Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.literarisch interessanten Boje gestanden; seit Frühjahr 1772 war er Justiz¬ Und doch besteht ein tiefer Gegensatz zwischen dem Göttinger Bunde und selbst der kranke, weiche Hölty warf seinen träumerischen, kindlichen,
Hochtrabender, aufgeschwemmter, affectirter ist Fritz Stolberg, der freiheits¬
literarisch interessanten Boje gestanden; seit Frühjahr 1772 war er Justiz¬ Und doch besteht ein tiefer Gegensatz zwischen dem Göttinger Bunde und selbst der kranke, weiche Hölty warf seinen träumerischen, kindlichen,
Hochtrabender, aufgeschwemmter, affectirter ist Fritz Stolberg, der freiheits¬
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192326"/> <p xml:id="ID_83" prev="#ID_82"> literarisch interessanten Boje gestanden; seit Frühjahr 1772 war er Justiz¬<lb/> beamter in Alten-Gleichen bei Göttingen. Um Boje schaarten sich von nun<lb/> ab neue Freunde, ein ganzer Kreis studirender Jünglinge, die bekanntlich seit<lb/> Mai 1772 zu einem förmlichen Bunde zusammentraten. Eine gewisse Ver¬<lb/> bindung mit Bürger blieb bestehen; vielfach fand die Schaar, wenn sie in<lb/> poetischen Streifzügen, Kleist's Frühling in der Tasche, in die Natur pilgerte,<lb/> bei Bürger gastliche Aufnahme.</p><lb/> <p xml:id="ID_84"> Und doch besteht ein tiefer Gegensatz zwischen dem Göttinger Bunde und<lb/> Bürger. In Bürger gewinnen eben immer mehr die neuen Ansichten Her¬<lb/> der's über Poesie Gestalt und Leben; der Göttinger Dichterbund schwört im<lb/> Ganzen noch auf Klopstock. Die jungen Studenten ergötzten sich bei ihren<lb/> feierlichen Sonnabendssitzungen in urteutonischer Begeisterung an Klopstock's<lb/> Hermannsschlacht, die 1769 erschienen war. Sie tanzten beim Mondenschein<lb/> eichenlaubbekränzt um die deutsche Eiche und schwuren sich ewige Freundschaft.<lb/> Sie feierten Klopstock's Geburtstag und ließen den mit Rosen und Levkoyen<lb/> bestreuten Sessel für ihn leer. Sie tranken auf ihn und Hermann. sie spra¬<lb/> chen, den Hut auf dem Kopfe, ein Zeichen echten Klopstock'schen Mannesstol¬<lb/> zes, von Freiheit und Tugendgesang; sie schwuren Eide auf den inzwischen<lb/> vollendeten Messias wie auf das Evangelium. Man kann sich nicht wun¬<lb/> dern, daß diese jungen Dichter durch Klopstock's Oden, die 1771 erschienen,<lb/> von Neuem zu horazischen Oden sich entflammen ließen, gegen die Herder<lb/> kürzlich in Vertilgungseifer losgezogen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_85"> selbst der kranke, weiche Hölty warf seinen träumerischen, kindlichen,<lb/> sentimentalen Schwärmereien für ländliche Einsamkeit dies steife, schwer wal¬<lb/> lende Brokatgewand über:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_1" type="poem"> <l> Wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh!<lb/> Jedes Säuseln des Baums, jedes Geräusch deS Bachs,<lb/> Jeder blinkende Kiesel<lb/> Predigt Tugend und Weisheit ihm. — —</l> <l> Wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh!<lb/> Engel segneten ihn, als er geboren ward,<lb/> streuten Blumen des Himmels<lb/> Auf die Wiege des Knaben aus.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_86"> Hochtrabender, aufgeschwemmter, affectirter ist Fritz Stolberg, der freiheits¬<lb/> wüthige, wilde, wortreiche Feind abstract gedachter Tyrannen:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l> Freiheit! Der Höfling kennt den Gedanken nicht!<lb/> Der Sclave! Ketten rasseln im Silberton;<lb/> Gebeugt das Knie, gebeugt die Seele,<lb/> Reicht er dem Joch den erschlafften Nacken!<lb/> O Namen! Namen! Festlied wie Siegsgesang!<lb/> Tell! Hermann! Klopstock! Brutus! Timoleon!</l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
literarisch interessanten Boje gestanden; seit Frühjahr 1772 war er Justiz¬
beamter in Alten-Gleichen bei Göttingen. Um Boje schaarten sich von nun
ab neue Freunde, ein ganzer Kreis studirender Jünglinge, die bekanntlich seit
Mai 1772 zu einem förmlichen Bunde zusammentraten. Eine gewisse Ver¬
bindung mit Bürger blieb bestehen; vielfach fand die Schaar, wenn sie in
poetischen Streifzügen, Kleist's Frühling in der Tasche, in die Natur pilgerte,
bei Bürger gastliche Aufnahme.
Und doch besteht ein tiefer Gegensatz zwischen dem Göttinger Bunde und
Bürger. In Bürger gewinnen eben immer mehr die neuen Ansichten Her¬
der's über Poesie Gestalt und Leben; der Göttinger Dichterbund schwört im
Ganzen noch auf Klopstock. Die jungen Studenten ergötzten sich bei ihren
feierlichen Sonnabendssitzungen in urteutonischer Begeisterung an Klopstock's
Hermannsschlacht, die 1769 erschienen war. Sie tanzten beim Mondenschein
eichenlaubbekränzt um die deutsche Eiche und schwuren sich ewige Freundschaft.
Sie feierten Klopstock's Geburtstag und ließen den mit Rosen und Levkoyen
bestreuten Sessel für ihn leer. Sie tranken auf ihn und Hermann. sie spra¬
chen, den Hut auf dem Kopfe, ein Zeichen echten Klopstock'schen Mannesstol¬
zes, von Freiheit und Tugendgesang; sie schwuren Eide auf den inzwischen
vollendeten Messias wie auf das Evangelium. Man kann sich nicht wun¬
dern, daß diese jungen Dichter durch Klopstock's Oden, die 1771 erschienen,
von Neuem zu horazischen Oden sich entflammen ließen, gegen die Herder
kürzlich in Vertilgungseifer losgezogen war.
selbst der kranke, weiche Hölty warf seinen träumerischen, kindlichen,
sentimentalen Schwärmereien für ländliche Einsamkeit dies steife, schwer wal¬
lende Brokatgewand über:
Wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh!
Jedes Säuseln des Baums, jedes Geräusch deS Bachs,
Jeder blinkende Kiesel
Predigt Tugend und Weisheit ihm. — — Wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh!
Engel segneten ihn, als er geboren ward,
streuten Blumen des Himmels
Auf die Wiege des Knaben aus.
Hochtrabender, aufgeschwemmter, affectirter ist Fritz Stolberg, der freiheits¬
wüthige, wilde, wortreiche Feind abstract gedachter Tyrannen:
Freiheit! Der Höfling kennt den Gedanken nicht!
Der Sclave! Ketten rasseln im Silberton;
Gebeugt das Knie, gebeugt die Seele,
Reicht er dem Joch den erschlafften Nacken!
O Namen! Namen! Festlied wie Siegsgesang!
Tell! Hermann! Klopstock! Brutus! Timoleon!
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