Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nach Anquetil du Perron ist Garmos (dessen Name in der uns bekannten
Reihe der babylonischen Könige nicht vorkommt) der Zohcik der iranischen
Heldensage und des Firdusi. Rhodancs ist Feridun, der edle glänzende tadel¬
lose Held, welcher das Ungeheuer Zohak, aus dessen Schultern zwei schwarze
Schlangen wuchsen, die mit dem Gehirn frisch getödteter Menschen ernährt
werden mußten, nachdem er lange umhergeirrt und Verfolgungen des blut¬
dürstigen Tyrannen erduldet, nach heißem Kampfe von dem Thron Irans
dessen Bestandtheil Babylonien zur Zeit jener Sage ist) stößt, hierauf selbst
den Thron besteigt und das strahlende Vorbild aller Könige und Men¬
schen wird.

Diese Annahme findet äußerlich wesentliche Unterstützung darin, daß im
Armenischen der Name des Feridun: "Notare" lautet, und innerlich darin,
daß das Umherirren des Nhodanes im griechischen Roman vortrefflich zu den
Verfolgungen paßt, welche der Held der iranischen Sage zu bestehen hat, und
daß bei beiden -- wenn schon die Motive der Verfolgung verschiedene sind --
die Verfolgung mit dem Sturze des Verfolgers und der Thronbesteigung des
Verfolgten endet. Jenes Umherirren des Feridun und seine bald darauf fol¬
gende Thronbesteigung ist aber einer der größten Glanzpunkte der iranischen
Sage, und Jamblichos verarbeitete also in "den babylonischen Geschichten"
einen nationalen Lieblingsstoff ersten Ranges. Durch seinen dreifachen Bil¬
dungsgang (syrisch, babylonisch, griechisch) trefflich hierzu geeignet, bietet er
uns somit in seinem Romane die Frucht des Hellenismus: orientalischen
Stoff in hellenischer Form rein, reif und charakteristisch wie kein anderer.




KanKe's deutsche Heschichte 1780-1790.

Wir Deutschen haben allzulange in dem Urtheil über unsere National¬
geschichte von der Auffassung der Fremden uns leiten und bestimmen lassen.
So hat die französische Revolution des vorigen Jahrhunderts den Blick vor¬
nehmlich auf sich hingezogen; und die gleichzeitige Umwälzung und Neugestal¬
tung der Verhältnisse in der deutschen Nation ist erst neuerdings von unse¬
rer deutschen Geschichtswissenschaft beleuchtet und erörtert worden. Alle Welt
weiß, wie durchgreifend die Revision grade für die Epoche der Revolution
ausgefallen ist, welche wir den Arbeiten v. Sybel's verdanken: aus ihnen


Nach Anquetil du Perron ist Garmos (dessen Name in der uns bekannten
Reihe der babylonischen Könige nicht vorkommt) der Zohcik der iranischen
Heldensage und des Firdusi. Rhodancs ist Feridun, der edle glänzende tadel¬
lose Held, welcher das Ungeheuer Zohak, aus dessen Schultern zwei schwarze
Schlangen wuchsen, die mit dem Gehirn frisch getödteter Menschen ernährt
werden mußten, nachdem er lange umhergeirrt und Verfolgungen des blut¬
dürstigen Tyrannen erduldet, nach heißem Kampfe von dem Thron Irans
dessen Bestandtheil Babylonien zur Zeit jener Sage ist) stößt, hierauf selbst
den Thron besteigt und das strahlende Vorbild aller Könige und Men¬
schen wird.

Diese Annahme findet äußerlich wesentliche Unterstützung darin, daß im
Armenischen der Name des Feridun: „Notare" lautet, und innerlich darin,
daß das Umherirren des Nhodanes im griechischen Roman vortrefflich zu den
Verfolgungen paßt, welche der Held der iranischen Sage zu bestehen hat, und
daß bei beiden — wenn schon die Motive der Verfolgung verschiedene sind —
die Verfolgung mit dem Sturze des Verfolgers und der Thronbesteigung des
Verfolgten endet. Jenes Umherirren des Feridun und seine bald darauf fol¬
gende Thronbesteigung ist aber einer der größten Glanzpunkte der iranischen
Sage, und Jamblichos verarbeitete also in „den babylonischen Geschichten"
einen nationalen Lieblingsstoff ersten Ranges. Durch seinen dreifachen Bil¬
dungsgang (syrisch, babylonisch, griechisch) trefflich hierzu geeignet, bietet er
uns somit in seinem Romane die Frucht des Hellenismus: orientalischen
Stoff in hellenischer Form rein, reif und charakteristisch wie kein anderer.




KanKe's deutsche Heschichte 1780-1790.

Wir Deutschen haben allzulange in dem Urtheil über unsere National¬
geschichte von der Auffassung der Fremden uns leiten und bestimmen lassen.
So hat die französische Revolution des vorigen Jahrhunderts den Blick vor¬
nehmlich auf sich hingezogen; und die gleichzeitige Umwälzung und Neugestal¬
tung der Verhältnisse in der deutschen Nation ist erst neuerdings von unse¬
rer deutschen Geschichtswissenschaft beleuchtet und erörtert worden. Alle Welt
weiß, wie durchgreifend die Revision grade für die Epoche der Revolution
ausgefallen ist, welche wir den Arbeiten v. Sybel's verdanken: aus ihnen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192523"/>
          <p xml:id="ID_847"> Nach Anquetil du Perron ist Garmos (dessen Name in der uns bekannten<lb/>
Reihe der babylonischen Könige nicht vorkommt) der Zohcik der iranischen<lb/>
Heldensage und des Firdusi. Rhodancs ist Feridun, der edle glänzende tadel¬<lb/>
lose Held, welcher das Ungeheuer Zohak, aus dessen Schultern zwei schwarze<lb/>
Schlangen wuchsen, die mit dem Gehirn frisch getödteter Menschen ernährt<lb/>
werden mußten, nachdem er lange umhergeirrt und Verfolgungen des blut¬<lb/>
dürstigen Tyrannen erduldet, nach heißem Kampfe von dem Thron Irans<lb/>
dessen Bestandtheil Babylonien zur Zeit jener Sage ist) stößt, hierauf selbst<lb/>
den Thron besteigt und das strahlende Vorbild aller Könige und Men¬<lb/>
schen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_848"> Diese Annahme findet äußerlich wesentliche Unterstützung darin, daß im<lb/>
Armenischen der Name des Feridun: &#x201E;Notare" lautet, und innerlich darin,<lb/>
daß das Umherirren des Nhodanes im griechischen Roman vortrefflich zu den<lb/>
Verfolgungen paßt, welche der Held der iranischen Sage zu bestehen hat, und<lb/>
daß bei beiden &#x2014; wenn schon die Motive der Verfolgung verschiedene sind &#x2014;<lb/>
die Verfolgung mit dem Sturze des Verfolgers und der Thronbesteigung des<lb/>
Verfolgten endet. Jenes Umherirren des Feridun und seine bald darauf fol¬<lb/>
gende Thronbesteigung ist aber einer der größten Glanzpunkte der iranischen<lb/>
Sage, und Jamblichos verarbeitete also in &#x201E;den babylonischen Geschichten"<lb/>
einen nationalen Lieblingsstoff ersten Ranges. Durch seinen dreifachen Bil¬<lb/>
dungsgang (syrisch, babylonisch, griechisch) trefflich hierzu geeignet, bietet er<lb/>
uns somit in seinem Romane die Frucht des Hellenismus: orientalischen<lb/>
Stoff in hellenischer Form rein, reif und charakteristisch wie kein anderer.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> KanKe's deutsche Heschichte 1780-1790.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_849" next="#ID_850"> Wir Deutschen haben allzulange in dem Urtheil über unsere National¬<lb/>
geschichte von der Auffassung der Fremden uns leiten und bestimmen lassen.<lb/>
So hat die französische Revolution des vorigen Jahrhunderts den Blick vor¬<lb/>
nehmlich auf sich hingezogen; und die gleichzeitige Umwälzung und Neugestal¬<lb/>
tung der Verhältnisse in der deutschen Nation ist erst neuerdings von unse¬<lb/>
rer deutschen Geschichtswissenschaft beleuchtet und erörtert worden. Alle Welt<lb/>
weiß, wie durchgreifend die Revision grade für die Epoche der Revolution<lb/>
ausgefallen ist, welche wir den Arbeiten v. Sybel's verdanken: aus ihnen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0222] Nach Anquetil du Perron ist Garmos (dessen Name in der uns bekannten Reihe der babylonischen Könige nicht vorkommt) der Zohcik der iranischen Heldensage und des Firdusi. Rhodancs ist Feridun, der edle glänzende tadel¬ lose Held, welcher das Ungeheuer Zohak, aus dessen Schultern zwei schwarze Schlangen wuchsen, die mit dem Gehirn frisch getödteter Menschen ernährt werden mußten, nachdem er lange umhergeirrt und Verfolgungen des blut¬ dürstigen Tyrannen erduldet, nach heißem Kampfe von dem Thron Irans dessen Bestandtheil Babylonien zur Zeit jener Sage ist) stößt, hierauf selbst den Thron besteigt und das strahlende Vorbild aller Könige und Men¬ schen wird. Diese Annahme findet äußerlich wesentliche Unterstützung darin, daß im Armenischen der Name des Feridun: „Notare" lautet, und innerlich darin, daß das Umherirren des Nhodanes im griechischen Roman vortrefflich zu den Verfolgungen paßt, welche der Held der iranischen Sage zu bestehen hat, und daß bei beiden — wenn schon die Motive der Verfolgung verschiedene sind — die Verfolgung mit dem Sturze des Verfolgers und der Thronbesteigung des Verfolgten endet. Jenes Umherirren des Feridun und seine bald darauf fol¬ gende Thronbesteigung ist aber einer der größten Glanzpunkte der iranischen Sage, und Jamblichos verarbeitete also in „den babylonischen Geschichten" einen nationalen Lieblingsstoff ersten Ranges. Durch seinen dreifachen Bil¬ dungsgang (syrisch, babylonisch, griechisch) trefflich hierzu geeignet, bietet er uns somit in seinem Romane die Frucht des Hellenismus: orientalischen Stoff in hellenischer Form rein, reif und charakteristisch wie kein anderer. KanKe's deutsche Heschichte 1780-1790. Wir Deutschen haben allzulange in dem Urtheil über unsere National¬ geschichte von der Auffassung der Fremden uns leiten und bestimmen lassen. So hat die französische Revolution des vorigen Jahrhunderts den Blick vor¬ nehmlich auf sich hingezogen; und die gleichzeitige Umwälzung und Neugestal¬ tung der Verhältnisse in der deutschen Nation ist erst neuerdings von unse¬ rer deutschen Geschichtswissenschaft beleuchtet und erörtert worden. Alle Welt weiß, wie durchgreifend die Revision grade für die Epoche der Revolution ausgefallen ist, welche wir den Arbeiten v. Sybel's verdanken: aus ihnen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/222
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/222>, abgerufen am 05.02.2025.