herr Reichensperger erhalten wolle,<lb/> nicht zur Zeit einer Blüthe des nationalen Lebens entstanden ist, sondern durch<lb/> Muthwillige Gesetzmacherei in der Periode der willkürlichen Zerreißung unseres<lb/> Volkes. Fortschritt des Rechts, Entstehung neuer von den gesellschaftlichen<lb/> Bedürfnissen erforderter Bildungen, die Bildung eines wahren Juristenstan¬<lb/> des, alles hängt ab von dem Boden eines einheitlichen deutschen Rechtes. Der<lb/> bayrische Abgeordnete Herz wies nach, daß in Bayern allein 80 geltende<lb/> Landrechte bestehen, zu welchen die vollständigen Systeme des römischen, bay¬<lb/> rischen, preußischen und französischen Rechtes hinzutreten. Derselbe Abgeord¬<lb/> nete bemerkte sehr wahr, daß nicht die bayrische Regierung verantwortlich zu<lb/> Machen sei. '„Derartige Dinge können nur in einem großen Staat zur heil¬<lb/> samen Reform gebracht werden, dem alle Mittel und Kräfte zu Gebote stehen,<lb/> über die man verfügen muß, um in dieser Richtung umgestaltend vorzugehen<lb/> und Ersprießliches zu schaffen." Sehr erfreulich für den Reichstag wie für<lb/> die öffentliche Meinung in Deutschland war es, daß der sächsische Abgeord¬<lb/> nete Generalstaatsanwalt Schwarze sich für den Antrag erklärte und zwar<lb/> auf Grund der Erfahrungen, welche der Abgeordnete bei der Theilnahme<lb/> an den Arbeiten des Reichstages gemacht. Bei dem immer wiederkehrenden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0277]
reichen aber ganz und gar nicht aus gegen ein Individuum, das mit der Ver¬
sammlung, zu der zu reden es den Schein annimmt, nicht das Geringste ge¬
mein hat, das nur in derselben erscheint, um sie mit einer fremden Atmosphäre
zu verunreinigen und zu beleidigen, Unseres Erachtens würde die Mitglied¬
schaft des Herrn Bebel im Reichstag einen wesentlichen Vortheil haben, wenn
sie dem allgemeinen Bewußtsein die Nothwendigkeit klar machte, daß der
Reichstag das verfassungsmäßige Recht erhalten muß, unwürdige Mitglieder
auszuschließen, und dem betreffenden Wahlkreis, wenn er auf der Wiederwahl
solcher Mitglieder beharrt, periodisch die Vertretung zu entziehen. Man kann
immerhin solche Beschlüsse an eine ^/z Majorität binden, aber das Recht, sie
zu fassen, ist dem Reichstag unentbehrlich.
Die Sitzung vom 9. November brachte die erste Berathung des von den
Abgeordneten Laster und Genossen eingebrachten Gesetzentwurfes über die
Ausdehnung der Reichsgesetzgebung auf das bürgerliche Recht und die Ge-
richts-Organisation. Es wurden vortreffliche und beherzigenswerthe Worte
gesagt. So von Miquel, dessen Rede schloß: „Ohne gleiches Recht kein deut¬
sches Recht; ohne deutsches Recht keinen deutschen Staat!" Der ultramontane
Führer Herr August Reichensperger setzte sich natürlich dem Antrage entgegen,
aber in würdiger Form. Die Gegengründe freilich entlehnte er der alten er¬
staunlichen Fabel, daß die deutschen Particularstaaten den sogenannten deut¬
schen Stämmen entsprechen, und daß die Rechtsbuntheit in Deutschland auf
der Stammesverschiedenheit beruht. Abgeordneter Friedenthal entgegnete vor¬
trefflich, daß der Rechtszustand, welchen Herr Reichensperger erhalten wolle,
nicht zur Zeit einer Blüthe des nationalen Lebens entstanden ist, sondern durch
Muthwillige Gesetzmacherei in der Periode der willkürlichen Zerreißung unseres
Volkes. Fortschritt des Rechts, Entstehung neuer von den gesellschaftlichen
Bedürfnissen erforderter Bildungen, die Bildung eines wahren Juristenstan¬
des, alles hängt ab von dem Boden eines einheitlichen deutschen Rechtes. Der
bayrische Abgeordnete Herz wies nach, daß in Bayern allein 80 geltende
Landrechte bestehen, zu welchen die vollständigen Systeme des römischen, bay¬
rischen, preußischen und französischen Rechtes hinzutreten. Derselbe Abgeord¬
nete bemerkte sehr wahr, daß nicht die bayrische Regierung verantwortlich zu
Machen sei. '„Derartige Dinge können nur in einem großen Staat zur heil¬
samen Reform gebracht werden, dem alle Mittel und Kräfte zu Gebote stehen,
über die man verfügen muß, um in dieser Richtung umgestaltend vorzugehen
und Ersprießliches zu schaffen." Sehr erfreulich für den Reichstag wie für
die öffentliche Meinung in Deutschland war es, daß der sächsische Abgeord¬
nete Generalstaatsanwalt Schwarze sich für den Antrag erklärte und zwar
auf Grund der Erfahrungen, welche der Abgeordnete bei der Theilnahme
an den Arbeiten des Reichstages gemacht. Bei dem immer wiederkehrenden
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